4A_163/2023, 4A_490/2023: Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Ernennung eines Schiedsrichters durch den juge d’appui gestützt auf die Notzuständigkeit (amtl. Publ.)

Im Entscheid 4A_163/2023, 4A_490/2023 vom 16. Jan­u­ar 2025 (zur Pub­lika­tion vorge­se­hen) bestätigte das Bun­des­gericht, dass eine Beschw­erde direkt ans Bun­des­gericht gegen die Ernen­nung eines Schied­srichters durch den juge d’appui im Falle eines forum neces­si­tatis auf­grund der aussergewöhn­lichen Umstände zuläs­sig sei. Eben­so befand es, dass das erstin­stan­zliche Gericht durch die Ernen­nung der Schied­srichter man­gels schriftlich­er Zus­tim­mung des Staates zur Schiedsvere­in­barung die staatliche Immu­nität von der Gerichts­barkeit ver­let­zt habe. 

Die schweiz­erische Gesellschaft Y. leit­ete 2019 ein Schiedsver­fahren gegen die aus­ländis­che Gesellschaft X. ein. Sie stützte sich auf eine Schied­sklausel, die einen Schied­sort ausser­halb der Schweiz vor­sah. Y. ernan­nte den Schied­srichter A. Die Beklagte X. verkün­dete dem Staat N. den Stre­it. Die Beklagte X. ernan­nte ihren eige­nen Schied­srichter B. und bat den Staat N., den von der Klägerin Y. beze­ich­neten Schied­srichter zu akzep­tieren oder mit Y. zusam­men einen Schied­srichter auszuwählen. Der Staat N. gab diesem Antrag keine Folge. Im Jahr 2021 beantragte die Gesellschaft X. beim Gen­fer erstin­stan­zlichen Gericht die Ernen­nung zweier Schied­srichter unter Beru­fung auf die Notzuständigkeit gemäss Art. 3 IPRG. Das Gen­fer Gericht bestätigte die Ernen­nung der Schied­srichter und wies die Einrede der Staaten­im­mu­nität des Staates N. zurück. Der Staat N. focht u.a. diesen Entscheid vor dem zweitin­stan­zlichen Gericht und vor Bun­des­gericht an.

Das Bun­des­gericht prüfte zunächst, ob die Beschw­erde gegen die Ernen­nung eines Schied­srichters durch den juge d’appui zuläs­sig sei. Grund­sät­zlich sei eine Anfech­tung nicht möglich. Auf­grund der beson­deren Umstände dieses Falls sei jedoch eine Aus­nahme gerecht­fer­tigt, da erst­mals die Zuständigkeit des juge d’appui in Frage ste­he, weil das Schieds­gericht seinen Sitz im Aus­land habe. Die Beschw­erdegeg­ner­in habe sich auf die Notzuständigkeit nach Art. 3 IPRG berufen, um ihren Antrag auf Bestel­lung eines Schied­srichters beim juge d’appui zu begrün­den. Ob diese Bes­tim­mung auf inter­na­tionale Schiedsver­fahren anwend­bar sei, sei jedoch unklar. Fol­glich könne eine Partei nicht gezwun­gen wer­den, an einem Schiedsver­fahren teilzunehmen, ohne die inter­na­tionale Zuständigkeit des schweiz­erischen juge d’appui anfecht­en zu kön­nen, der einen Schied­srichter für die Durch­führung eines Schiedsver­fahrens mit Sitz im Aus­land ernan­nt habe. Daher müsse eine Beschw­erde vor­liegend zuläs­sig sein. Im vor­liegen­den Fall recht­fer­tige sich zudem, die Beschw­erde zuzu­lassen, weil der Staat die Möglichkeit haben muss, die Immu­nität­seinrede prüfen zu lassen.

Die für die Beschw­erde zuständi­ge Instanz sei gemäss dem Bun­des­gericht direkt das Bun­des­gericht. Dies folge daraus, dass Art. 352 Abs. 2 ZPO, der lück­en­fül­lend auf die Ernen­nung der Schied­srichter nach Art. 179 Abs. 2 IPRG anzuwen­den sei, vorse­he, dass eine einzige Instanz (i.S.v. Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG) für die Ernen­nung von Schied­srichtern zuständig sei.

Als näch­stes befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage der Staaten­im­mu­nität von der Gerichts­barkeit. Diese werde durch das Völk­erge­wohn­heit­srecht geregelt, wobei das Übereinkom­men der Vere­in­ten Natio­nen über die Immu­nität der Staat­en und ihres Ver­mö­gens von der Gerichts­barkeit (nach­fol­gend: «Übereinkom­men») als Inspi­ra­tionsquelle zur Beant­wor­tung der Frage beizuziehen sei.

Das Bun­des­gericht stellte klar, dass der Staat N. seine Staaten­im­mu­nität rechtzeit­ig gel­tend gemacht und nicht darauf verzichtet habe. Eine Teil­nahme am Ver­fahren mit dem alleini­gen Ziel, die Immu­nität anzufecht­en, stelle keinen Verzicht auf die Staaten­im­mu­nität dar. Denn gemäss Art. 17 des Übereinkom­mens müsse ein Staat eine schriftliche Schiedsvere­in­barung abschliessen, damit ein solch­er Verzicht angenom­men wer­den könne. Vor­liegend liege keine schriftliche Schiedsvere­in­barung vor. Diese beste­he nur zwis­chen X. und Y. Fol­glich könne der Staat N. nicht gezwun­gen wer­den, am Schiedsver­fahren teilzunehmen.

Das Bun­des­gericht hob daher den Entscheid auf und wies das Ver­fahren zur Neubeurteilung zurück. Dabei stellte es klar, dass der Staat N. vom Ver­fahren auszuschliessen sei und kein Schied­srichter gegen seinen Willen zu ernen­nen sei.