In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 4A_282/2024 vom 7. Mai 2025 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob neue Tatsachen und Beweismittel im Zusammenhang mit den Voraussetzungen nach Art. 260 SchKG vor dem Berufungsgericht vorgebracht werden dürfen und inwiefern das Gericht verpflichtet ist, den Sachverhalt im Zusammenhang mit den Prozessvoraussetzungen zu ermitteln. Es kam zum Schluss, dass die Nachreichung der Rückseite der Abtretungsverfügung erst mit der Berufungsantwort ein unzulässiges Novum darstellt, und dass die Erstinstanz nicht verpflichtet gewesen wäre, den anwaltlich vertretenen Kläger auf die fehlende Rückseite aufmerksam zu machen, da der Beklagte diesen Umstand noch vor der Hauptverhandlung moniert hatte und die unvollständige Urkunde die Beweisofferte des Klägers darstellt, die im Rahmen der Beweiswürdigung zu beurteilen ist, was eine Anwendung von Art. 56 ZPO ausschliesst.
Dem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger hatte als Prozessstandschafter der Konkursmasse der C SA Klage gegen den Beklagten vor dem Bezirksgericht Sitten erhoben. Er machte geltend, dass ihm die Rechte zur Prozessführung gemäss Art. 260 SchKG abgetreten worden seien, und reichte lediglich die Vorderseite der Abtretungsverfügung (die in der Form eines Formulars erlassen wurde) ein. Der Beklagte beantragte daraufhin beim Bezirksgericht, auf die Klage nicht einzutreten. Mit Urteil vom 28. August 2020 hiess das Bezirksgericht Sitten die Klage des Klägers gut und verpflichtete den Beklagten, CHF 100’000 zzgl. Zins zu 5% seit dem 12. Januar 2016 zu bezahlen. Dagegen erhob der Beklagte Berufung beim Walliser Kantonsgericht, welche mit Urteil vom 30. November 2020 abgewiesen wurde. Im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem Kantonsgericht reichte der Kläger die Rückseite der Abtretungsverfügung nach. Obwohl das Kantonsgericht der Ansicht war, dass die Voraussetzungen von Art. 317 Abs. 1 ZPO nicht vorlägen, erachtete es die nachgereichte Rückseite der Abtretungsverfügung aufgrund des Verbots des überspitzten Formalismus als zulässig. Aufgrund der schlechten Qualität der Kopie und der fehlenden Rückseite hätte das Bezirksgericht dem Kläger die Gelegenheit geben müssen, diese Beilage zu vervollständigen.
Mit Eingabe vom 13. Mai 2024 erhob der Beklagte Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht. Mit Urteil vom 7. Mai 2025 hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut und wies die Sache zur Neuregelung der kantonalen Kosten- und Entschädigungsfolgen an die Vorinstanz zurück.
Die Prozessstandschaft nach Art. 260 SchKG als Prozessvoraussetzung
Das Bundesgericht erwog zunächst, dass die Prozessstandschaft nach Art. 260 SchKG eine Prozessvoraussetzung darstellt, die gemäss Art. 60 ZPO von Amtes wegen zu prüfen ist (E. 3.1.1).
Prüfung der Prozessvoraussetzungen und Novenschrank
Sodann erwog das Bundesgericht, dass die Prozessvoraussetzungen gemäss Art. 60 ZPO von Amtes wegen zu prüfen sind, selbst bei der Verhandlungsmaxime (Art. 55 Abs. 1 ZPO). Im Rahmen dieser Prüfung müssen daher Noven bis zur Urteilsberatung berücksichtigt werden (Art. 229 Abs. 3 ZPO). Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht die Sachverhaltselemente selbst suchen muss, welche das Vorliegen der Prozessvoraussetzungen belegen. Im Gegenteil enthebt es die Parteien nicht davon, an der Sammlung des Prozessstoffes aktiv mitzuwirken und dem Gericht das in Betracht fallende Tatsachenmaterial zu unterbreiten und die Beweismittel zu bezeichnen (E. 3.1.2).
Das Gericht hat nur dann von Amtes wegen Abklärungen vorzunehmen, wenn die Gefahr besteht, dass ein Sachurteil trotz Fehlen einer Prozessvoraussetzung ergeht. Die Pflicht, den Tatsachen nachzugehen oder diese von Amtes wegen zu berücksichtigen, betrifft also lediglich Umstände, welche die Zulässigkeit der Klage hindern und ein Nichteintreten begründen können. Das Gericht ist allerdings nicht zu ausgedehnten Nachforschungen verpflichtet. Vor diesem Hintergrund sind Noven, die sich auf einen die Zulässigkeit der Klage bejahenden Umstand beziehen, unzulässig und können nur im Rahmen von Art. 317 Abs. 1 ZPO berücksichtig werden. Dies gilt auch für den neuen Art. 317 Abs. 1bis ZPO (der am 1. Januar 2025 in Kraft getreten ist) (E. 3.1.2).
Die Bedeutung von Art. 56 ZPO
In der Folge setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Erstinstanz nach Art. 56 ZPO verpflichtet gewesen wäre, den Kläger auf die fehlende Rückseite aufmerksam zu machen. Dabei rief es seine Rechtsprechung zu Art. 56 ZPO in Erinnerung. Der Zweckgedanke der allgemeinen gerichtlichen Fragepflicht nach Art. 56 ZPO besteht darin, dass eine Partei nicht wegen Unbeholfenheit ihres Rechts verlustig gehen soll, indem der Richter bei klaren Mängeln der Parteivorbringen helfend eingreifen soll. Die Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht darf keine Partei einseitig bevorzugen und nicht zu einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Parteien führen. Vor allem dient die gerichtliche Fragepflicht nicht dazu, prozessuale Nachlässigkeiten der Parteien auszugleichen. Bei anwaltlich vertretenen Parteien hat die richterliche Fragepflicht nur eine sehr eingeschränkte Tragweite. Die gerichtliche Fragepflicht wird nur ausgelöst, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 56 ZPO gegeben sind, mithin ein unklares, widersprüchliches, unbestimmtes oder offensichtlich unvollständiges Parteivorbringen vorliegt.Die gerichtliche Fragepflicht trägt dem Richter freilich nicht auf, einer Partei bei der Beweisführung behilflich zu sein. Die Beurteilung der Beweiskraft eines eingereichten Beweismittels bildet Beweiswürdigung und kann daher nicht Gegenstand der gerichtlichen Fragepflicht sein (E. 3.1.3).
Im konkreten Fall hatte die Vorinstanz festgestellt, dass der Beklagte die Prozessstandschaft des Klägers in seiner Klageantwort vom 22. Mai 2018 bestritten hatte und in einer Eingabe vom 27. Dezember 2018 — also noch vor der Urteilsberatung — darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Abtretungsverfügung unvollständig ist (E. 3.2).
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Vorinstanz diese Grundsätze missachtet hat, indem sie die Nachreichung der Rückseite als zulässig erklärte. Da es sich bei der Abtretungsverfügung um einen die Zulässigkeit der Klage begründenen Umstand handelt, musste diese Frage nicht von Amtes wegen geklärt werden. Ferner stellt es eine weitere prozessuale Nachlässigkeit dar, dass der anwaltlich vertretene Kläger die Rückseite nicht vor der Urteilsberatung nachgereicht hat, nachdem er vom Beklagten darauf aufmerksam gemacht wurde. Schliesslich stellt die unvollständige Urkunde die Beweisofferte des Klägers für seine Behauptungen dar, die das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung zu beurteilen hat. Vor diesem Hintergrund erwog das Bundesgericht, dass die Erstinstanz nicht verpflichtet gewesen wäre, ihre richterliche Fragepflicht auszuüben (E. 3.3):
“La cour cantonale a méconnu que la maxime inquisitoire simple régissant l’établissement des faits nécessaires pour juger des conditions de recevabilité de la demande, n’oblige le tribunal à tenir compte d’office que des circonstances qui font obstacle à la recevabilité de la demande et peuvent justifier une non-entrée en matière. Or, la preuve du fait que le demandeur s’était vu céder les droits de la masse en faillite était une circonstance accréditant la recevabilité de la demande et non y faisant obstacle. Le juge de première instance n’avait donc pas à établir les faits d’office sur ce point.
De plus, lorsqu’il interpelle la partie en vertu de l’art. 56 CPC, le juge doit veiller à ne pas avantager unilatéralement une partie. Il doit en particulier intervenir pour éviter qu’une partie ne perde son droit par inexpérience, mais pas pour corriger les négligences procédurales graves d’une partie, a fortiori représentée par un avocat. Or, outre “l’erreur de photocopieuse” qui constitue déjà une première négligence, l’omission pour la partie représentée par un avocat, de compléter la pièce mal photocopiée, alors que son attention a été attirée sur ce défaut par le défendeur et qu’un laps de temps d’un an et demi s’est encore écoulé avant le début de la phase de délibération, constitue assurément une négligence procédurale, que le juge ne saurait corriger sans avantager la partie demanderesse. La cour cantonale ne pouvait donc pas considérer que le juge de première instance avait le devoir d’interpeller le demandeur, sans violer les conditions de l’art. 56 CPC.
Enfin, dans la mesure où la partie demanderesse a allégué s’être fait céder les droits de la masse en faillite et a offert à titre de preuve le formulaire n° 7F, censé attester de cette cession, l’allégué et l’offre de preuve étaient complets. Le juge n’a donc plus matière à interpeller la partie sur ces points. Constater que la preuve proposée est insuffisante et que, faute de comporter la date et la signature de l’office des faillites, elle ne permet pas de prouver que les droits de la masse en faillite ont effectivement été cédés au demandeur, ressortit à l’appréciation de la force probante du moyen de preuve offert. Celle-ci ne fait pas l’objet du devoir d’interpellation du juge, qui ne porte que sur l’allégué et l’offre de preuve.
Par conséquent, le juge de première instance n’avait pas à interpeller le demandeur sur le fait que le moyen de preuve produit n’était pas probant en vertu de l’art. 56 CPC. (…)”