In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_456/2024 vom 12. Juni 2025 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, ob ein Erbverzicht eine anfechtbare Handlung i.S.v. Art. 288 Abs. 1 SchKG darstellt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der unentgeltliche Erbverzicht nach Art. 495 ff. ZGB mangels Beeinträchtigung der Exekutionsrechte der Gläubiger keine anfechtbare Handlung ist, da der Schuldner in diesem Fall lediglich auf eine unpfändbare Anwartschaft verzichtet.
Diesem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
C, Sohn von D, verzichtete in einem Erbverzichtsvertrag zugunsten seiner Kinder A und B auf seinen Erbanspruch am Nachlass seiner Mutter D. Daraufhin räumte ihm D ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht an einer Liegenschaft in Chur ein. Nach dem Tod von D wurden A und B als Eigentümer der Liegenschaft im Grundbuch eingetragen.
Die Stadt Chur hatte C betrieben und war im Besitz mehrer Pfändungsverlustscheine im Gesamtwert von CHF 43’091.50. In der Folge reichte sie eine Klage gegen C ein und machte dabei geltend, dass der Erbverzicht von C paulianisch anfechtbar sei. Mit Entscheid vom 8. September 2023 hiess das Regionalgericht Plessur die Klage der Stadt Chur gut und ermächtigte die Stadt Chur, unter Duldungspflicht von A und B, das in Frage stehende Grundstück zur Deckung der Forderung im Umfang von CHF 43’091.50 mit Beschlag zu belegen und amtlich verwerten zu lassen. Mit Urteil vom 3. Juni 2024 hiess das Kantonsgericht von Graubünden die Berufung von C gut, hob das Urteil auf und wies die Anfechtungsklage ab.
Dagegen erhob die Stadt Chur mit Eingabe vom 21. Juli 2024 Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht. Mit Urteil vom 12. Juni 2025 wies das Bundesgericht die Beschwerde ab.
Art. 288 Abs. 1 SchKG setzt eine Gläubigerschädigung voraus
Zunächst rief das Bundesgericht seine Rechtsprechung zu Art. 288 Abs. 1 SchKG in Erinnerung (E. 4.4.1):
„Gemäss Art. 288 Abs. 1 SchKG sind alle Rechtshandlungen anfechtbar, welche der Schuldner innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Pfändung oder Konkurseröffnung in der dem andern Teil erkennbaren Absicht vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen oder einzelne Gläubiger zum Nachteil anderer zu begünstigen. Die Absichtsanfechtung (Marginalie zu Art. 288 SchKG) setzt in objektiver Hinsicht eine Gläubigerschädigung durch eine innerhalb der Verdachtsfrist vorgenommene Rechtshandlung des Schuldners und in subjektiver Hinsicht die Schädigungsabsicht des Schuldners sowie deren Erkennbarkeit für den Dritten voraus.“
Paulianische Anfechtung und Erbverzicht
In der Folge führte das Bundesgericht aus, dass es sich im Entscheid BGE 138 III 497 mit der Frage der paulianischen Anfechtung eines Erbverzichtsvertrags gemäss Art. 286 SchKG (Schenkungspauliania) befasst hat. Zwar erwog das Bundesgericht in diesem Entscheid , dass der Erbverzicht weder eine Schenkung noch eine unentgeltliche Verfügung i.S.v. Art. 286 SchKG (Schenkungspauliana) ist. Zu den anderen Tatbestandsmerkmalen der Absichtsanfechtung gemäss Art. 288 SchKG musste es sich jedoch nicht äussern, da die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht des Schuldners in jenem Fall nicht bewiesen war (E. 4.4.2).
Daraufhin setzte sich das Bundesgericht mit dem im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnten objektiven Tatbestandsmerkmal der Gläubigerschädigung durch die Rechtshandlung gemäss Art. 288 Abs. 1 SchKG der auseinander (E. 4.4.3):
„Die Anfechtungsklage dient der Wiedergutmachung eines den Gläubigern oder einem Teil davon zugefügten Nachteils (…). Sie richtet sich darauf, das aus vollstreckungsrechtlicher Sicht unrechtmässig entäusserte Vermögen in die Zwangsvollstreckung zurückzuführen und damit die Exekutionsrechte der Gläubiger wiederherzustellen (…). Objektive Voraussetzung der paulianischen Anfechtungsklage bildet daher in jedem Fall, dass die angefochtene Handlung die Gläubiger oder einzelne von ihnen durch Beeinträchtigung ihrer Exekutionsrechte schädigt, indem sie das Vollstreckungsergebnis oder ihren Anteil daran vermindert oder ihre Stellung im Vollstreckungsverfahren sonstwie verschlechtert (…).“
In diesem Zusammenhang erwog das Bundesgericht, dass die Gläubiger durch den Verzicht des Schuldners auf den Erwerb neuen Vermögens nicht in ihren Exekutionsrechten beeinträchtigt werden. Denn aus dem Anfechtungsrecht lässt sich keine allgemeine Pflicht des Schuldners gegenüber den Gläubigern ableiten, sein Vermögen künftig zu vermehren und das Exekutionssubstrat zu vergrössern (E. 4.4.4):
„Am Vermögen, das der Schuldner zu erwerben unterlassen hat, haben die Gläubiger nie Exekutionsrechte gehabt. Sie gehen folglich keiner Exekutionsrechte verlustig, die durch eine Anfechtungsklage wieder hergestellt werden könnten. Rechtshandlungen, mit denen der Schuldner auf den Erwerb neuen Vermögens verzichtet, sind daher nicht nach den Art. 285 ff. SchKG anfechtbar (…).“
In der Folge untersuchte das Bundesgericht die Rechtsnatur des Erbverzichtsvertrags und kam zu dem Schluss, dass es sich zwar um eine Rechtshandlung des Schuldners handelt, die die Exekutionsrechte der Gläubiger jedoch nicht beeinträchtigt. Denn mit dem Erbverzichtsvertrag verzichtet der Erbe gemäss Art. 495 ff. ZGB nicht auf bereits bestehendes Vermögen, sondern lediglich auf eine Anwartschaft, während der Erblasser bis zu seinem Tod frei über sein Vermögen verfügen kann. Da Anwartschaften oder Rechte mit ungewisser Entstehung und von ungewissem Umfang, wozu insbesondere auch die Erbanwartschaft gehört, jedoch unpfändbar sind, stellt der Verzicht auf eine Erbanwartschaft keine gemäss Art. 288 SchKG anfechtbare Handlung dar (E. 4.4.5).
Aus diesem Grund kam das Bundesgericht zum Schluss, dass es bei einem Erbverzicht gemäss Art. 495 ff. ZGB an der im Rahmen des objektiven Tatbestands von Art. 288 Abs. 1 SchKG erforderlichen Beeinträchtigung von Exekutionsrechten der Gläubiger fehlt, weshalb das Kantonsgericht im konkreten Fall bundesrechtskonform entschieden hat, dass der unentgeltliche Erbverzicht des Schuldners keine im Sinn dieser Bestimmung anfechtbare Rechtshandlung ist (E. 4.5).