5A_149/2007: Anfechtung eines Stockwerkeigentümerversammlungsbeschlusses (amtl. Publ.)

Am 20. August 2008 veröf­fentlichte das Bun­des­gericht den zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid 5A_149/2007.

Bis­lang wurde die Frage, ob und in welchem Aus­mass Art. 68 ZGB — kraft der Ver­weisungsnorm von Art. 712m Abs. 2 ZGB — auf die Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft Anwen­dung find­et, in der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung offen gelassen.

Das BGer bejahte vor­liegend die grund­sät­zliche Anwend­barkeit von Art. 68 ZGB im Kon­text der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft und äusserte sich auch zum Umfang der Verweisung.

Zu beacht­en ist nun­mehr ins­beson­dere der Umstand, dass der Stimm­recht­sauss­chluss gem. Art. 68 ZGB zwar nicht für die Wahl als Ver­wal­ter der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft, wohl aber für die “Wahl” als Abwart gilt. Sodann gilt es zu bedenken, dass auch wenn der Stimm­recht­sauss­chluss nicht in die Wahl als Ver­wal­ter ein­greift, Art. 68 ZGB ungeachtet dessen die Beschlussfas­sung über die Entlöh­nung auss­chliessen kann.

Die Stock­w­erkeigen­tümerver­samm­lung set­zte sich aus vier Parteien zusam­men, namentlich aus der Beschw­erde­führerin, E., A.B. und der Y AG. Nach mehreren Ver­schiebungs­ge­suchen und Briefwech­seln fand im Dezem­ber 2003 eine ausserord. Stock­w­erkeigen­tümerver­samm­lung in Abwe­sen­heit der Beschw­erde­führerin und E statt. Anwe­send waren lediglich A.B als Vertreter der Y AG und dessen Ehe­frau C.B als Vertreterin von A.B.

An der fraglichen Ver­samm­lung wur­den u.a. Beschlüsse gefasst über (1) die Neuwahl eines Ver­wal­ters, (2) die Wahl eines Abwarts, und über (3) die Fest­set­zung der Entschädi­gung für Ver­wal­ter und Abwart.

Gegen­stand der Beschw­erde war mitunter die Wahl von C.B. zur Ver­wal­terin und Abwartin sowie die Fest­set­zung ihrer Entschädi­gung (E. 3). Die Beschw­erde­führerin rügte ins­beson­dere, dass sich eine bevollmächtigte Per­son nicht sel­ber zum Ver­wal­ter wählen und zusät­zlich ihre eigene Entschädi­gung fes­tle­gen könne.

Die Bestel­lung des Ver­wal­ters obliegt der Stock­w­erkeigen­tümerver­samm­lung (Art. 712m Abs. 1 Ziff. 2 ZGB). Nach Art. 712m Abs. 2 find­en auf die Ver­samm­lung der Stock­w­erkeigen­tümer die Vorschriften über die Organe des Vere­ins und über die Anfech­tung von Vere­ins­beschlüssen Anwendung.

Das BGer ver­weist zunächst darauf, dass die grund­sät­zliche Anwend­barkeit und spez­i­fisch das Aus­mass in dem Art. 68 ZGB kraft der Ver­weis­norm auf die Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft Anwen­dung find­et, in der Lehre umstrit­ten sei (E. 3.4). Das BGer ver­wirft die gegen die Anwen­dung von Art. 68 ZGB vorge­bracht­en Argu­mente (E. 3.4) und führt aus, dass

(g)erade weil die einzel­nen Stock­w­erkeigen­tümer in der Regel nicht einen gemein­samen Zweck, son­dern eigene — und somit möglicher­weise gegen­läu­fige — wirtschaftliche Inter­essen ver­fol­gen, welche durch die Beschlüsse der Gemein­schaft unmit­tel­bar tang­iert sein kön­nen, (…) ein beson­deres Bedürf­nis nach einem Stimm­recht­sauss­chluss nach Art. 68 ZGB (beste­ht). Dies gilt erst recht für Stock­w­erkein­heit­en, in welchen eine Mehrheit famil­iär ver­bun­den ist und beab­sichtigt, untere­inan­der oder mit gemäss dieser Bes­tim­mung nahe ste­hen­den Per­so­n­en ein Rechts­geschäft abzuschliessen.”

Mit Blick auf Art. 68 ZGB argu­men­tierte das BGer mit ver­schiede­nen Dif­feren­zierun­gen. Es unter­schied “Rechts­geschäfte i.S.v. Art. 68 ZGB” zum einen und “interne Ver­wal­tungsak­te” zum anderen (E. 3.5). Fern­er dif­feren­zierte das Gericht zwis­chen der Wahl des Ver­wal­ters (hier mit Analo­gien zum Vere­in­vor­stand) und der Wahl des Abwarts.

Hin­sichtlich der Wahl der Ver­wal­terin der Stock­w­erkeigen­tümerge­mein­schaft ver­weist das BGer auf die Recht­sprechung betr­e­f­fend Wahlen in den Vere­insvor­stand. Dabei han­dle es sich nicht um ein Rechts­geschäft i.S.v. Art. 68 ZGB, son­dern um einen inter­nen Ver­wal­tungsakt. Danach sind auch diejeni­gen Vere­ins­mit­glieder wahlberechtigt, um deren Ernen­nung in den Vor­stand es konkret geht. Dementsprechend kann auch ein Stock­w­erkeigen­tümer an einem Beschluss teil­nehmen, welch­er seine Wahl zum Ver­wal­ter bet­rifft (E 3.5).

Demge­genüber bet­rifft der Beschluss auf Leis­tung ein­er Entlöh­nung für die Ver­wal­ter-Tätigkeit (nach der h.L.) ein Rechts­geschäft gem. Art. 68 ZGB. Der betr­e­f­fende Stock­w­erkeigen­tümer wird daher an dieser Beschlussfas­sung als nicht stimm­berechtigt betra­chtet. Dies­bezüglich sei die Anwen­dung von Art. 68 ZGB gerecht­fer­tigt, da der Lohn­zahlungs­beschluss über einen inter­nen Ver­wal­tungsakt hin­aus­ge­ht und den betr­e­f­fend­en Stock­w­erkeigen­tümer wirtschaftlich begün­stigt. Der Stimm­recht­sauss­chluss beste­ht sodann unab­hängig davon, ob die Höhe der betr­e­f­fend­en Entschädi­gung angemessen ist oder nicht.

Sodann prüfte das BGer die Beschlüsse bzgl. Wahl eines Abwarts sowie den Beschluss auf Leis­tung ein­er Entlöh­nung für die Abwart­stätigkeit (E 3.7). Das BGer betonte vor­ab, dass dem Abwart — im Gegen­satz zum Ver­wal­ter — keine organähn­liche Stel­lung zukommt. Das BGer stützte sich hier­bei auf das Argu­ment, dass die Funk­tions­fähigkeit der Gemein­schaft grund­sät­zlich nicht entschei­dend vom Abwart abhän­gen würde. Dem­nach stelle die Ernen­nung des Abwarts keinen mit der Wahl des Ver­wal­ters ver­gle­ich­baren inter­nen Ver­wal­tungsakt dar. Vielmehr ste­he hier das rechts­geschäftliche Ele­ment im Vorder­grund, das in aller Regel im Abschluss eines Arbeitsver­trags beste­ht. Vor diesem Hin­ter­grund lag somit ein Rechts­geschäft i.S.v. Art. 68 ZGB vor, wom­it der Stimm­recht­sauss­chluss in dieser Frage griff.

Im Ergeb­nis ergab sich fol­gen­des Bild:
C.B. und ihr Ehe­mann A.B. waren zur Teil­nahme an der Teil­nahme des Ver­wal­ters, nicht aber an der Wahl des Abwarts sowie am Beschluss betr­e­f­fend die Entschädi­gung berechtigt.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass C.B. ihren Ehe­mann ver­trat und dieser sein­er­seits als Vertreter der Y AG han­delte. Soweit es um die Vertre­tung von A.B. ging, war gem. Art. 68 ZGB sowohl er als auch seine Ehe­frau als seine Vertreterin vom Stimm­recht ausgeschlossen.

Nach­dem das BGer die oben aus­ge­führten Ver­weisun­gen ins Vere­in­srecht abhan­delte, kam es zusät­zlich noch zum einem “Aus­flug ins Aktien­recht”: Im Zusam­men­hang mit der Vertre­tung der Y AG ver­wies das BGer auf seine Recht­sprechung zu Art. 695 Abs. 1 OR betr­e­f­fend den Stimm­recht­sauss­chluss bei Déchargebeschlüssen. Danach ist ein mit der Geschäfts­führung ein­er AG betrauter Aktionär von der Beschlussfas­sung an der GV auch dann aus­geschlossen, soweit er die Stim­men eines nicht an der Geschäfts­führung beteiligten Aktionärs ver­tritt. Das BGer überträgt dieses Argu­ment auf die Stockwerkeigentümergemeinschaft:

Dies gilt auch für einen vom Stimm­recht aus­geschlosse­nen Stock­w­erkeigen­tümer, der in Vertre­tung eines anderen Stock­w­erkeigen­tümers abstillen soll. Somit war A.B. dies­bezüglich nicht zur Stim­ma­b­gabe berechtigt, unab­hängig davon, ob die durch ihn vertretene Y AG sel­ber vom Stimm­recht aus­geschlossen gewe­sen wäre.”

Zusam­men­fassend ergab sich, dass die von C.B. und ihrem Ehe­mann (A.B.) abgegebe­nen Stim­men hin­sichtlich der Wahl des Abwarts sowie des Beschlusses über die Entlöh­nung als ungültig zu betra­cht­en und nicht zu zählen waren. Da diese bei­den Per­so­n­en die einzi­gen Teil­nehmer der Stock­w­erkeigen­tümerver­samm­lung waren, war der betr­e­f­fende Beschluss nicht zus­tande gekommen.