6B_979/2009: Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln

Das Bun­des­gericht hat­te anlässlich des Ver­fahrens 6B_979/2009 (Urteil vom 21. Okto­ber 2010) Gele­gen­heit, sich zur Abgren­zung zwis­chen Arzneimit­teln und Lebens­mit­teln zu äussern, wobei es auf eine neue Recht­sauf­fas­sung des Bun­de­samts für Gesund­heit (BAG) und des Schweiz­erischen Heilmit­telin­sti­tuts (Swissmedic) hin­weist (vgl. etwa den Bericht zu den Abgren­zungskri­te­rien vom 1. Mai 2009, der auf den Home­pages von BAG und Swissmedic ein­se­hbar ist).

Unter Abweisung der Beschw­erde gegen eine Verurteilung wegen mehrfachen gewerb­smäs­si­gen Her­stel­lens und Inverkehrbrin­gens von zulas­sungspflichti­gen, aber nicht zuge­lasse­nen Arzneimit­teln (Art. 87 Abs. 2 i.V.m. Art. 87 Abs. 1 lit. f und Art. 86 Abs. 1 lit. b HMG) stellt es fest:

4.2 Die Abgren­zung zwis­chen Lebens­mit­teln und Arzneimit­teln kann schwierig sein. Zwis­chen dem Lebens­mit­tel- und dem Heilmit­tel­recht beste­ht indessen kein rechts­freier Raum (BGE 127 II 91 E. 3a/aa). […] Ob ein Pro­dukt im Sinne der Def­i­n­i­tion des Arzneimit­tel­be­griffs in Art. 4 Abs. 1 lit. a HMG zur medi­zinis­chen Ein­wirkung auf den men­schlichen Organ­is­mus bes­timmt ist, beurteilt sich nach objek­tiv­en Kri­te­rien. Die Zusam­menset­zung des Pro­duk­ts ist dabei nur ein Kri­teri­um neben andern. Ein Prä­parat ist daher nicht schon dann und deshalb ein Arzneimit­tel im Sinne der Heilmit­telge­set­zge­bung, wenn und weil es einen Wirk­stoff enthält, der in den Stof­flis­ten aufge­führt wird, welche das Insti­tut gestützt auf Art. 20 […] VAM […] erstellt und kon­tinuier­lich dem Stand von Wis­senschaft und Tech­nik anpasst. […] Die Arzneimit­telverord­nung regelt die Ein­teilung der Arzneimit­tel in ver­schiedene Abgabekat­e­gorien unter anderem nach Mass­gabe der in den Arzneimit­teln enthal­te­nen Stoffe, doch ergibt sich aus der Arzneimit­telverord­nung nicht, unter welchen Voraus­set­zun­gen ein Pro­dukt über­haupt ein Arzneimit­tel ist. Da insoweit die gesamten Umstände des Einzelfall­es mass­gebend sind, ist es möglich, dass von zwei ver­schiede­nen Pro­duk­ten mit inhaltlich gle­ich­er Zusam­menset­zung in Anbe­tra­cht der übri­gen Umstände das eine Pro­dukt als Lebens­mit­tel und das andere als Arzneimit­tel zu qual­i­fizieren ist. Zu den für die Abgren­zung mass­geben­den Umstän­den gehören die Zusam­menset­zung des Pro­duk­ts, die phar­makol­o­gis­chen Wirkun­gen ein­schliesslich der uner­wün­scht­en Neben­wirkun­gen und der Ver­wen­dungszweck nach dem Ein­druck des durch­schnit­tlichen Kon­sumenten. Welchen Ein­druck der Kon­sument in Bezug auf den Ver­wen­dungszweck gewin­nt, hängt von ver­schiede­nen Umstän­den ab. Von Bedeu­tung sind unter anderem die Art und Weise der Präsen­ta­tion des Pro­duk­ts, die Auf­machung, die Dar­re­ichungs­form und die Vertriebskanäle […].

4.5.2 Ob ein bes­timmtes Prä­parat in Anbe­tra­cht der geset­zlichen Regelung als Arzneimit­tel oder als Lebens­mit­tel beziehungsweise Nahrungsergänzungsmit­tel zu qual­i­fizieren ist und welche Umstände hiebei zu berück­sichti­gen sind, ist eine Rechts­frage, die vom Gericht zu entschei­den ist und für deren Beurteilung es keines wis­senschaftlichen Gutacht­ens bedarf. Tat­frage ist hinge­gen, ob und inwiefern die rechtlich rel­e­van­ten Umstände im konkreten Einzelfall gegeben sind. Insoweit kann etwa hin­sichtlich der Zusam­menset­zung und der Wirkun­gen eines Prä­parats der Beizug eines Sachver­ständi­gen geboten sein.