2C_450/2010: Energieliefersperre kein blosser Realakt und gegenüber Mietern unverhältnismässig

Die Indus­trielle Werke Basel (IWB) sper­rten die Strom­liefer­ung für den Warmwasser­boil­er und den Lift ein­er Liegen­schaft in Basel, weil deren Eigen­tümer während zwei Jahren die Rech­nun­gen für die All­ge­me­in­strom­liefer­un­gen nicht beglich. Mieter X, dessen Fest­stel­lungs- und Entschädi­gungs­begehren vom Apel­la­tion­s­gericht abgewiesen wor­den war, machte vor dem Bun­des­gericht u.a. gel­tend, das vorin­stan­zliche Urteil ver­let­ze seinen Anspruch auf rechtlich­es Gehör und erweise sich als unver­hält­nis­mäs­sig. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde mit dem zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 15. Dezem­ber 2010 (2C_450/2010) gut.

1. Anspruch auf rechtlich­es Gehör

Nach Auf­fas­sung des Bun­des­gerichts han­delt es sich bei der Liefersperre von Ver­sorgungsleis­tun­gen gemäss § 24 lit. a aIW­BG nicht um einen reinen Realakt. Ent­ge­gen der Vorin­stanz kommt es zu dem Schluss, dass ein­er solchen Mass­nahme eine Ver­fü­gung voranzuge­hen hat , weshalb dem Beschw­erde­führer auch vor­weg das rechtliche Gehör hätte gewährt wer­den müssen:

5.5 Wird eine Liefersperre auf Seit­en der Indus­triellen Werke beschlossen, läuft dies auf die Ver­weigerung ein­er Leis­tung hin­aus, auf die grund­sät­zlich ein Anspruch beste­ht. Eine solche plan­bare und lediglich unter bes­timmten geset­zlichen Voraus­set­zun­gen zuläs­sige Mass­nahme kann nicht durch reinen Realakt umge­set­zt wer­den. Es trifft zwar zu, dass es sich bei der eigentlichen Unter­brechung der Liefer­ung, d.h. ins­beson­dere beim Abschal­ten des Stromzu­flusses, um einen Realakt han­delt. Diesem hat aber die kor­rek­te Anord­nung voranzuge­hen, dass die rechtliche Verpflich­tung der Indus­triellen Werke zur Erbringung der Ver­sorgungsleis­tung bzw. der entsprechende Anspruch des Benützers als zumin­d­est vorüberge­hend aufge­hoben gelte, weil die geset­zlichen Voraus­set­zun­gen ein­er Liefersperre erfüllt seien. Dabei han­delt es sich um einen indi­vidu­ell-konkreten Hoheit­sakt, dem die Recht­snatur ein­er Ver­fü­gung zukommt und der in der entsprechen­den Form zu erge­hen hat. Dies muss umso mehr gel­ten, als die Benützer oder son­stige mass­ge­blich Betrof­fene rechtzeit­ig, d.h. vor Ein­stel­lung der Ver­sorgungsleis­tun­gen, die ihnen zuste­hen­den Ein­wände vor­brin­gen kön­nen müssen, weshalb die Liefersperre nicht zuläs­sig sein sollte. Insofern unter­schei­det sich eine auf unbes­timmte län­gere Dauer aus­gerichtete Liefersperre im Sinne ein­er reak­tiv­en Mass­nahme auf die Nichter­bringung der für die Ver­sorgungsleis­tung geschulde­ten Gegen­leis­tung (ins­beson­dere die Zahlung früher­er Gebühren) wesentlich von anderen nicht rechtzeit­ig vorherse­hbaren Unter­brüchen der Ver­sorgungsleis­tung. […] Demge­genüber ist die Liefersperre nach § 24 lit. a aIW­BG ohne weit­eres plan­bar und nicht von vorn­here­in zeitlich beschränkt, weshalb sie auf­grund ihrer Rechtswirkun­gen ein­er voraus­ge­hen­den Ver­fü­gung bedarf. Dabei ist das entsprechende Ver­fahren unter Ein­schluss der Anhörung der betrof­fe­nen Per­so­n­en einzuhal­ten.
5.6 Direk­ter Adres­sat dieser Ver­fü­gung ist der Benützer, d.h. bei der Liefer­ung von All­ge­me­in­strom der Grun­deigen­tümer bzw. Ver­mi­eter. Von der Ver­fü­gung betrof­fen sind aber auch die in § 24 lit. a aIW­BG aus­drück­lich genan­nten Drit­ten; sie müssen ins­beson­dere die Gele­gen­heit haben, den im Gesetz vorge­se­henen rechtlichen Ein­wand vorzubrin­gen, die Liefersperre bedeute für sie eine unzu­mut­bare Härte. Bei Mehrfam­i­lien­häusern hat sich daher die Ver­fü­gung betr­e­f­fend den All­ge­me­in­strom nicht nur an den Ver­mi­eter, son­dern auch an die mit­be­trof­fe­nen Mieter zu richt­en. […] Ver­langt ist nicht ein Ein­bezug aller son­st noch the­o­retisch möglichen Betrof­fe­nen, son­dern nur der für die Indus­triellen Werke in vorausse­hbar­er Weise berührten Drittper­so­n­en, für die sich die Liefersperre möglicher­weise als unzu­mut­bare Härte auswirken kann, wozu in erster Lin­ie die Mieter zählen. Die Indus­triellen Werke dürften im Übri­gen regelmäs­sig ohne weit­eres Ken­nt­nis davon haben, wer Mieter ein­er Liegen­schaft ist, da sie auch mit diesen in einem Benützungsver­hält­nis ste­hen. Ihnen ist daher Gele­gen­heit zu geben, sich vor Anord­nung der Liefersperre dazu zu äussern und ihre Ein­wände vorzubringen.

Im vor­liegen­den Fall wurde der Beschw­erde­führer – wie die anderen Mieter – lediglich mit einem Infor­ma­tion­ss­chreiben ori­en­tiert, welch­es laut Bun­des­gericht (E. 5.7) für eine recht­sunkundi­ge, nicht vertretene Per­son zu wenig geeignet gewe­sen ist, Grund­lage zur Wahrnehmung ihrer Rechte zu bilden. Damit wurde dem Beschw­erde­führer das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV ver­weigert, was auch nicht als nachträglich geheilt gel­ten kann, weil der Beschw­erde­führer im späteren Ver­fahren seine Ein­wände vor­brin­gen kon­nte. Den Betrof­fe­nen muss die Äusserungsmöglichkeit angesichts der mit der Liefersperre ver­bun­de­nen Fol­gen zwangsläu­fig vor deren Anord­nung zustehen.

2. Ver­hält­nis­mäs­sigkeit gegenüber Mietern

Fern­er weist das Bun­des­gericht (E. 6.3 f.) mit Blick auf die erforder­liche Ver­hält­nis­mäs­sigkeit der Liefersperre darauf hin, dass die vorgängige Betrei­bung und Zwangsvoll­streck­ung gegen den säu­mi­gen Energiebezüger – hier den Ver­mi­eter – zwar keine geset­zliche Voraus­set­zung der Liefersperre darstellt und auch nicht unter dem Gesicht­spunkt der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit zwin­gend erforder­lich ist, obwohl es ger­ade bei Mietliegen­schaften sin­nvoll sein kann, zunächst den Betrei­bungsweg zu beschre­it­en. Es stellt sich aber, ins­beson­dere gegenüber den betrof­fe­nen Mietern, die Frage der Zumut­barkeit der Liefersperre:

6.4 Ent­ge­gen der Ansicht der Vorin­stanz kommt den pri­va­trechtlichen Ver­hält­nis­sen im vor­liegen­den Zusam­men­hang keine entschei­dende Bedeu­tung zu. Zwar trifft es zu, dass sich die Mieter für Män­gel des Mieto­b­jek­ts an den Ver­mi­eter wen­den kön­nen. Die öffentlich-rechtliche Voraus­set­zung, wonach die Liefersperre gegenüber Drittper­so­n­en keine unzu­mut­bare Härte bewirken darf, würde aber unter­laufen, müssten immer zuerst alle pri­va­trechtlichen Möglichkeit­en aus­geschöpft wer­den. Analoges gilt für das Argu­ment, die Mieter kön­nten die Zahlungsausstände vorschiessen bzw. auf einem Sper­rkon­to hinterlegen.