Das Bundesgericht äussert sich im vorliegenden Urteil 4A_697/2010 zum Ersatz geringfügiger Massenschäden. Das Verfahren geht zurück auf die Klage gegen einen schweizerischen Cash & Carry-Anbieter (“CCA”). Der Kläger war beim Einkauf auf dem feuchten Boden ausgerutscht und war in der Folge aufgrund einer Schulterluxation zeitweilig erwerbsunfähig. Er berief sich auf Werkeigentümerhaftung iSv OR 58 I. Daraufhin erhob der CCA Widerklage auf Schadenersatz. Vor BGer war nur die Widerklage hängig. Die Widerklage fällt auch nach neuem Prozessrecht nicht dahin, wenn die Hauptklage rechtskräftig erledigt ist (das BGer stützt sich dabei auf Aebersold, Schon wieder klagen? Gedanken zur Widerklage gemäss Art. 224 ZPO, Zeitschrift für Prozessrecht 4/2010, 117 ff.).
Der CCA hatte vor erster Instanz (widerklageweise) geltend gemacht, durch erhöhten Reinigungsaufwand infolge des Abriebs von Gummisohlen auf dem grobporigen Betonboden der Verkaufshalle sei ihm ein Schaden in Form einer Vermehrung der Passiven (Lohnforderungen der Reinigungskräfte) entstanden.
Grundlage der Ersatzforderung war OR 41 iVm StGB 144 Ziff. 1. Das BGer bestätigt zunächst seine Rechtsprechung, wonach StGB 144 Schutznormcharakter hat, unter Hinweis auf das obiter dictum in 4C.296/1999. Der Tatbestand von StGB 144 war vorliegend erfüllt. Zwar lag keine Substanzbeeinträchtigung vor, doch war die Alternative des Unbrauchbarmachens bzw. der Beeinträchtigung des bestimmungsgemässen ästhetischen Eindrucks des Bodens gegeben:
“Fehlt eine Beeinträchtigung der Sachsubstanz, ist die Erfüllung des Tatbestands der Sachbeschädigung dann gegeben, wenn die Funktionsfähigkeit der Sache in mehr als nur unerheblicher Weise beeinträchtigt wurde (BGE 99 IV 145; BGE 128 IV 252). Ebenfalls erfüllt die Beeinträchtigung der Ansehnlichkeit der Sache den Tatbestand, sofern der ästhetische Eindruck zur bestimmungsgemässen Funktion der Sache zählt.”
[…]
Aus der Rechtsprechung ergibt sich sodann, dass einem aus unbedecktem und nicht auf unmittelbar wahrnehmbare Weise behandeltem Beton bestehender Boden eine ästhetische Qualität zukommen kann (Urteil 1A.11/2007 vom 16. Mai 2007, E. 4.4; ebenso Renata Palle, Das Einordnungs- und Ästhetikgebot des aargauischen Rechts und seine Anwendung auf moderne Werkstoffe, Diss. Bern u.a. 2008, Rz. 43, 244 ff. m.w.N.; teilweise abweichend Kurt Binggeli, Der urheberrechtliche Schutz von Bauwerken im Lichte des Rechtsmissbrauchsverbots, Habil. Zürich 1999, 83). Der Einwand des Beschwerdegegners, wonach der Werkstoff Beton von den angesprochenen Verkehrskreisen als “roh” bzw. kalt empfunden werde, ist in dieser Allgemeinheit nicht haltbar und wurde auch nicht substantiiert behauptet. Entscheidend ist indessen, dass es nicht auf die ästhetische Qualität der beschädigten Sache ankommt, sondern vielmehr auf ihre Funktion. An den Nachweis einer solchen sind angesichts des Umstands, dass die Gestaltung des Verkaufsraums in erster Linie eine absatzfördernde Funktion einnimmt und ein ästhetisches Erscheinungsbild diesen Zweck zu unterstützen geeignet bzw. dafür geradezu erforderlich ist, mithin im Interesse des Anbieters liegt, keine hohen Anforderungen zu stellen […]. Eine gewisse Ausdehnung des Tatbestands der Sachbeschädigung ist […] hinzunehmen.”
Der subjektive Tatbestand in Form des Eventualvorsatzes (StGB 12 II) war ebenfalls gegeben (zum Erfordernis des Vorsatzes bei der Schutznormverletzung vgl. unseren früheren Beitrag). Dass Schuhe mit Gummisohlen häufiger zu ersetzen bzw. neu zu besohlen sind als andere Schuhe mit widerstandsfähigerer Besohlung, entspricht allgemeiner Lebenserfahrung. Ferner wird entsprechender Abrieb durch das Betreten bzw. die Begehung des Betonbodens und infolgedessen eine Beeinträchtigung des ästhetischen Reizes zumindest billigend in Kauf genommen.
Auch das Vorliegen eines Schadens war zu bejahen. Die Beschwerdeführerin hatte den zusätzlichen jährlichen Reinigungsaufwand (der erhöhte Bedarf an Reinigungsmitteln war vor den kantonalen Instanzen nicht geltend gemacht worden) durch die wahrscheinliche Anzahl Besucher dividiert und dadurch den von einer Person durchschnittlich verursachten Zusatzaufwand berechnet. Das BGer schützt dieses Vorgehen unter Hinweis auf Bovier, Le dommage purement économique et écologique, in: Baliverne/Werraux/Hubert, Le droit et la chimie, Lausanne 2011, S. 924 ff. und gestützt auf OR 42 II; der Schluss, dass tatsächlich ein Reinigungsschaden vom behaupteten ungefähren Umfang eingetreten ist, drängt sich dem Bundesgericht “mit einer gewissen Überzeugungskraft” auf (vgl. Urteil 4A_462/2009 vom 16. März 2010, E. 2.2).
Auch der Kausalzusammenhang lag vor. Nach dem natürlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung ist der Gebrauch von Schuhen mit Gummisohlen — insbesondere von Sportschuhen, die aus Gründen der Stossdämpfung häufig mit einer weicheren Sohle ausgestattet sind — an sich geeignet, grobporige Böden wie den hier vorliegenden verstärkt zu verschmutzen und dadurch den Aufwand einer gründlichen Reinigung zu erhöhen bzw. eine häufigere Reinigung erforderlich zu machen (die Anwendung auf andere Schuhe, etwa mit Leder‑, aber auch durch Gummi lediglich verstärkten Ledersohlen, liess das BGer ausdrücklich offen).
Im Ergebnis bejaht das BGer die Widerklage. Der Streitwert im vorliegenden Fall lag bei CHF 17.50 (einer Stunde Reinigungsarbeit entsprechend). Jedoch war eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung (BGG 74 II a) zu beurteilen:
“1.2 Der Begriff der Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist restriktiv auszulegen […] (BGE 135 III 1 E. 1.3 S. 4; 134 III 115 E. 1.2 S. 117; differenzierend Amberg, Exemplifikation, Evolution und Restriktion im juristischen Systemdenken, Zeitschrift für Rechtssoziologie 3/2010, Rz. 48). Die Voraussetzung ist hingegen erfüllt, wenn ein allgemeines Interesse besteht […]. Eine neue Rechtsfrage kann vom Bundesgericht sodann beurteilt werden, wenn dessen Entscheid für die Praxis wegleitend sein kann, namentlich wenn von unteren Instanzen viele gleichartige Fälle zu beurteilen sein werden […].”
Die zweite Variante — absehbar grössere Zahl gleichartiger Fälle — war vorliegend gegeben. Das BGer äussert zwar eine gewisse Besorgnis, dass Klagen von Personen, die Publikumsverkehr auf grobporigen Böden (auch etwa Sandsteinböden) empfangen, stark zunehmen könnten. Indes besteht keine gesetzliche Grundlage, um — wie vom Beschwerdegegner verlangt — durch eine analoge Anwendung von StGB 172ter (geringfügige Vermögensdelikte) im Zivilrecht einen Mindeststreitwert für Schadenersatzansprüche zu begründen. Eine solche Anwendung verstiesse angesichts des aus BV 29a abzuleitenden Justizgewährungsanspruchs gegen die gebotene verfassungskonforme Anwendung von OR 41 ff. Es obliegt daher dem Gesetzgeber, bei Massenschäden geringer Bedeutung eine Lösung zu finden.