Das vorliegende Verfahren betraf die Zuständigkeit der Genfer Gerichte für eine negative Feststellungsklage. Hintergrund war eine Vereinbarung zwischen Mutter und Tochter im Zusammenhang mit der Aufteilung der Erbschaft des 2003 in Turin verstorbenen Vaters/Ehemanns (nach den Angaben um Urteil kann es sich nur um Gianni Agnelli handeln). Die Parteien hatten mit einer Saldoklausel die Zuteilung des Nachlasses geregelt und einen späteren Erbvertrag vorgesehen. Die Parteien vereinbarten die Zuständigkeit der Genfer Gerichte. Später klagte die Tochter in Turin gegen die Mutter, weil ihr Nachlasswerte verheimlicht worden seien. Die Turiner Gerichte erklärten sich für zuständig. Das LugÜ sei nicht anwendbar, weil die Vereinbarung das Gebiet des Erbrechts i.S.v. LugÜ 1 II a betreffe.
Daraufhin klagte die Mutter in Genf auf Feststellung der Gültigkeit der bewussten Vereinbarung. Auf diese Klage wurde nicht eingetreten. Auf Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid hält das BGer zunächst fest, dass die Vereinbarung zwischen Erben das Gebiet des Erbrechts betreffe:
Bien que la question apparaisse controversée, il faut reconnaître une nature successorale au sens de l’art. 1er al. 2 ch. 1 aCL aux litiges relatifs à la validité et aux effets des conventions entre héritiers ([…]); bien qu’elle n’ait pas eu à trancher ce point, la Cour de céans partage cette position (cf. ATF 137 III 369 consid. 4.3 et les citations). En outre, les clauses de cet accord ont, pour l’essentiel, un contenu indubitablement successoral (cf. supra, let. B); par ailleurs, en droit suisse — applicable à l’accord litigieux -, la transaction extrajudiciaire n’a en principe pas d’effet novatoire et, partant, n’a pas pour effet de remplacer la cause originaire (successorale) par une nouvelle, qui serait ici obligationnelle ([…]).
Da damit das LugÜ nicht anwendbar war, war der Streit auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Schweiz und Italien über die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu beurteilen. Dieses Abkommen regelt zwar an sich nur die Anerkennung. Sein Art. 8 betrifft jedoch den Einwand der Litispendenz, der hier relevant war.
Dabei betrifft der Einwand der Litispendenz nicht eine Frage der örtlichen Zuständigkeit, sondern den Nichteintretensgrund der früheren anderweitigen Rechtshängigkeit. Infolgedessen kann das Zweitgericht den Einwand der früheren ausländischen Rechtshängigkeit nicht dadurch entkräften, dass es die örtliche Zuständigkeit des Erstgerichts bestreitet (hier konnte diese fehlen, weil sich das Turiner Gericht trotz der Gerichtsstandswahl zugunsten der Genfer Gerichte für Zuständigkeit erachtet hatte). Eine allfällige örtliche Unzuständigkeit des Erstgerichts kann sich vielmehr erst im Anerkennungsverfahren auswirken.
Weiter hielt das BGer fest, dass die Genfer Gerichte die auch unter Art. 8 des massgeblichen Abkommens CH/It erforderliche Identität des Streitgegenstands zu Recht bejaht hatten. Die Vorinstanzen hatten sich – so das BGer – dem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis des Streitgegenstands [Kernpunkttheorie] angeschlossen, wenn auch ohne dies ausdrücklich festzuhalten. Das BGer schützt die Übernahme dieses Verständnisses für das Abkommen CH/It:
Cette conception unitaire de l’identité d’objet doit être approuvée. Elle est d’abord justifiée par le but commun que poursuivent les normes consacrées à la litispendance — qu’elle soit interne ou internationale -, à savoir d’éviter des jugements contradictoires lorsque des demandes identiques sont déposées à plusieurs endroits (notamment: ATF 128 III 284 consid. 3b/bb et les références). Elle apparaît en outre conforme à la jurisprudence récente selon laquelle la «notion d’identité d’objet doit être comprise de la même manière en droit interne et en droit international privé» (arrêt 5C.289/2006 précité; […]). Il s’ensuit que l’art. 8 de la Convention italo-suisse doit être interprété à la lumière des principes qui précèdent. A cet égard, on peut relever que la Cour de cassation italienne, dans une décision du 17 mai 2002, a considéré que la notion d’«identità di oggetto» au sens de la Convention du 6 avril 1962 entre l’Italie et la Belgique devait être «interpretata in base all’orientamento seguito nella interpretazione dell’art. 21 della convenzione di Bruxelles del 1968» (RDIPP 2002 p. 1061 ss, 1066/1067 consid. 2); cela étant, on peut penser qu’elle interpréterait de la même manière l’art. 8 de la Convention avec la Suisse.
Die Klage in Turin zielte auf die Erbberechtigung und ‑teilung, was die in Genf als gültig festzustellende Vereinbarung in Frage gestellt hätte. Damit lag die erforderliche Identität vor, obwohl die Gültigkeit der Vereinbarung im Turiner Prozess nur vorfrageweise zu beurteilen war.
Der Einwand der Rechtshängigkeit nach Art. 8 des Abkommens CH/It setzt schliesslich voraus, dass das Erstgericht “nach Massgabe der Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens” zuständig ist. Dieses Erfordernis bezieht sich nicht auf die Zuständigkeit nach der in Italien vorfrageweise zu beurteilenden Vereinbarung, sondern nach dem Rechtsbegehren, das auf die Erbberechtigung und ‑teilung zielte (das BGer begründet diese Auffassung nicht). Nach Art. 2 Ziff. 6 des Abkommens ist die Zuständigkeit “in Erbschaftsstreitigkeiten zwischen den Erben eines Angehörigen des Landes, in dem die Entscheidung gefällt wurde” begründet, was hier zutreffend war. Doch selbst wenn die Zuständigkeit nicht für das Rechtsbegehren, sondern für die Beurteilung der bewussten Vereinbarung zu prüfen wäre, bliebe das Ergebnis dasselbe, weil sich eine Gerichtsstandsklausel auch dann nicht auswirken könnte. Das ist eine Folge davon, dass Art. 2 Abs. 3 des Abkommens CH/It eine Sperrwirkung der ausschliesslichen Zuständigkeit eines anderen Staates (hier: CH) mit Bezug auf die Zuständigkeit nach Ziff. 6 nicht anerkennt (sondern nur für Ziff. 1–4).
Zuletzt setzt Art. 8 des Abkommens – anders als IPRG 9 I – nicht voraus, dass das Urteil des Erstgerichts im Staat des Zweitgerichts anerkennungsfähig ist.
Im Ergebnis war der Nichteintretensentscheid der Genfer Gerichte also korrekt. Nach Art. 8 des Abkommens führt der Einwand der anderweitigen früheren Rechtshängigkeit zum Nichteintreten, nicht nur zur Suspendierung des Verfahrens. Entgegen einem Tessiner Urteil besteht kein Grund, vom Wortlaut abzuweichen.