9C_88/2012: keine Anwendung der clausula auf jüngste Finanzkrisen; einseitige Kürzung einer Zusatzrente (amtl. Publ.)

Vor­liegend war umstrit­ten, ob das Regle­ment ein­er Vor­sorgeein­rich­tung im Bere­ich der weit­erge­hen­den beru­flichen Vor­sorge wirk­sam ein­seit­ig geän­dert wor­den ist (Kürzung ein­er zugesicherten Zusatzrente). In diesem Bere­ich kann das das Regle­ment ein­er Vor­sorgeein­rich­tung grund­sät­zlich nur dann ein­seit­ig geän­dert wer­den, wenn dies ver­traglich vor­be­hal­ten wurde (vgl. BGE 137 V 105 E. 6.1). Vor­liegend berief sich die Vor­sorgeein­rich­tung jedoch auf die clausu­la rebus sic stan­tibus. Die Voraus­set­zun­gen der clausu­la waren vor­liegend indessen nicht gegeben:

Der Beschw­erdegeg­n­er macht zu Recht gel­tend, dass die zivil­rechtliche Clausu­la rebus sic stan­tibus nicht zum Tra­gen kommt, weil die Verän­derung der Ver­hält­nisse seit dem Ver­tragss­chluss (hier die Begrün­dung des regle­men­tarischen Vor­sorgev­er­hält­niss­es) nicht unvorherse­hbar war. Die Beschw­erde­führerin bringt vor, bei Stip­ulierung der regle­men­tarisch zugesicherten strit­ti­gen Leis­tung sei das Aus­mass der Kur­sein­brüche in den Anlagemärk­ten, wie sie im Ver­lauf des let­zten Jahrzehnts einge­treten seien, unvorstell­bar gewe­sen. […]. Doch kam es auch schon in der Ver­gan­gen­heit wieder­holt vor, dass es län­gere Zeit dauerte, bis die Börsen nur schon wieder das­jenige Niveau erre­icht hat­ten, auf welchem sie sich vor den Rückschlä­gen befun­den hat­ten. […] Dies zeigt, dass die Finanzkrisen der ver­gan­genen Jahre im his­torischen Ver­gle­ich keines­falls einzi­gar­tig sind. Unbe­stre­it­bar ist, dass die wieder­holten Erschüt­terun­gen der Märk­te das finanzielle Fun­da­ment der beru­flichen Vor­sorge schwächt­en. Das Aus­mass der Wertschwankun­gen in den let­zten Jahren erscheint jedoch nicht der­art aussergewöhn­lich und sin­gulär, dass es schlicht nicht erwartet wer­den kon­nte. Die finanziellen Schwierigkeit­en (Unter­deck­un­gen) der Pen­sion­skassen fol­gen ausser­dem nicht nur aus dem Ver­lauf der Anlagemärk­te; grossen Ein­fluss auf den Deck­ungs­grad hat auch die in den Gren­zen von Gesetz und Verord­nung (Art. 71 Abs. 1 BVG, Art. 49 ff. BVV 2) gewählte Anlages­trate­gie. Die — auf Aus­nah­me­fälle zu beschränk­ende — Voraus­set­zung der Nichtvorherse­hbarkeit ein­er Äquiv­alen­zstörung ist daher nicht gegeben.

Dage­gen durfte die Vor­sorgeein­rich­tung die Zusatzrente aus einem anderen Grund kürzen: Die weit­erge­hende beru­fliche Vor­sorge hat eine hybride Recht­snatur. Sie ist grund­sät­zlich pri­va­trechtlich geregelt, aber unter­ste­ht auch öffentlich-rechtlichen Prinzip­i­en. Dazu gehört, dass wohler­wor­bene Rechte nicht abso­lut geschützt sind, son­dern eingeschränkt oder aufge­hoben wer­den kön­nen, sofern wenn ein beson­deres, wichtiges öffentlich­es Inter­esse es erfordert und die Mass­nahme ver­hält­nis­mäs­sig ist. Vor­liegend durfte die Vor­sorgeein­rich­ti­gung daher die Zusatzrente kürzen, falls über­ge­ord­nete Ziele (zB das finanzielle Gle­ichgewicht der Vor­sorgeein­rich­tung) oder das Gle­ich­be­hand­lungs­ge­bot das ein­deutig erfordern und der konkrete Ein­griff angemessen und innert nüt­zlich­er Frist wirk­sam ist. Das traf hier zu, weil die Vor­sorgeein­rich­tung anders nicht sanierungs­fähig gewe­sen wäre.