4A_163/2012: GAV; Ausdehnungsklausel (hier) als echter Vertrag zugunsten Dritter (amtl. Publ.)

Zwis­chen dem Flugzeu­greini­gung­sun­ternehmen ISS Avi­a­tion AG und dem VPOD beste­hen zwei GAV, für fes­tangestelltes Per­son­al und für Hil­f­sper­son­al im Stun­den­lohn. Danach sind Mitar­beit­er mit einem Beschäf­ti­gungs­grad von 50% oder mehr fest und nicht im Stun­den­lohn anzustellen.

Auf Klage ein­er Arbeit­nehmerin hin hat­te das BGer den GAV auszule­gen. Die Ausle­gung eines GAV fol­gt den Regeln der Geset­ze­sausle­gung. Der Wort­laut des GAV für Fes­tangestellte deutete klar darauf hin, dass der Beschäf­ti­gungs­grad das einzige Kri­teri­um war, Arbeit­nehmer dem einen oder dem anderen der GAV zuzuord­nen. Da keine Hin­weise darauf bestanden, dass dieses Ausle­gungsergeb­nis nicht dem Willen der Ver­tragsparteien entsprach, blieb es dabei. 

Die kla­gende Arbeit­nehmerin war zwar nicht Mit­glied des VPOD. Der GAV enthielt aber eine Gle­ich­be­hand­lungsklausel zugun­sten des gesamten Per­son­als von ISS Avi­a­tion (“Aus­dehnungsklausel”). Diese ist rechtlich ein Ver­trag zugun­sten Drit­ter. In der Regel han­delt es sich dabei aber um einen unecht­en Ver­trag zugun­sten Drit­ter, d.h. ohne Klagerecht des begün­stigten Drit­ten (vgl. OR 111 II). Es ist aber nicht aus­geschlossen, dass eine Aus­dehnungsklausel dem Drit­ten ein eigenes Klagerecht ein­räumt. Ob dies der Fall ist, muss durch Ausle­gung entsch­ieden werden.

Im vor­liegen­den Fall schloss das BGer aus dem Wort­laut des GAV, dass die Parteien Gew­erkschaftsmit­glieder und ‑nicht­mit­glieder in jed­er Hin­sicht gle­ich behan­deln woll­ten, weshalb die Aus­dehnungsklausel als echter Ver­trag zugun­sten Drit­ter zu beurteilen war:

Enfin, l’art. 14 al. 2 CCT prévoit que la con­ven­tion et ses annex­es font par­tie inté­grante du con­trat de tra­vail. Il faut y voir la volon­té des par­ties à la con­ven­tion col­lec­tive de n’opér­er aucune dis­tinc­tion entre tra­vailleurs syn­diqués et non syn­diqués et, en par­ti­c­uli­er, de leur accorder les mêmes droits. Il s’en­suit que la clause d’é­gal­ité de traite­ment fig­u­rant dans la CCT pour le per­son­nel men­su­al­isé doit être inter­prétée comme une stip­u­la­tion pour autrui par­faite en faveur des tra­vailleurs non syn­diqués qui rem­plis­sent les con­di­tions per­son­nelles mis­es à l’ap­pli­ca­tion de la convention.

Vgl. die Medi­en­mit­teilung des VPOD.