2C_255/2013: Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ist zum Erlass einer Verfügung über Realakte i.S.v. Art. 25a VwVG verpflichtet (amtl. Publ.)

In diesem Entscheid vom 11. April 2014 befasst sich das BGer mit der Trag­weite von Art. 25a VwVG.  Mit Ver­fü­gung vom 1. April 2011 wurde die BKW Energie AG, welche das Kernkraftwerk Müh­le­berg betreibt, vom Eid­genös­sis­chen Nuk­lear­sicher­heitsin­spek­torat (ENSI) angewiesen, den Nach­weis für die Beherrschung des 10’000-jährlichen Hochwassers zu führen. Zum von der BKW Energie AG ein­gere­icht­en Nach­weis ver­fasste das ENSI eine als Akten­no­tiz beze­ich­nete Stel­lung­nahme. Diese Akten­no­tiz ver­an­lasste sowohl A. als auch B. dazu, dem ENSI eine Mis­sach­tung der grundle­gen­den Prinzip­i­en der nuk­learen Sicher­heit vorzuw­er­fen. Da das ENSI diese Auf­fas­sung nicht teilte, beantragten A. und B. den Erlass ein­er Ver­fü­gung über Realak­te i.S.v. Art. 25a VwVG. Das ENSI trat jedoch auf dieses Begehren nicht ein mit der Begrün­dung, dass die Gesuch­steller nicht plau­si­bel dargelegt hät­ten, inwiefern sie in eige­nen Recht­spo­si­tio­nen berührt wer­den und dass dieses Berührt­sein von ein­er gewis­sen Inten­sität sei. Das BVGer wiederum stütze die Ansicht der Gesuch­steller. Gegen diesen Entscheid gelangte das ENSI an das BGer, welch­es die Beschw­erde abweist.

Zunächst klärt das BGer den Begriff des stre­it­la­gen­spez­i­fis­chen Rechtss­chutz­in­ter­ess­es, welch­es von Art. 25a VwVG über ein sub­jek­t­be­zo­genes und akt­be­zo­genes Kri­teri­um definiert werde. Mit dem sub­jek­t­be­zo­ge­nen Kri­teri­um meint das BGer das schutzwürdi­ge Inter­esse, welch­es die gesuch­stel­lende Per­son an ein­er Ver­fü­gung über einen Realakt aufweisen muss. Dieses schutzwürdi­ge Inter­esse sei dann zu beja­hen, wenn die gesuch­stel­lende Per­son eine beson­dere Nähe zum Realakt aufweise, wobei das schutzwürdi­ge Inter­esse rechtlich­er oder tat­säch­lich­er Natur sein könne, soweit die gesuch­stel­lende Per­son an der Recht­sklärung mit­tels Ver­fü­gung über den Realakt einen prak­tis­chen Nutzen habe. Demge­genüber beziehe sich das akt­be­zo­gene Kri­teri­um auf Rechte und Pflicht­en, welche durch einen Realakt berührt wer­den müssen. Dies set­ze nach herrschen­der Auf­fas­sung einen Ein­griff in die per­sön­liche Rechtssphäre der betrof­fe­nen Per­son voraus. Im Kon­text von Art. 25a VwVG ergäben sich schützenswerte Recht­spo­si­tio­nen vor allem aus Grun­drecht­en, wobei auch rechtlich geschützte Inter­essen aus anderen Recht­stiteln einzubeziehen seien.

In einem weit­eren Schritt wen­det das BGer die the­o­retis­chen Aus­führun­gen auf den konkreten Sachver­halt an: 

Bei Bau und Betrieb von Kernkraftwerken ist nach kon­stan­ter Recht­sprechung für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit vom Gefährdungspo­ten­tial auszuge­hen, das the­o­retisch mit ein­er solchen Anlage ver­bun­den ist […]. Jed­er­mann, der inner­halb eines Bere­ichs lebt, der von einem Stör­fall beson­ders betrof­fen wäre […], hat ein schutzwürdi­ges Inter­esse daran, dass der Eige­nart und der Grösse der Gefahr angemessene und geeignete Schutz­mass­nah­men ergrif­f­en wer­den […]. Legit­i­ma­tion­s­grund ist damit die Risiko­ex­po­si­tion der Anwohn­er gegenüber einem beson­deren Gefahren­herd […], d.h. der Umstand, dass sie ein­er Anlage mit sehr grossem Gefährdungspo­ten­tial aus­ge­set­zt und von den möglichen Stör­fall­fol­gen in beson­derem Masse poten­ziell betrof­fen sind […] (E. 4.6). 

Grun­drechtliche Erwä­gun­gen bestäti­gen dieses Ergeb­nis, wobei mit der Vorin­stanz namentlich das Recht auf Leben (Art. 10 Abs. 1 BV) und die per­sön­liche Frei­heit (Art. 10 Abs. 2 BV) zu erwäh­nen sind. Beson­ders bei mod­er­nen Tech­nolo­gien mit hohem Gefährdungspoten­zial wächst das Bedürf­nis nach vor­sor­gen­den Schutz­mass­nah­men des Staates […]. Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung begrün­den Grun­drechte auch eine staatliche Schutzpflicht gegen Gefährdun­gen, die von Drit­ten verur­sacht wer­den […]. Diese Schutzpflicht kann dabei eben­so wenig wie das Umwelt- und Tech­nikrecht einen absoluten Schutz gegen jegliche Beein­träch­ti­gun­gen und Risiken gewähren […]. Angesichts von Schwere und Aus­mass möglich­er Beein­träch­ti­gun­gen grun­drechtlich­er Schutzgüter genügt im Bere­ich der friedlichen Nutzung der Kernen­ergie jedoch bere­its eine ent­fer­nte Wahrschein­lichkeit des Schaden­sein­tritts, um die Schutzpflicht des Geset­zge­bers konkret auszulösen […] (E. 4.8).

Schliesslich schlägt das BGer den Bogen zu Art. 25a VwVG indem es aus­führt, dass die Bes­tim­mung eine gerichtliche Kon­trolle der richti­gen Anwen­dung des Kernen­ergierechts und damit — zumin­d­est mit­tel­bar — die Erfül­lung grun­drechtlich­er Schutza­ufträge im zen­tralen Bere­ich der laufend­en Auf­sicht ermögliche. Auf diese Weise trage Art. 25a VwVG zu einem wirk­samen, dynamis­chen Grun­drechtss­chutz bei und sei Aus­druck des Auf­trags zu einem gewal­tenteili­gen Zusam­men­wirken bei der Grun­drechtsver­wirk­lichung (Art. 35 BV).

Das BGer kommt zum Schluss, dass sowohl A. als auch B. ein aus­gewiese­nen Rechtss­chutz­in­ter­esse an der Kon­trolle der Auf­sicht­stätigkeit im Bere­ich der Sicher­heit­süber­prü­fung hät­ten. Der Rechtss­chutz bei Drit­tbeschw­er­den könne nicht deswe­gen ver­sagt wer­den, weil der zu beurteilende Stör­fall (10’000-jährlich­es Hochwass­er) nur sel­ten eintrete.