4A_78/2014: Gerichtliche Fragepflicht und Substantiierungsobliegenheit

Urteil 4A_78/2014 vom 23. Sep­tem­ber 2014 liegt eine patent- und lauterkeit­srechtliche Stre­it­igkeit zugrunde. Vor Bun­des­gericht war u.a. eine Mis­sach­tung der gerichtlichen Fragepflicht nach Art. 56 ZPO gerügt wor­den. Das Bun­des­gericht verneinte eine Ver­let­zung der Fragepflicht und wies die Beschw­erde ab.

Die Beschw­erde­führerin war im Prozess vor Bun­despatent­gericht von der Gegen­partei erst in der Dup­lik auf eine man­gel­hafte Sub­stan­ti­ierung des Sachver­halts hingewiesen wor­den. Das Bun­despatent­gericht wies in der Folge die Klage unter anderem wegen ungenü­gen­der Stub­stan­ti­ierung ab, ohne zuvor auf die Sub­stan­ti­ierung­sobliegen­heit­en hinzuweisen (E. 3.3.3). Das Bun­despatent­gericht warf der Beschw­erde­führerin ins­beson­dere vor, sie habe nicht behauptet, wer wann die fragliche tech­nis­che Lehre erfun­den habe, unter welchen Umstän­den dies geschen sei, welche tech­nis­chen Entwick­lungss­chritte und welche entsprechen­den Tests hier­für getätigt wor­den seien, von wem die Erfind­ungstätigkeit geleit­et wor­den sei und wer welchen Beitrag an die ange­bliche Erfind­ung geleis­tet habe (E. 3.1).

Das Bun­des­gericht schützte im Ergeb­nis die Auf­fas­sung des Bun­despatent­gerichts. Zur Fragepflicht hielt das Bun­des­gericht das Fol­gende fest (E. 3.3):

“3.3.1. Ist das Vor­brin­gen ein­er Partei unklar, wider­sprüch­lich, unbes­timmt oder offen­sichtlich unvoll­ständig, so gibt ihr das Gericht durch entsprechende Fra­gen Gele­gen­heit zur Klarstel­lung und zur Ergänzung (Art. 56 ZPO). Zur Erhe­bung der Rüge ein­er Ver­let­zung von Art. 56 ZPO ist eine Partei nur legit­imiert, wenn sie glaub­haft machen kann, dass die kor­rek­te Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht zu einem für sie gün­sti­gen Aus­gang des Ver­fahrens geführt hätte. Dabei muss sie aufzeigen, welche Reak­tion sie auf die (unterbliebene) Frage gegeben hätte. Ohne einen entsprechen­den Nach­weis fehlt es ihr an einem Rechtsschutzinteresse […].
[…]
3.3.3. Die Rüge wäre überdies ohne­hin unbe­grün­det: Nach der Ver­hand­lungs­maxime tra­gen grund­sät­zlich die Parteien die Ver­ant­wor­tung für die Beib­ringung das Tat­sachen­fun­da­ments. Der Zweckgedanke der all­ge­meinen gerichtlichen Fragepflicht nach Art. 56 ZPO beste­ht darin, dass eine Partei nicht wegen Unbe­holfen­heit ihres Rechts ver­lustig gehen soll, indem der Richter bei klaren Män­geln der Parteivor­brin­gen helfend ein­greifen soll […]. Die Ausübung der gerichtlichen Fragepflicht darf keine Partei ein­seit­ig bevorzu­gen und nicht zu ein­er Ver­let­zung des Grund­satzes der Gle­ich­be­hand­lung der Parteien führen. Vor allem dient die gerichtliche Fragepflicht nicht dazu, prozes­suale Nach­läs­sigkeit­en der Parteien auszu­gle­ichen […]. Wie weit das Gericht ein­greifen soll, hängt von den Umstän­den des Einzelfalls ab, namentlich von der Unbe­holfen­heit der betrof­fe­nen Partei […].
Die Beklagte hat­te mit Dup­lik vom 28. Feb­ru­ar 2013 unter anderem gel­tend gemacht, zur Abtre­tungsklage sei nur berechtigt, wer auch Erfind­er oder dessen Recht­snach­fol­ger sei. Die Klägerin benenne aber keinen Erfind­er, von dem sie das Recht ableit­en könne, weshalb sie nicht aktivle­git­imiert sei. Mit Eingabe vom 23. Mai 2013 hielt die Klägerin fest, in der Dup­lik vom 28. Feb­ru­ar 2013 habe die Beklagte erst­mals ihre Aktivle­git­i­ma­tion in Frage gestellt. Entsprechend machte die Klägerin weit­ere Angaben dazu, wer sich in ihrem Entwick­lung­steam mit der Erar­beitung des Know-hows des Stre­it­patents befasst habe und reichte Über­tra­gungsverträge aus dem Jahre 2009 zu den Akten. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin die Unvoll­ständigkeit ihrer Vor­brin­gen hin­sichtlich der Aktivle­git­i­ma­tion […] tat­säch­lich erkan­nte und sich zu ein­er entsprechen­den Stel­lung­nahme mit ergänzen­den Vor­brin­gen und Beweisanträ­gen ver­an­lasst sah. Unter diesen Umstän­den bleibt eine Pflicht des Gerichts, die anwaltlich vertretene Klägerin auf die fragliche Unvoll­ständigkeit ihrer Vor­brin­gen aufmerk­sam zu machen, auss­er Betra­cht. Eine Unbe­holfen­heit der Klägerin, die einen Aus­gle­ich der durch den Ver­hand­lungs­grund­satz gestell­ten Anforderun­gen an ihren Tat­sachen­vor­trag recht­fer­ti­gen kön­nte, liegt eben­so wenig vor wie ein beson­der­er Ver­trauen­statbe­stand hin­sichtlich der Schlüs­sigkeit ihrer Vor­brin­gen. Die erwäh­nte Eingabe der Klägerin […] wurde von der Vorin­stanz […] als ver­spätet erachtet und aus diesem Grund nicht zuge­lassen. Dass die Vorin­stanz ihre Eingabe zu Unrecht als ver­spätet beurteilt und damit ihre Ver­fahren­srechte ver­let­zt hätte, macht die Klägerin nicht gel­tend. Die gerichtliche Fragepflicht nimmt den Parteien jeden­falls nicht die Ver­ant­wor­tung für die zeit­gerechte Prozess­führung ab […].
Es braucht daher nicht ver­tieft zu wer­den, wie weit die gerichtliche Fragepflicht bei man­gel­haft sub­stan­ti­ierten Vor­brin­gen gehen muss […]. Eben­so kann offen­bleiben, ob die gerichtliche Fragepflicht all­ge­mein ent­fällt, wenn die Gegen­partei auf den Man­gel aufmerk­sam gemacht hat […].”