4A_476/2014: Fristwahrung trotz Zustellung der Berufung an die Vorinstanz (amtl. Publ.)

Nach­dem das Arbeits­gericht Zürich eine Klage wegen miss­bräuch­lich­er Kündi­gung abgewiesen hat­te, reichte die Klägerin ihre Beru­fungss­chrift verse­hentlich beim Arbeits­gericht statt beim dafür zuständi­gen Oberg­ericht ein. Das Arbeits­gericht wies die anwaltlich vertretene Klägerin auf das Verse­hen hin, worauf diese das Rechtsmit­tel noch am gle­ichen Tag dem Oberg­ericht überbrachte.

Das Oberg­ericht trat auf die Beru­fung nicht ein. Die Beru­fung sei innert Frist wed­er beim Oberg­ericht ein­gere­icht noch zu dessen Hän­den der Schweiz­erischen Post übergeben wor­den. Gegen diesen Entscheid erhob die Klägerin Beschw­erde beim Bun­des­gericht. Dieses hiess die Beschw­erde gut und hob den oberg­erichtlichen Entscheid auf (Urteil 4A_476/2014 vom 9. Dezem­ber 2014).

Das Bun­des­gericht erwog, dass sich die ZPO im Gegen­satz zu anderen Bun­des­ge­set­zen nicht zur Frage äussert, ob Rechtsmit­teleingaben frist­wahrend wirken, wenn sie bei ein­er sach­lich oder funk­tionell unzuständi­gen Behörde ein­gere­icht wor­den sind. Nicht geregelt wurde auch, ob die unzuständi­ge Behörde zur Weit­er­leitung der Eingaben an die zuständi­ge Instanz verpflichtet ist (E. 3.2). Die Mate­ri­alien seien wenig auf­schlussre­ich (E. 3.3), doch könne der in der Dok­trin vertrete­nen Auf­fas­sung zuges­timmt wer­den, wonach Art. 48 Abs. 3 BGG für die Rechtsmit­tel der ZPO ana­log anzuwen­den sei (E. 3.4). Diese Bes­tim­mung stelle einen all­ge­meinen Rechts­grund­satz dar und gelange immer dann zu Anwen­dung, wenn die Ein­re­ichung bei der unzuständi­gen Instanz verse­hentlich oder auf­grund berechtigter Zweifel gestützt auf eine unrichtige Rechtsmit­tel­belehrung beruhe. Keine Anwen­dung finde der Rechts­grund­satz aber, wenn die unzuständi­ge Instanz bewusst angerufen werde (E. 3.5).

Eine rechtzeit­ige, verse­hentliche Ein­re­ichung der Beru­fung oder der Beschw­erde bei der Vorin­stanz (iudex a quo) schade zusam­menge­fasst nicht. In der­ar­ti­gen Fällen sei die Vorin­stanz verpflichtet, das Rechtsmit­tel unverzüglich an die zuständi­ge Rechtsmit­telin­stanz weit­erzuleit­en (E. 3.7). Eine verse­hentliche Ein­re­ichung des Rechtsmit­tels an eine andere Instanz als die Vorin­stanz wäre hinge­gen nicht frist­wahrend. In diesen Fällen kann die Frist nur als gewahrt betra­chtet wer­den, wenn die unzuständi­ge Behörde das Rechtsmit­tel noch innert Frist an die zuständi­ge Rechtsmit­telin­stanz weit­er­leit­et, wozu sie geset­zlich aber nicht verpflichtet ist (E. 3.6).