4A_662/2016: Ausnahme vom Prinzip der double instance; gerechtfertigte fristlose Kündigung durch Arbeitnehmer (amtl. Publ.)

B. und C. hiel­ten zusam­men alle Aktien der D. AG und waren gle­ichzeit­ig in deren Geschäft­sleitung. Sie waren überdies als Han­del­sreisende für die D. AG tätig. Am 2. April 1996 verkauften B. und C. sämtliche Aktien der D. AG an die E. AG. Am gle­ichen Tag schlossen B. und C. rück­wirk­end zwei neue Arbeitsverträge mit der D. AG ab. Die Arbeitsverträge wur­den von der E. AG mitun­terze­ich­net. Die Verträge sahen ins­beson­dere vor, dass B. und C. als Ver­wal­tungsräte und Mit­glieder der Geschäft­sleitung sowie als Han­del­sreisende tätig sein sollten.

Anfangs 1998 ver­schlechterte sich das Ver­hält­nis zwis­chen den Parteien. Die Arbeit­ge­berin plante eine Neuor­gan­i­sa­tion des Konz­erns, die für B. und C. Verän­derun­gen mit sich brachte. Ver­schiedene Gesellschaften soll­ten fusion­iert wer­den, wobei für B. und C. keine Organ­funk­tio­nen mehr vorge­se­hen waren. Mit Schreiben vom 15. Okto­ber 1998 wur­den die Mit­glieder des Ver­wal­tungsrates der D. AG und der anderen Fir­men zu ein­er Ver­wal­tungsratssitzung auf den 28. Okto­ber 1998 ein­ge­laden. Anlässlich dieser Sitzung sollte mit der Umset­zung der Fusion begonnen wer­den. Mit Schreiben vom 27. Okto­ber 1998 kündigten B. und C. ihre Arbeitsverträge frist­los und trat­en aus dem Ver­wal­tungsrat der D. AG zurück.

B. und C. klagten in der Folge vor Arbeits­gericht Zürich auf Zahlung von abgerun­det CHF 1.3 Mio. bzw. CHF 585’000. Das Arbeits­gericht Zürich hiess die Kla­gen teil­weise gut. Es gelangte zum Schluss, dass die frist­losen Kündi­gun­gen aus berechtigtem Grund erfol­gt waren. Die Kündi­gun­gen seien indessen zu spät erk­lärt wor­den. Das Oberg­ericht Zürich hob dieses erstin­stan­zliche Urteil auf und wies die Sache an die Vorin­stanz zurück. Die zweite Instanz erkan­nte, dass die frist­lose Auflö­sung der Arbeitsverträge gerecht­fer­tigt war und die Kündi­gun­gen rechtzeit­ig erk­lärt wur­den. Das Arbeits­gericht Zürich fällte darauf hin ein zweites Urteil im Sinne der oberg­erichtlichen Erwägungen.

Die beklagte Arbeit­ge­berin (inzwis­chen die A. AG) erhob Beschw­erde in Zivil­sachen ans Bun­des­gericht. Sie beantragte, es seien der Rück­weisungs­beschluss des Oberg­erichts vol­lum­fänglich und das zweite Urteil des Arbeits­gerichts Zürich teil­weise aufzuheben und die Kla­gen von B. und C. abzuweisen. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde indessen ab (Urteil 4A_662/2016 vom 11. Mai 2017).

Das Bun­des­gericht prüfte zunächst ein­lässlich, ob auf die Beschw­erde gegen das zweite Urteil des Arbeits­gerichts Zürich einzutreten war. Das Gericht erläuterte in grund­sät­zlichen Erwä­gun­gen das Prinzip der dou­ble Instance im Zivil­recht sowie dessen Aus­nah­men (E. 1). Gemäss Bun­des­gericht ist eine direk­te Beschw­erde gegen den erstin­stan­zlichen Endentscheid unter der Herrschaft des BGG zuläs­sig, wenn das kan­tonale Rechtsmit­tel auf­grund eines Rück­weisungs­beschlusses nut­z­los wäre und eine leere, zweck­lose For­mal­ität bedeuten würde (E. 1.5).

Betr­e­f­fend den konkreten Fall erkan­nte das Bun­des­gericht, dass auf die Beschw­erde vol­lum­fänglich einzutreten war. Die Beschw­erde­führerin rügte auss­chliesslich, dass die frist­lose Kündi­gung als gerecht­fer­tigt und rechtzeit­ig qual­i­fiziert wor­den war. In diesem Punkt waren das Arbeits­gericht Zürich durch den ange­focht­e­nen Entscheid und das Oberg­ericht Zürich durch seinen Rück­weisungs­beschluss gebun­den (E. 1.6). Da keine weit­eren Rügen erhoben wur­den und das Beru­fungsver­fahren gegen das ange­focht­ene Urteil des Arbeits­gerichts Zürich durch das Oberg­ericht Zürich sistiert wor­den war, waren die Voraus­set­zun­gen für eine direk­te Beschw­erde gegen den erstin­stan­zlichen Endentscheid des Arbeits­gerichts erfüllt (E. 1.7).

In der Sache hat­te das Bun­des­gericht zu beurteilen, ob wichtige Gründe für die frist­losen Kündi­gun­gen vor­la­gen und ob diese rechtzeit­ig erk­lärt wur­den (E. 4). Das Bun­des­gericht bejahte das Vor­liegen wichtiger Gründe und die Rechtzeit­igkeit der Kündi­gungserk­lärun­gen (E. 3.1 und 4.6).

Das Bun­des­gericht schloss sich der Auf­fas­sung des Oberg­erichts an, wonach eine ver­tragliche Zusicherung für eine dreifache Tätigkeit als Ver­wal­tungsrat, Geschäft­sleit­er und Aussen­di­en­st­mi­tar­beit­er der Betrieb­s­ge­sellschaft bestand. Die Hold­ing-Gesellschaft hat­te die Verträge mitun­terze­ich­net und war deshalb eben­falls ver­traglich gebun­den. Die Reor­gan­i­sa­tion­spläne stell­ten somit eine Änderung der ver­traglich zugesicherten Anstel­lungs­be­din­gun­gen dar und bewirk­ten eine “krasse” Ver­tragsver­let­zung. Die Änderun­gen bilde­ten für die Arbeit­nehmer einen wichti­gen Grund zur frist­losen Auflö­sung des Arbeitsver­trages (E. 3.1 und 3.2).

Die Kündi­gun­gen waren auch nicht ver­spätet aus­ge­sprochen wor­den. B. und C. kündigten am 27. Okto­ber 1998, einen Tag vor der Ver­wal­tungsratssitzung, an der die Fusion in die Wege geleit­et wer­den sollte (E. 4.2). Die ver­traglich zugesicherte Organstel­lung sollte zum 1. Jan­u­ar 1999 formell ent­zo­gen wer­den. Somit beriefen sich B. und C. in ihrer Kündi­gung auf eine kün­ftige Ver­let­zung ihrer Arbeitsverträge, nicht auf zurück­liegende Ereignisse (E. 4.4). Dass die Arbeit­ge­berin trotz wieder­holter Abmah­nung von B. und C. an ihrer ver­tragswidri­gen Reor­gan­i­sa­tion fest­ge­hal­ten hat­te, war für das Bun­des­gericht vor­liegend nicht mass­gebend (E. 4.4 und 4.5).