4A_75/2017: unentgeltliche Rechtspflege für juristische Personen (amtl. Publ.)

Dem Bun­des­gericht bot sich in diesem Urteil die Gele­gen­heit, seine Recht­sprechung betr­e­f­fend unent­geltliche Recht­spflege für juris­tis­che Per­so­n­en in Erin­nerung zu rufen und zu präzisieren.

Gegen­stand des Urteils bildete fol­gen­der Sachver­halt: Die A. GmbH wurde per 1. Dezem­ber 2014 und in Anwen­dung von Art. 153b HRegV von Amtes wegen als aufgelöst erk­lärt, nach­dem sie die ihr ange­set­zte Frist zur Ein­tra­gung eines neuen Dom­izils ungenutzt ver­stre­ichen liess. Kurz zuvor hat­te die Gesellschaft eine Klage gegen den Ver­mi­eter ihres Geschäft­slokals ein­gere­icht und unter anderem beantragt, es sei ihr die unent­geltliche Recht­spflege  sowohl für die Gerichts- als auch für die Anwalt­skosten zu gewähren. Dieses Gesuch wurde erstin­stan­zlich gut­ge­heis­sen. Auf Beschw­erde des Beklagten hin wies das Oberg­ericht mit Entscheid vom 5. Feb­ru­ar 2016 das Gesuch der Gesellschaft um unent­geltliche Recht­spflege ab.  In der Folge wies das erstin­stan­zliche Gericht die Klage ab. Die Gesellschaft erhob Beru­fung und stellte erneut ein Gesuch um unent­geltliche Recht­spflege. Das Oberg­ericht lehnte mit Ver­fü­gung vom 23. Jan­u­ar 2017, unter Ver­weis auf seinen Entscheid vom 5. Feb­ru­ar 2016, auch dieses Gesuch ab und verpflichtete die Gesellschaft zur Leis­tung eines Kosten­vorschuss­es. Gegen diese Ver­fü­gung erhob die Gesellschaft Beschw­erde in Zivil­sachen an das Bundesgericht.

Das Bun­des­gericht erwog zunächst , dass der Ver­weis des Oberg­erichts auf einen früheren Entscheid keine Ver­let­zung der Begrün­dungspflicht und damit keine Ver­let­zung des Anspruchs der Beschw­erde­führerin darstelle (E. 2). Zwar han­dle es sich beim Entscheid des Oberg­erichts vom 5. Feb­ru­ar 2016 um einen Zwis­ch­enentscheid, dieser bildete jedoch Teil der Stre­it­sache, in welche die Gesellschaft sel­ber involviert war. Unter diesen Umstän­den genüge es, wenn die aus­führliche Begrün­dung diesem Zwis­ch­enentscheid ent­nom­men wer­den könne, der der Gesellschaft nicht nur bekan­nt sein müsse, son­dern der auch Aktenbe­standteil bilde (E. 2.2).

Hin­sichtlich des Anspruchs auf unent­geltliche Recht­spflege rief das Bun­des­gericht zunächst in Erin­nerung, dass juris­tis­che Per­so­n­en grund­sät­zlich wed­er die unent­geltliche Prozess­führung noch eine Ver­beistän­dung beanspruchen kön­nten. Sie seien wed­er arm noch bedürftig, son­dern bloss zahlung­sun­fähig oder über­schuldet. Ein bun­desrechtlich­er Anspruch auf unent­geltliche Recht­spflege könne aus­nahm­sweise dann beste­hen, wenn das einziges Aktivum der juris­tis­chen Per­son im Stre­it liege und neben ihr auch die wirtschaftlich Beteiligten mit­tel­los seien (E. 3.1, ins­beson­dere mit Ver­weis auf BGE 131 II 306). Ob — wie zum Teil in der Lehre gefordert — zusät­zlich vorauszuset­zen sei, dass ein öffentlich­es oder all­ge­meines Inter­esse an der Gewährung der unent­geltlichen Recht­spflege zur Weit­erex­is­tenz der juris­tis­chen Per­son aus­gewiesen sei, liess das Bun­des­gericht offen. Denn, so das Bun­des­gericht weit­er, die unent­geltliche Recht­spflege sei juris­tis­chen Per­so­n­en jeden­falls dann zu ver­weigern, wenn das Ver­fahren, für das sie beansprucht werde, deren Weit­erex­is­tenz nicht sichere (E. 3.3).

Diese Voraus­set­zung war für das Bun­des­gericht auss­chlaggebend, um die Abweisung des Gesuchs um unent­geltliche Recht­spflege zu schützen. Die Gesellschaft sei von Amtes wegen auf­grund fehlen­dem Dom­izil aufgelöst wor­den. Diese Ver­fü­gung des Han­del­sreg­is­ter­amts sei nach Ablauf der Frist gemäss Art. 153b Abs. 3 HRegV unwider­ru­flich. Für Organ­i­sa­tion­s­män­gel gemäss Art. 731b OR sehe das Gesetz zwin­gend die Auflö­sung durch Konkurs vor (sofern der Man­gel nicht behoben wer­den könne). Auf die konkur­samtliche Liq­ui­da­tion könne — unter Ver­weis auf BGE 141 III 43 — auch dann nicht zurück­gekom­men wer­den, wenn sich ein Aktivenüber­schuss ergebe bzw. die Gesellschaft nicht über­schuldet sei. Für den Fall des Dom­izil­ver­lusts könne nichts anderes gel­ten, da für diesen Fall die HRegV aus­drück­lich die strenge Folge der Auflö­sung anordne. Selb­st wenn somit die Gesellschaft im Forderungsstre­it ganz oder teil­weise obsiegen würde, sei die Wieder­auf­nahme ihrer dem ursprünglichen Zweck entsprechen­den Tätigkeit aus­geschlossen (E. 3.6).