4A_223/2019: Aktienrecht, Sonderprüfung — Gelegenheit zur Stellungnahme zum Sonderprüfungsbericht und Ergänzungsfragen (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil die von der Lehre (bis­lang) nicht behan­delte Frage, ob der Richter nach Art. 697e Abs. 3 OR entwed­er der geprüften Gesellschaft und den gesuch­stel­len­den Aktionären aus­drück­lich Frist anzuset­zen oder zu ein­er Ver­hand­lung vorzu­laden hat, um eine Stel­lung­nahme zum Bericht des Son­der­prüfers einzure­ichen bzw. vorzu­tra­gen und Ergänzungs­fra­gen dazu zu stellen, oder ob diese nach der Zustel­lung des Berichts ohne richter­liche Auf­forderung von sich aus reagieren müssen, wenn sie eine Stel­lung­nahme ein­re­ichen und Ergänzungs­fra­gen stellen wollen.

Es hielt gestützt auf eine Ausle­gung von Art. 697e Abs. 3 OR fest, dass der Richter aus­drück­lich Gele­gen­heit ein­räu­men muss, eine Stel­lung­nahme zum Son­der­prü­fungs­bericht abzugeben und Ergänzungs­fra­gen dazu zu stellen. Diese Pflicht könne er entwed­er mit­tels Anset­zen ein­er kurzen Frist oder mit­tels Vor­ladung zu ein­er mündlichen Ver­hand­lung nachkom­men (E. 4.4). Fol­gende Erwä­gun­gen des Bun­des­gerichts führten zu diesem Schluss:

  • gram­matikalis­ches Ausle­gungse­le­ment: Das Bun­des­gericht wies darauf hin, dass das Gesetz nicht aus­drück­lich fes­tlege, wie die Gele­gen­heit gemäss Art. 697e Abs. 3 OR zu geschehen habe. Der Wort­laut der Geset­zes­bes­tim­mung (“Er gibt”/“Il donne”/“Egli dà”) indiziere aber, dass die Gesellschaft und die gesuch­stel­len­den Aktionäre ihre Stel­lung­nahme und Ergänzungs­fra­gen nicht unaufge­fordert ins Ver­fahren ein­brin­gen müssten, son­dern der Richter ihnen eine aus­drück­liche Möglichkeit dazu einzuräume (E. 4.3.2).
  • his­torisches Ausle­gungse­le­ment: Auch aus den Mate­ri­alien ergebe sich nicht klar, wie der Richter vorzuge­hen habe. Die For­mulierung in der Botschaft, wonach der Richter den Parteien “Gele­gen­heit ein­räumt”, deute aber eben­falls darauf hin, dass der Geset­zge­ber der Auf­fas­sung gewe­sen sei, dass die Parteien nicht von sich aus ihre Stel­lung­nahme und ihre Fra­gen vorzubrin­gen hät­ten. Wie die gram­matikalis­che Ausle­gung führe jedoch auch das his­torische Ausle­gungse­le­ment zu keinem ein­deuti­gen Ergeb­nis (E. 4.3.3).
  • tele­ol­o­gis­ches Ausle­gungse­le­ment: Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass die Mitwirkungsrechte gemäss Art. 697e Abs. 3 OR es den gesuch­stel­len­den Aktionären und der Gesellschaft erlauben wür­den, den Bericht des Son­der­prüfers aus ihrer eige­nen Sicht (kri­tisch) zu würdi­gen, bevor er veröf­fentlicht werde; ins­beson­dere bevor der Bericht den anderen Aktionären bekan­nt gegeben werde (BGer 4P.183/2005, E. 3.3). Daraufhin erwog das Bun­des­gericht, dass die Gen­er­alver­samm­lung mit der Zustel­lung der Stel­lung­nah­men sowie dem allen­falls mit Ergänzungs­fra­gen ver­voll­ständi­gen Bericht (Art. 697f Abs. 1 OR) Ken­nt­nis von der sub­jek­tiv­en Ein­schätzung des Berichts durch die geprüfte Gesellschaft und die gesuch­stel­len­den Aktionäre erhal­ten sollte. Damit wür­den die Aktionäre ein möglichst voll­ständi­ges Bild über den abgek­lärten Sachver­halt erhal­ten. Es erscheine deshalb ange­bracht, dass der Richter die Parteien aus­drück­lich auf ihre Mitwirkungsrechte aufmerk­sam mache, damit der Bericht des Son­der­prüfers kom­plet­tiert wer­den könne und die Stel­lung­nah­men der Gen­er­alver­samm­lung vorgelegt wer­den kön­nten (E. 4.3.4).
  • sys­tem­a­tis­ches Ausle­gungse­le­ment: Die auf Art. 697e OR fol­gende Bes­tim­mung von Art. 697f Abs. 1 OR regle, so das Bun­des­gericht schliesslich, dass der Ver­wal­tungsrat der Gen­er­alver­samm­lung die Stel­lung­nah­men zusam­men mit dem Bericht des Son­der­prüfers unter­bre­ite. Das Gesetz gehe damit davon aus, dass Stel­lung­nah­men zum Son­der­prü­fungs­bericht vorhan­den seien, welche der Ver­wal­tungsrat der Gen­er­alver­samm­lung zusam­men mit dem Son­der­prü­fungs­bericht unter­bre­ite. Es erscheine daher richtig, dass der Richter die Parteien aus­drück­lich ein­lade, solche Stel­lung­nahme einzure­ichen (E. 4.3.5).