4A_583/2019: Novenrecht, Zulässigkeit bei von der Partei selbst geschaffenen neuen Tatsachen (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht erwog in diesem Urteil, dass Noven, deren Entste­hung vom Willen der Parteien abhän­gen, als unechte Noven zu qual­i­fizieren seien. Deren Zuläs­sigkeit entschei­de sich dem­nach danach, ob sie trotz zumut­bar­er Sorgfalt im Sinn von Art. 229 Abs. 1 lit. b ZPO nicht vorher hät­ten vorge­bracht wer­den kön­nen.

Hin­ter­grund war eine Patentstre­it­igkeit. Nach­dem die beklagte Partei ihre Dup­lik ein­gere­icht hat­te und das Fachrichter­vo­tum erstat­tet wor­den war, verzichtete die Patentin­hab­erin teil­weise auf das Patent, um dem von der beklagten Par­tie vorge­bracht­en Vor­wurf der unzuläs­si­gen Änderung des Patents zu ent­ge­hen. Diesen Teil­verzicht brachte die Patentin­hab­erin sodann als Novum in den Prozess ein.

Das Bun­despatent­gericht erwog, dass es sich hier­bei um ein echt­es Novum im Sinne von Art. 229 Abs. 1 lit. a ZPO han­dle, denn das Patent sei in sein­er eingeschränk­ten Fas­sung erst nach Abschluss des Schriften­wech­sels ent­standen. Zufolge der Rück­wirkung (Art. 28a PatG) ändere sich dadurch die Beurteilungs­grund­lage für den im Schriften­wech­sel vor­ge­tra­ge­nen Sachver­halt. Dass die Patentin­hab­erin die Verzicht­serk­lärung schon vor Akten­schluss beim IGE hätte ein­re­ichen kön­nen bzw. dass der Teil­verzicht eine von der Patentin­hab­erin selb­st geschaf­fene neue Tat­sache darstelle, ändere nichts daran, dass es sich beim Patent in der eingeschränk­ten Fas­sung um ein echt­es Novum han­dle (E. 3.2).

Das Bun­des­gericht wider­sprach dieser Ansicht. Zwar sei dem Bun­despatent­gericht beizupflicht­en, dass die Paten­tein­schränkung bei ein­er strikt wörtlichen Ausle­gung von Art. 229 Abs. 1 ZPO, wonach auf den Zeit­punkt der Entste­hung abgestellt werde, ein echt­es Novum darstelle. Allerd­ings, so das Bun­des­gericht, berück­sichtige eine solche Ausle­gung zu wenig, dass die Noven­regelung ein Aus­fluss der Even­tual­maxime sei. Die Even­tual­maxime besage, dass sämtliche Parteivor­brin­gen inner­halb eines bes­timmten Ver­fahrens­ab­schnittes erfol­gen müssten und im späteren Ver­fahrensver­lauf nicht mehr nachgeschoben wer­den kön­nten. Ein­er Partei sei es daher nicht ges­tat­tet, sich zunächst auf das Vor­brin­gen des zur Begrün­dung des Haupt­stand­punk­ts erforder­lichen Mate­ri­als zu beschränken und, falls sich später ergebe, dass der Haupt­stand­punkt nicht geschützt wer­den könne, dazu überzuge­hen, neue Angriffs- oder Vertei­di­gungsmit­tel zur Begrün­dung eines Even­tu­al­stand­punk­ts vorzu­tra­gen. Die Even­tual­maxime enthalte insofern zwei Aspek­te: ein­er­seits müssten Tat­sachen konzen­tri­ert vorge­bracht wer­den und ander­er­seits kön­nten sie — im Inter­esse der materiellen Wahrheit — unter gewis­sen Umstän­den noch nachgeschoben wer­den. Es wider­spreche dem ersten Aspekt der Even­tual­maxime, wenn nachträglich von ein­er Partei geschaf­fene Noven, die — abhängig vom Entscheid dieser Partei — bere­its vor Akten­schluss hät­ten existieren kön­nen (sog. Potes­ta­tiv-Noven) als echte Noven qual­i­fiziert wür­den (E. 5.3).