1C_356/2019: Erhöhung von Staumauern am Grimselsee / Fehlende Grundlage im kantonalen Richtplan (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 4. Novem­ber 2020 set­zte sich das BGer mit der geplanten Erhöhung der Stau­mauern Spi­tal­lamm und Seeufer­egg auseinan­der. Die Stau­mauern wer­den von der Kraftwerke Ober­hasli AG (KWO) betrieben. Die Erhöhung der Stau­mauern soll dazu führen, dass der Staus­piegel des Grim­selsees um 23 m ange­hoben und dessen Spe­icher­vol­u­men um 75 Mio. m3 auf ins­ge­samt 170 Mio. m3 ver­grössert wer­den kann. Der Konzes­sions­beschluss des Grossen Rats des Kan­tons Bern wurde vom BGer im Jahr 2017 über­prüft. Das höch­ste Gericht wies damals die Sache zur weit­eren Behand­lung an das kan­tonale Ver­wal­tungs­gericht zurück, welch­es die Beschw­er­den von Naturschut­zor­gan­i­sa­tio­nen abwies. Diesen Entscheid zogen die Schweiz­erische Greina-Stiftung und Aqua Viva wieder vor BGer, welch­es die Beschw­erde gutheisst.

Die Beschw­erde­führerin­nen machen primär gel­tend, dass die Richt­plan­grund­lage ungenü­gend sei, weil die Erhöhung der Stau­mauern des Grim­selsees lediglich als Zwis­ch­en­ergeb­nis im kan­tonalen Richt­plan fest­ge­hal­ten sei. Das BGer hält zunächst fest, dass der Richt­plan­vor­be­halt (Art. 8 Abs. 2 RPG) für die stre­it­ige Erweiterung des Grim­sel­stausees zu beja­hen sei. Es werde nicht nur das Spe­icher­vol­u­men erhe­blich ver­grössert, son­dern das Vorhaben zeit­ige auch gewichtige Auswirkun­gen auf Schutz­in­ter­essen von nationaler Bedeu­tung. Zur Richt­plan­grund­lage sagt das BGer folgendes:

Gemäss Art. 5 Abs. 2 lit. b RPV wird mit einem Zwis­ch­en­ergeb­nis aufgezeigt, welche raumwirk­samen Tätigkeit­en noch nicht aufeinan­der abges­timmt sind und was vorzukehren ist, damit eine zeit­gerechte Abstim­mung erre­icht wer­den kann. Zwis­ch­en­ergeb­nisse beze­ich­nen somit Richt­plan­vorhaben, bei denen die Abstim­mung begonnen hat, ohne bere­its zu ein­er Lösung in der Sache geführt zu haben […]. Die Erläuterun­gen zum Mass­nah­men­blatt bestäti­gen, dass auf Stufe Richt­plan noch keine voll­ständi­ge Abstim­mung erfol­gt ist; ins­beson­dere fehlt jegliche Auseinan­der­set­zung mit den ent­ge­gen­ste­hen­den öffentlichen Inter­essen des Natur- und Land­schaftss­chutzes. Eine voll­ständi­ge Ver­lagerung der Inter­essen­ab­wä­gung ins Konzes­sionsver­fahren und in die damit koor­dinierten Bewil­li­gungsver­fahren wider­spricht der raum­planer­ischen Stufen­folge. (E. 3.4.)

Obwohl das BGer die Beschw­erde bere­its aus diesem Grund gutheisst, prüft es aus prozessökonomis­chen Grün­den auch die weit­eren Rügen der Beschw­erde­führerin­nen. Es sei — so das BGer — unbe­strit­ten, dass das Pro­jekt einen schw­eren Ein­griff in das BLN-Objekt 1507 “Bern­er Hochalpen und Aletsch-Bietschhorn-Gebi­et (nördlich­er Teil)” bewirke. Gle­ichzeit­ig liege die Erhöhung der Stau­mauern im nationalen Inter­esse, denn die Ver­grösserung des Stauin­halts des Grim­selsees um 75 Mio. m3 entspreche rund 20 % des gesamten schweiz­erischen Aus­baupoten­zials, welch­es grund­sät­zlich auch genutzt wer­den solle. Es stün­den sich fol­glich gle­ichrangige Inter­essen gegenüber, welche im Rah­men ein­er umfassenden Inter­essen­ab­wä­gung zu prüfen seien. Was das Vor­feld des Unter­aar­gletsch­ers bet­rifft, hält das BGer fest, dass es als plau­si­bel erscheine, dass die von der Stauhal­tung unbee­in­flusste Fläche jeden­falls zum Zeit­punkt des Höher­staus des Grim­selsees 90 % des Objek­t­perime­ters umfassen werde. Dies spreche für eine nationale Bedeu­tung der alpinen Schwem­mebene im Vor­feld des Unter­aar­gletsch­ers, welche durch den Höher­stau des Grim­selsees über­flutet und damit teil­weise zer­stört würde. Das Ver­wal­tungs­gericht habe fest­ge­hal­ten, dass durch das Vorhaben kein Biotop von nationaler Bedeu­tung zer­stört würde. Damit habe das Ver­wal­tungs­gericht ein wichtiges Ele­ment der Inter­essen­ab­wä­gung nicht mit dem ihm gebühren­den Gewicht berücksichtigt.

Das BGer heisst die Beschw­erde von Aqua Viva und der Schweiz­erischen Greina-Stiftung gut und weist die Sache zur neuen Beurteilung an den Regierungsrat des Kan­tons Bern zurück.