1C_469/2019, 1C_483/2019: Werkhof in der Landwirtschaftszone / 30-jährige Verwirkungsfrist für die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands nicht anwendbar (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 28. April 2021 set­zte sich das BGer zum ersten Mal mit aus­führlich­er Begrün­dung mit der Frage auseinan­der, ob die für die Wieder­her­stel­lung des recht­mäs­si­gen Zus­tands inner­halb der Bau­zone entwick­elte 30-jährige Ver­wirkungs­frist auch ausser­halb der Bau­zone anwend­bar ist. Das E. Baugeschäft AG betreibt auf ein­er in der Land­wirtschaft­szone liegen­den Parzelle in der Luzern­er Gemeinde Neuenkirch einen Werk­hof. Im Jahr 2018 ord­nete der Gemein­der­at Neuenkirch den Abbruch divers­er, ohne Bewil­li­gung erstell­ter Baut­en und Anla­gen auf der stre­it­ge­gen­ständlichen Parzelle an. Hinge­gen verzichtete der Gemein­der­at auf den Rück­bau des Haupt­ge­bäudes und dessen Anbaut­en sowie auf die Anord­nung eines Nutzungsver­botes für den Lager­platz, weil sich die Eigen­tümerin dies­bezüglich auf die 30-jährige Ver­wirkungs­frist berufen könne. Gegen diesen Entscheid führten mehrere Pri­vat­per­so­n­en Beschw­erde beim Kan­ton­s­gericht Luzern und dann beim Bun­des­gericht. Let­zteres heisst die Beschw­erde gut.

Das BGer bemerkt ein­lei­t­end, dass es sich im Grund­satzentscheid BGE 107 Ia 121 für die 30-jährige Ver­wirkungs­frist inner­halb der Bau­zone auf zwei Haup­tar­gu­mente gestützt habe: die Rechtssicher­heit und die prak­tis­chen Schwierigkeit­en, nach mehr als 30 Jahren die tat­säch­lichen und rechtlichen Ver­hält­nisse, namentlich die Prax­is der kan­tonalen und kom­mu­nalen Behör­den, abzuk­lären. Bei­de Prob­leme stellen sich jedoch — so das BGer — nicht oder nicht in gle­ich­er Weise, wenn es um zonen­widrige Baut­en und Anla­gen ausser­halb der Bau­zone geht. Zur Rechtssicher­heit sagt das BGer folgendes:

Während die zivil­rechtliche Ersitzung Kon­so­li­dierungs­funk­tion hat, d.h. nach Ablauf von 30 Jahren die Diskrepanz zwis­chen ver­meintlich­er und materieller Recht­slage behebt […], führt die Ver­wirkung des Wieder­her­stel­lungsanspruchs nicht zur Recht­mäs­sigkeit der Baute oder Anlage, son­dern lediglich zu ihrer Dul­dung: Rechtswidrige Baut­en, die nicht nachträglich bewil­ligt wer­den kön­nen, dür­fen nicht erneuert, erweit­ert oder wieder­aufge­baut, son­dern lediglich mit nicht baube­wil­li­gungspflichti­gen Mass­nah­men unter­hal­ten wer­den […]. Der Wider­spruch zwis­chen Pla­nung und Wirk­lichkeit wird somit nicht behoben, son­dern per­pe­tu­iert. Der Rechtssicher­heit und ‑gle­ich­heit ist daher ausser­halb der Bau­zone am besten gedi­ent, wenn klar ist, dass eine rechtswidrige Nutzung nicht geduldet wird, auch wenn sie über lange Zeit nicht ent­deckt bzw. bean­standet wurde. (Erw. 5.4.)

Zur Schwierigkeit, die tat­säch­lichen und rechtlichen Ver­hält­nisse nach mehr als 30 Jahren abzuk­lären, stellt das BGer die fol­gen­den Über­legun­gen an:

Die Bewil­li­gungs­fähigkeit von Baut­en und Anla­gen bes­timmt sich inner­halb der Bau­zo­nen nach kan­tonalem und kom­mu­nalem Recht, ausser­halb der Bau­zo­nen ist seit dem 1. Juli 1972 im Wesentlichen Bun­desrecht anwend­bar. Dieses kann leicht ermit­telt wer­den; bei sein­er Anwen­dung beste­ht auch kein kom­mu­naler oder kan­tonaler Beurteilungsspiel­raum, weshalb es nicht nötig ist, die Behör­den­prax­is im Erstel­lungszeit­punkt zu ermit­teln. In der Regel genügt schon ein Blick auf den Zonen­plan und die Fest­stel­lung, dass eine Baute oder Anlage wed­er der Land­wirtschaft dient noch stan­dort­ge­bun­den ist, um ihre Ille­gal­ität festzustellen. (Erw. 5.2.)

Das BGer hält zusam­menge­fasst fest, dass ausser­halb der Bau­zone ein Bau­ver­bot gelte. Die Land­wirtschaft­szone solle von allen nicht land­wirtschaftlichen und nicht stan­dort­ge­bun­de­nen Baut­en freige­hal­ten wer­den. Dieses Ziel werde vere­it­elt, wenn ille­gale Baut­en ausser­halb der Bau­zo­nen nicht beseit­igt, son­dern auf unbes­timmte Zeit geduldet wür­den. Dadurch unter­schei­de sich die Inter­essen­lage wesentlich von der­jeni­gen in der Bau­zone, wo das Bauen grund­sät­zlich zuläs­sig sei und es nur um die Ein­hal­tung der Vor­gaben zu Art und Umfang der Nutzung gehe.