1C_659/2020: Urnenabstimmungsgesetz des Kantons Zürich / Voraussetzungen für Dringlichkeitserklärung gegeben (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 11. März 2021 beurteilte das BGer die Recht­mäs­sigkeit der Dringlichkeit­sklausel des Zürcher Urnen­ab­stim­mungs­ge­set­zes. Am 23. Novem­ber 2020 erliess der Kan­ton­srat des Kan­tons Zürich das Gesetz über Urnen­ab­stim­mungen in Ver­samm­lungs­ge­mein­den während der Coro­na-Pan­demie (Urnen­ab­stim­mungs­ge­setz; LS 818.12). Das Urnen­ab­stim­mungs­ge­setz ermächtigt unter anderem die Gemein­de­vorstände von Ver­samm­lungs­ge­mein­den, zur Fest­set­zung des Steuer­fuss­es sowie zur Genehmi­gung der Jahres­rech­nung in Abwe­ichung vom Gemein­dege­setz (GG; LS 131.1) eine Urnen­ab­stim­mung anzuord­nen. Der Kan­ton­srat erk­lärte das Gesetz als dringlich im Sinne von Art. 37 Abs. 1 der Ver­fas­sung des Kan­tons Zürich (KV; LS 101). Die Beschw­erde­führer (Junge SVP Kan­ton Zürich; Jungfreisinige Kan­ton Zürich; Camille Lothe) rügen vor BGer, dass die Dringlicherk­lärung des Urnen­ab­stim­mungs­ge­set­zes gegen Art. 37 KV  (und Art. 34 BV) ver­stosse, weil es sich beim dringlich erk­lärten Gesetz nicht um eine gewichtige Angele­gen­heit han­dle und die Dringlichkeit wed­er in zeitlich­er noch in sach­lich­er Hin­sicht gegeben sei. Das BGer weist die Beschw­erde ab.

Zunächst zeich­net das BGer den Ver­lauf der COVID-19-Pan­demie in der Schweiz aus­führlich nach (Erw. 2.4.). Was das erhe­bliche Inter­esse an der sofor­ti­gen Inkraft­set­zung des Urnen­ab­stim­mungs­ge­set­zes bet­rifft, hält das BGer fol­gen­des fest:

Die Lage, auch die rechtliche, war [im Herb­st 2020] aus­ge­sprochen volatil. Es musste real­is­tis­cher­weise von ein­er Woche auf die andere damit gerech­net wer­den, dass generell oder in einzel­nen, von der Pan­demie beson­ders betrof­fe­nen Gemein­den, die Gemein­de­v­er­samm­lun­gen nicht mehr ord­nungs­gemäss durchge­führt wer­den kön­nten. Die Beschlussfas­sung im Urnen­ver­fahren war demge­genüber von der Pan­demie weit weniger gefährdet. Als der Kan­ton­srat am 23. Novem­ber 2020 den Beschluss über die Annahme des Urnen­ab­stim­mungs­ge­set­zes fasste, standen Ver­samm­lungs­ge­mein­den vor dem Prob­lem, dass ihre Gemein­de­bud­gets und Steuer­füsse für das Jahr 2021 noch nicht fest­ge­set­zt waren. Es wurde zunehmend unwahrschein­lich­er, dass sie dies, wie von Art. 101 Abs. 3 des Gemein­dege­set­zes des Kan­tons Zürich […] vorgeschrieben, bis Ende 2020 tun kön­nten. […] Das Urnen­ab­stim­mungs­ge­setz hätte vor diesem Hin­ter­grund seinen Zweck ver­fehlt, wenn es nicht sofort in Kraft geset­zt wor­den wäre. Um die Beschluss- und Funk­tions­fähigkeit der Gemein­den sicherzustellen, ermöglicht das Urnen­ab­stim­mungs­ge­setz, die hierzu uner­lässlichen finanzpoli­tis­chen Beschlüsse gegebe­nen­falls im Urnen­ver­fahren zu fassen. An der sofor­ti­gen Eröff­nung dieses alter­na­tiv­en Wegs der Beschlussfas­sung beste­ht […] dem­nach ein erhe­blich­es Inter­esse. (Erw. 2.5.3.)

Zur Frage, ob zwin­gende, ausseror­dentliche Gründe für die Dringlicherk­lärung vor­liegen, sagt das BGer, dass das dringlich erk­lärte Gesetz angesichts der durch die Pan­demiesi­t­u­a­tion erhe­blich gefährde­ten Beschluss- und Funk­tions­fähigkeit der Ver­samm­lungs­ge­mein­den sowie der eben­falls erhe­blich gefährde­ten Gesund­heit der Stimm­berechtigten bei der Durch­führung von Gemein­de­v­er­samm­lun­gen eine wichtige Sache betr­e­ffe. Im Inter­esse, die Funk­tions­fähigkeit der Gemein­den aufrechtzuer­hal­ten, die kom­mu­nalen poli­tis­chen Rechte opti­mal zu gewährleis­ten und die Pan­demie zu bekämpfen, ertrage das Inkraft­treten des Urnen­ab­stim­mungs­ge­set­zes keinen Aufschub.