4A_147/2021: Organisationsmangel in einer Aktiengesellschaft, die Teil des Nachlassvermögens ist; Gesuch des Willensvollstreckers und Nebenintervention eines Einzelerben (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass ein Erbe, der Mit­glied ein­er Erbenge­mein­schaft ist, alleine als Neben­in­ter­ve­nient an einem Prozess teil­nehmen kann, den der Wil­lensvoll­streck­er gegen eine Aktienge­sellschaft wegen eines Man­gels in der Organ­i­sa­tion der Gesellschaft nach Art. 731b OR ein­geleit­et hat, stellte allerd­ings klar, dass dies nicht für sämtliche Ver­fahren gelte.

Hin­ter­grund war ein ein seit mehreren Jahren schwellen­der Stre­it zwis­chen zwei Erben, denen als Erbenge­mein­schaft sämtliche Aktien ein­er Gesellschaft gehören. Nach­dem im Nach­gang ein­er Gen­er­alver­samm­lung der einzige Ver­wal­tungsrat der Aktienge­sellschaft zurück­trat, beantragte der Wil­lensvoll­streck­er gestützt auf Art. 731b OR beim Gen­fer Tri­bunal civ­il die Ein­set­zung eines Ver­wal­tungsrats, um den Organ­i­sa­tion­s­man­gel zu beheben. Ein­er der Erben reichte gestützt auf Art. 74 ZPO ein Inter­ven­tion­s­ge­such ein, mit der Begrün­dung, er sei gegen die Ernen­nung eines Ver­wal­tungsrats und wolle “zur Vertei­di­gung der Inter­essen der Aktienge­sellschaft, deren Aktien von der Erbenge­mein­schaft gehal­ten wür­den” als Neben­partei inter­ve­nieren. In ein­er späteren Eingabe begrün­dete der Erbe sein Inter­ven­tion­s­ge­such damit, dass er sich­er­stellen wolle, dass der zu bestel­lende Ver­wal­tungsrat unpartei­isch sei. Sowohl der Wil­lensvoll­streck­er als auch die Aktienge­sellschaft, für welche ein Sach­wal­ter einge­set­zt wurde, beantragten die Abweisung des Inter­ven­tion­s­ge­suchs, mit der Begrün­dung, dem Erbe fehle es an einem hin­re­ichen­den rechtlichen Inter­esse. Das Tri­bunal civ­il wies das Inter­ven­tion­s­ge­such ab und die dage­gen erhobene Beschw­erde wurde abgewiesen.

Das Bun­des­gericht rief zunächst die Regeln und Recht­sprechung im Zusam­men­hang mit der Klage wegen Män­geln in der Organ­i­sa­tion ein­er Aktienge­sellschaft (Art. 731b OR) sowie zur Neben­in­ter­ven­tion durch Aktionäre in Erin­nerung (E. 3.1), ins­beson­dere dass dem Aktionär die Stel­lung eines unab­hängi­gen stre­it­genös­sis­chen Neben­in­ter­ve­nien­ten zukom­men könne (E. 3.1.2). Sodann bestätigte das Bun­des­gericht, dass der Wil­lensvoll­streck­er als Erb­schaftsver­wal­ter befugt sei, die Klage nach Art. 731b Abs. 1 OR gegen die Gesellschaft, die ein Aktivum des Nach­lass­es ist, einzure­ichen (E. 3.2).

Sodann prüfte das Bun­des­gericht, ob gestützt auf Art. 74 ZPO alle Mit­glieder der Erbenge­mein­schaft in dem vom Wil­lensvoll­streck­er angestrengten Prozess nach Art. 731b OR inter­ve­nieren müssten oder ob dies auch ein Erbe allein könne (E. 3.3). Dabei wies das Bun­des­gericht zunächst darauf hin, dass gemäss Lehre jed­er Erbe als Neben­in­ter­ve­nient am Prozess teil­nehmen könne, wenn er auf­grund der ihm zuste­hen­den Rechte am Nach­lass ein rechtlich­es Inter­esse am Aus­gang des Ver­fahrens habe. Diese Lösung, so das Bun­des­gericht, überzeuge im Fall eines Erben, der sich an einem Prozess beteilige, der auf die Behe­bung eines Man­gels in der Organ­i­sa­tion ein­er Aktienge­sellschaft abziele, deren Aktionär die Erben als die Mit­glieder der Erbenge­mein­schaft gemein­sam seien. Jed­er Erbe habe ein indi­vidu­elles rechtlich­es Inter­esse daran, dass der Rechtsstre­it zugun­sten ein­er der Parteien entsch­ieden werde. Die Tat­sache, dass die Erben Gesamteigen­tümer der Erb­schafts­ge­gen­stände und damit notwendi­ge Stre­itgenossen seien, habe Auswirkun­gen auf die Klage­befug­nis, nicht aber auf das rechtliche Inter­esse an ein­er Inter­ven­tion im Sinne von Art. 74 ZPO. Somit könne ein Erbe in einem solchen Prozess alleine inter­ve­nieren. Diese Lösung könne indessen nicht auf sämtliche Ver­fahren aus­gedehnt wer­den. Bei notwendi­ger Stre­itgenossen­schaft könne ein Stre­itgenosse nicht generell alleine ein Inter­ven­tion­s­ge­such stellen, da dies ihn in eine bessere Posi­tio­nen brin­gen würde als als Kläger (E. 3.3.1).

Sodann erwog das Bun­des­gericht, dass sich Art. 74 ZPO nicht nur auf die abhängige, son­dern auch auf die unab­hängige stre­it­genös­sis­che Neben­in­ter­ven­tion beziehe. Da gemäss Recht­sprechung das Urteil in einem Ver­fahren wegen Organ­i­sa­tion­s­man­gel gegenüber allen Aktionären direk­te Wirkun­gen ent­falte, habe ein solch­es Urteil auch eine direk­te Wirkung gegenüber allen Erben, die Mit­glieder der Erbenge­mein­schaft seien. Fol­glich sei ein Erbe, der neben dem Wil­lensvoll­streck­er in ein Ver­fahren inter­ve­niere, ein Anwen­dungs­fall der unab­hängi­gen Neben­in­ter­ven­tion. Dem Erben ste­he es deshalb frei, sich in Wider­spruch zu den Prozesshand­lun­gen des Wil­lensvoll­streck­ers zu set­zen. Genau­so wie jed­er Aktionär als unab­hängiger Neben­in­ter­ve­nient am Prozess teil­nehmen könne, wenn die Gen­er­alver­samm­lung der Aktienge­sellschaft durch eine “Pattsi­t­u­a­tion” im Aktionar­i­at block­iert sei, müsse jed­er Erbe als unab­hängiger Neben­in­ter­ve­nient auftreten kön­nen, wenn die Mit­glieder der Erbenge­mein­schaft, welche Alleinak­tionärin der betrof­fe­nen Gesellschaft sei, eine Block­ade­si­t­u­a­tion in Bezug auf die Führung der Gesellschaft verur­sache. Es gebe keinen Grund, einen Kon­flikt zwis­chen Aktionären anders zu behan­deln als einen Kon­flikt zwis­chen Erben, der die gle­iche Pattsi­t­u­a­tion verur­sache (E. 3.3.2). Vor­liegend sei ein rechtlich­es Inter­esse des inter­ve­nieren­den Erben zu beja­hen (E. 3.4), weshalb sein Inter­ven­tion­s­ge­such gutzuheis­sen sei (E. 4).