4A_340/2021: Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen, Stimmrecht, positive Beschlussfeststellungsklage (amtl. Publ.)

In diesem Leit­entscheid stellte das Bun­des­gericht klar, dass ana­log Art. 659a Abs. 1 OR das Stimm­recht aus Aktien, welche von ein­er patronalen Per­son­alfür­sorges­tiftung gehal­ten wer­den, ruht, sofern nicht mit geeigneten struk­turellen Mass­nah­men sichergestellt sei, dass der Stiftungsrat effek­tiv und dauernd unab­hängig agiere (E. 3–5). Zudem hielt das Bun­des­gericht fest, dass jeden­falls im vor­liegen­den Fall die sog. pos­i­tive Beschlussfest­stel­lungsklage zuläs­sig sei. Diese Zuläs­sigkeit bedinge, dass zweifels­frei fest­ste­he, dass wegen des Mitzäh­lens unzuläs­siger Stim­men ein Beschlus­santrag als abgelehnt fest­ge­hal­ten wor­den sei, der nach den tat­säch­lich gegebe­nen Stim­mver­hält­nis­sen als angenom­men hätte pro­tokol­liert wer­den müssen (E. 6).

Hin­ter­grund dieses Entschei­ds war zusam­menge­fasst fol­gen­der: Eine patronal kon­sti­tu­ierte Per­son­alfür­sorges­tiftung hielt 40 der 150 Name­nak­tien an ein­er Aktienge­sellschaft. Die übri­gen Aktien wur­den von B.B. (30 Aktien), C.B. (40 Aktien) und D.B. (40 Aktien) gehal­ten. Der Stiftungsrat wird vom Ver­wal­tungsrat der Aktienge­sellschaft bes­timmt und bestand im fraglichen Zeit­punkt aus zwei Mit­gliedern (C.B. und D.B.), welche bei­de gle­ichzeit­ig Ver­wal­tungsratsmit­glieder der Aktienge­sellschaft waren. Anlässlich ein­er ausseror­dentlichen Gen­er­alver­samm­lung stimmte C.B. nicht nur mit ihren eige­nen 40 Aktien, son­dern auch mit den 40 Aktien der Per­son­alfür­sorges­tiftung ab. Pro­tokol­liert wur­den fol­gende Abstim­mungsergeb­nisse: Ablehnung der Abwahl von C.B. aus dem Ver­wal­tungsrat mit 80 zu 70 Stim­men; Neuwahl von drei weit­eren Per­so­n­en in den Ver­wal­tungsrat mit 80 zu 70 Stim­men. B.B. klagte beim Han­dels­gericht Zürich, welch­es die Beschlüsse betr­e­f­fend Neuwahl der drei Per­so­n­en ex tunc aufhob und für ungültig erk­lärte, und betr­e­f­fend Abwahl von C.B. fest­stellte, dass der Beschluss fehler­haft sei und als Abwahl von C.B. aus dem Ver­wal­tungsrat mit 70 zu 40 Stim­men zus­tande gekom­men sei. Das Bun­des­gericht schützte dieses Urteil.

Hin­sichtlich der Frage, ob das Stimm­recht ana­log Art. 659a Abs. 1 OR ruhe, wenn eine patronale Per­son­alfür­sorges­tiftung Aktien ein­er Gesellschaft halte, von der sie beherrscht werde, erin­nerte das Bun­des­gericht an den Zweck dieser Bes­tim­mung, näm­lich die Wahrung des Bes­tim­mungsrechts der Gen­er­alver­samm­lung. Eine Per­son­alfür­sorges­tiftung könne zwar nicht mit ein­er (Tochter-)Gesellschaft ver­glichen wer­den, da sie eine eigene finanzielle Grund­lage habe, ihre Mit­telver­wen­dung durch die Zwecke der Stiftung gebun­den sei und sie ein­er staatlichen Auf­sicht (vor­liegend der BVG- und Stiftungsauf­sicht des Kan­tons Zürich) unter­ste­he. Entsprechend sehe das Gesetz nur für eine Mut­terge­sellschaft Erwerb­ss­chranken (Höch­st­gren­zen, Eigenkap­i­talvorschriften) vor. Vor­liegend gehe es indessen nicht um den Kap­i­talschutz, son­dern um die Wil­lens­bil­dung in der Gen­er­alver­samm­lung. Das Ruhen des Stimm­rechts gemäss Art. 659a Abs. 1 OR bezwecke, die Gefahr der Konzen­tra­tion von Macht ohne Risiko beim Ver­wal­tungsrat zu ver­hin­dern und sei darauf zurück­zuführen, dass sich aus dem Erwerb eigen­er Aktien eine unzuläs­sige Bee­in­flus­sung der Stimm­rechtsver­hält­nisse in der Gen­er­alver­samm­lung durch die Gesellschaft­sor­gane ergeben könne. Dieser Schutzgedanke gelte unab­hängig vom Erwerb­sver­bot: Auch wo dieses nicht greife (etwa bis zur Gren­ze von 10 % beziehungsweise 20 % des Aktienkap­i­tals), müsse die Entschlussfrei­heit der Gen­er­alver­samm­lung sichergestellt sein. In der Gen­er­alver­samm­lung wür­den die Aktionäre ihre Herrschaft­srechte ausüben und nur von ihnen, nicht von den Gesellschaft­sor­ga­nen, solle über die Geschicke der Gesellschaft entsch­ieden wer­den. Fol­glich könne es vor­liegend auch nicht auf die for­male Tren­nung der Gesellschaft und der Per­son­alfür­sorges­tiftung als deren Aktionärin ankom­men. Entschei­dend sei vielmehr das zwis­chen ihnen beste­hende Abhängigkeitsver­hält­nis. Wenn die Per­son­alfür­sorges­tiftung der­art von der Gesellschaft beherrscht sei, dass ihr dieser gegenüber kein selb­ständi­ger Wille zukomme, so sei der Gesellschaft die Ver­fü­gungs­ge­walt über die im Eigen­tum der Per­son­alfür­sorges­tiftung befind­lichen Aktien gegeben. Der damit ver­bun­dene Ein­fluss des Ver­wal­tungsrats auf die Entschei­de der Gen­er­alver­samm­lung sei eine Kon­se­quenz, die der Geset­zge­ber mit Art. 659a Abs. 1 OR ger­ade ver­hin­dern wolle. Sie liefe auch der innerge­sellschaftlichen Kom­pe­ten­zverteilung zuwider, weil der Ver­wal­tungsrat qua seines Stiftungsamtes Befug­nisse ausüben würde, welche das Gesetz in unüber­trag­bar­er Weise der Gen­er­alver­samm­lung zugeteilt hätte (Art. 698 in Verbindung mit Art. 716 Abs. 1 OR). Zu bedenken sei schliesslich, dass ein­er Aktionärsmehrheit, die indi­rekt über den von ihr bestell­ten Ver­wal­tungsrat auf die Stimm­rechte der von der Gesellschaft kon­trol­lierten patronalen Per­son­alfür­sorges­tiftung Ein­fluss nehme, im Ergeb­nis — bei gle­ichem Kap­i­talein­satz — Stimm­rechte anwach­sen wür­den. Dies könne ins­beson­dere zur Folge haben, dass Beschlussquoren (vgl. Art. 704 OR) erre­icht wer­den, obwohl dies nach den tat­säch­lichen Machtver­hält­nis­sen in der Gen­er­alver­samm­lung nicht der Fall wäre. Der geset­zlich (und allen­falls statu­tarisch) vorge­se­hene Min­der­heit­en­schutz würde damit unter­laufen. Aus diesen Grün­den dränge sich in der vor­liegen­den Kon­stel­la­tion eine analoge Anwen­dung von Art. 659a Abs. 1 OR (ruhen­des Stimm­recht) auf (E. 5.2.1). Die Tat­sache, so das Bun­des­gericht weit­er, dass die Per­son­alfür­sorges­tiftung der staatlichen Auf­sicht unter­ste­he und der Stiftungsrat dem Stifter­willen sowie dem Stiftungszweck verpflichtet sei, löse allein das Abhängigkeitsver­hält­nis und die Möglichkeit zur Ein­flussnahme nicht. Es würde den wirtschaftlichen Gegeben­heit­en nicht gerecht, in Kon­stel­la­tio­nen patronaler Stiftung­sor­gan­i­sa­tion und per­son­eller Verquick­ung der Entschei­dungsträger — wie sie vor­liegend gegeben seien — der Stiftung einen von der Aktienge­sellschaft autonomen Willen zuzugeste­hen (E. 5.2.2). Eine andere Beurteilung würde jeden­falls voraus­set­zen, dass durch adäquate organ­isatorische Mass­nah­men gewährleis­tet werde, dass der Stiftungsrat von der Aktienge­sellschaft effek­tiv und dauernd unab­hängig sei (E. 5.2.3).

Betr­e­f­fend den Rechts­fol­gen der unbefugten Mitwirkung der Per­son­alfür­sorges­tiftung weist das Bun­des­gericht darauf hin, dass die aktien­rechtliche Stimm­recht­sklage nach Art. 691 Abs. 3 OR hin­sichtlich der beantragten Abwahl von C.B. sich als untauglich­es Instru­ment erweise, soweit es einzig die Aufhe­bung des entsprechen­den Beschlusses ermögliche. Eine blosse Aufhe­bung könne das recht­mäs­sige Ergeb­nis nicht her­stellen, son­dern würde lediglich dazu führen, dass C.B. Mit­glied des Ver­wal­tungsrats bleiben würde, wohinge­gen vor­liegend das kor­rek­te Beschlussergeb­nis auf Annahme des Antrags auf Abwahl laut­en würde. Die herrschende Lehre anerkenne deshalb die sog. pos­i­tive Beschlussfest­stel­lungsklage, deren Zuläs­sigkeit vom Bun­des­gericht bis­lang offen gelassen wor­den sei. Mit dieser Klage werde über die kas­satorische Wirkung der Ungültigkeit­serk­lärung hin­aus ver­langt, den recht­mäs­si­gen Beschlussin­halt klarzustellen, mithin im Regelfall auf gerichtliche Fest­stel­lung der Annahme anstelle der pro­tokol­lierten Ablehnung eines Antrags zu erken­nen. Diese pos­i­tive Beschlussfest­stel­lungsklage sei darauf gerichtet, einen recht­mäs­si­gen Beschluss an die Stelle des rechtswidrig zus­tande gekomme­nen zu set­zen, den Beschlussin­halt zu ändern und damit eine gerichtliche Neu­rod­nung der gesellschaftlichen Recht­slage her­beizuführen (E. 6.2 und 6.3). Jeden­falls im vor­liegen­den Fall sei, so das Bun­des­gericht weit­er, die pos­i­tive Beschlussfest­stel­lungsklage zuzu­lassen: Gen­er­alver­samm­lungs­beschlüsse, welche das Recht auf Teil­nahme an der Gen­er­alver­samm­lung oder das Min­dest­stimm­recht eines Aktionärs entziehen oder beschränken, seien nichtig (Art. 706b Ziff. 1 OR). Damit bringe das Gesetz die zen­trale Bedeu­tung zum Aus­druck, welche dem unentziehbaren Stimm­recht des Aktionärs als Mitwirkungsrecht in Angele­gen­heit­en der Aktienge­sellschaft zukomme. Dies schliesse ein, dass die Stimme eines Aktionärs an der Gen­er­alver­samm­lung nur anderen gülti­gen Stim­men ander­er Aktionäre gegenübergestellt werde. Die Zulas­sung unbefugter Teil­nehmer zur Abstim­mung in der Gen­er­alver­samm­lung entwerte das Stimm­recht. Wäre das Gericht einzig befugt, ablehnende Gen­er­alver­samm­lungs­beschlüsse aufzuheben, kön­nte über dieses Trak­tan­dum erst an ein­er fol­gen­den Gen­er­alver­samm­lung — möglicher­weise erst erhe­bliche Zeit später und unter verän­derten Umstän­den, ins­beson­dere mit allen­falls anders zusam­menge­set­ztem Aktionärskreis — abges­timmt wer­den. Der Zus­tand, der recht­mäs­sig her­aus­gekom­men wäre, könne damit in der Regel nicht mehr hergestellt wer­den. Dies komme ein­er Vere­it­elung des Stimm­rechts gle­ich. Räume das Gesetz den Aktionären aber ein Stimm­recht ein, müsse dieses zu einem ern­sthaften staatlichen Schutz führen. Es ist denn auch nicht einzuse­hen, weshalb bei der Anfech­tung eines pos­i­tiv­en Beschlussergeb­niss­es der recht­mäs­sige Zus­tand mit­tels Kas­sa­tion hergestellt wer­den könne, dem Aktionär im Falle eines ablehnen­den Beschlusses ein ver­gle­ich­bar­er Rechtss­chutz indes ver­sagt sein solle. Sodann sei zu beacht­en, dass jed­er Aktionär befugt sei, gegen die Teil­nahme unberechtigter Per­so­n­en vor oder in der Gen­er­alver­samm­lung Ein­spruch zu erheben (Art. 691 Abs. 2 OR). Über den Ein­spruch entschei­de der Ver­wal­tungsrat bzw. der Vor­sitzende der Gen­er­alver­samm­lung. Der Geset­zge­ber habe aus­drück­lich von ein­er Inter­ven­tion des Gerichts in diesem Sta­di­um abge­se­hen, mit dem Hin­weis auf das vor­be­halt­lose Recht zur Anfech­tung eines unter Mitwirkung unberechtigter Per­so­n­en zus­tande gekomme­nen Beschlusses. Sofern somit den Wirkun­gen des Ein­spruchs Gren­zen geset­zt seien, müsse zumin­d­est die Anfech­tung einen effek­tiv­en Rechtss­chutz sich­er­stellen. Dieser sei allein mit der pos­i­tiv­en Beschlussfest­stel­lungsklage gewährleis­tet (E. 6.5.2). Eine erfol­gre­iche pos­i­tive Beschlussfest­stel­lungsklage set­ze allerd­ings voraus, dass das Gericht ohne Weit­eres den Zus­tand fest­stellen könne, der bei recht­mäs­siger Auszäh­lung der Stim­men her­aus­gekom­men wäre. Das Gericht trete, so das Bun­des­gericht, nicht an die Stelle der Gen­er­alver­samm­lung oder der Aktionäre und fälle schon gar nicht einen Ermessensentscheid, son­dern merze einen Fehler in der Ermit­tlung des Abstim­mungsergeb­niss­es aus. Dementsprechend müsse das formell kor­rek­te Ergeb­nis zweifels­frei ermit­telt wer­den kön­nen. Es habe somit festzuste­hen, dass wegen des Mitzäh­lens unzuläs­siger Stim­men ein Beschlus­santrag als abgelehnt verkün­det wor­den sei, der nach den tat­säch­lich gegebe­nen Stim­mver­hält­nis­sen als angenom­men hätte pro­tokol­liert wer­den müssen. So werde sichergestellt, dass die Wil­lens­bil­dungsau­tonomie der Gen­er­alver­samm­lung sowie die Stimm­recht­sträger­schaft der Aktionäre unange­tastet bleiben würde, und nicht das Gericht inhaltlich über gesellschaftliche Belange befinde (E. 6.5.3).