4A_36/2021: aktienrechtliche Verantwortlichkeit, Aktivlegitimation (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht bestätigt in diesem Urteil seine Recht­sprechung, wonach die Klage­befug­nis des direkt geschädigten Aktionärs bzw. Gläu­bigers eingeschränkt sei, sofern über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet sei. In ein­er solchen Kon­stel­la­tion sei der Aktionär bzw. Geschädigte nur zur Klage ermächtigt, wenn er sich auf spez­i­fis­che Schutznor­men, Art. 41 OR oder cul­pa in con­tra­hen­do stützen könne. Bei ein­er aufrecht­ste­hen­den Gesellschaft beste­he keine Gefahr ein­er Konkur­ren­zierung zulas­ten der Gesellschaft, wom­it auch eine Ein­schränkung in der Klage­be­fungis nicht gerecht­fer­tigt sei.

Dem Urteil lag zusam­menge­fasst fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die A.A. Ltd. SPC hält als Invest­ment­fonds­ge­sellschaft ver­schiedene Unter­fonds, unter anderem den “X‑Fonds”, welche nicht als juris­tis­che Per­so­n­en aus­gestal­tet sind und ihr Ver­mö­gen sep­a­rat sowie getren­nt von den übri­gen Unter­fonds ver­wal­ten. B. war Ver­wal­tungsrat­spräsi­dent der C. AG, welche mit der A.A. Ltd. SPC ein Admin­is­tra­tive Ser­vices Agree­ment abgeschlossen hat­te, worin C. AG zum Admin­is­tra­tor des X‑Fonds ernan­nt und mit dessen Ver­wal­tung beauf­tragt wurde. Im Zusam­men­hang mit der Rück­zahlung der X‑Fonds-Anteile teilte B. der A.A. Ltd. SPC (und ein­er Investorin) mit, die Rück­zahlung könne nicht aus­ge­führt wer­den, da rund USD 26 Mio. fehlen wür­den. Ein Teil der Gelder sei durch einen ehe­ma­li­gen Ver­wal­tungsrat der C. AG ver­spekuliert wor­den. Die A.A. Ltd. SPC klagte daraufhin vor dem Han­dels­gericht des Kan­tons Zürich gegen B und machte gel­tend, dieser habe Gelder aus dem X‑Fonds verun­treut und hafte dafür, namentlich aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wortlichkeit. Das Han­dels­gericht wies die Klage ab. Es wies die Ein­wände von B. gegen die Aktivle­git­i­ma­tion der A.A. Ltd. SPC sowie gegen seine Pas­sivle­git­i­ma­tion zurück. Weit­er erwog es, die A.A. Ltd. SPC sei ihrer Behaup­tungs- und Sub­stanzi­ierungslast hin­sichtlich des Schadens nicht nachgekommen.

Hin­sichtlich der Frage der Aktivle­git­i­ma­tion erin­nerte das Bun­des­gericht zunächst an die drei zu unter­schei­den­den Kon­stel­la­tio­nen (E. 3.2). Vor­liegend ging es um die Sit­u­a­tion, in welch­er sowohl die Gesellschaft als auch der Gläu­biger und/oder Aktionär unmit­tel­bar bzw. direkt geschädigt sind. Dabei erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass die Klage­befug­nis des direkt geschädigten Aktionärs bzw. Gläu­bigers — jeden­falls für bes­timmte Fälle — insofern eingeschränkt sei, als dieser nur dann seinen direk­ten Schaden ein­kla­gen könne, wenn das Ver­hal­ten des Gesellschaft­sor­gans gegen aktien­rechtliche Bes­tim­mungen ver­stosse, die auss­chliesslich dem Gläu­biger- oder Aktionärss­chutz dienen wür­den oder die Schaden­er­satzpflicht auf einem anderen wider­rechtlichen Ver­hal­ten des Organs im Sinne von Art. 41 OR oder einem Tatbe­stand der cul­pa in con­tra­hen­do gründe. Strit­tig war in diesem Ver­fahren, wann diese Ein­schränkung über­haupt Anwen­dung find­et, mithin ob unter­schieden wer­den müsse, ob sich die Gesellschaft im Konkurs befind­et oder aufrecht steht.

Das Bun­des­gericht ver­wies zunächst auf BGE 131 III 306, wonach in der Kon­stel­la­tion, dass neb­st den Aktionären und Gesellschafts­gläu­bigern auch die konkur­site Gesellschaft direkt geschädigt sei, die Indi­vid­u­alk­lage der Aktionäre und Gläu­biger in Konkur­renz zu den Ansprüchen der Gesellschaft treten könne. Nur für diesen Fall habe die Recht­sprechung die Klage­befug­nis der Aktionäre und Gläu­biger zur Ver­hin­derung eines Wet­t­laufs zwis­chen der Konkursver­wal­tung und den direkt kla­gen­den Gläu­bigern bzw. Aktionären zur Gel­tend­machung von Ver­ant­wortlichkeit­sansprüchen eingeschränkt. Von dieser Recht­sprechung sei das Bun­des­gericht in BGE 132 III 564 sowie BGE 141 III 112 nicht abgewichen: In bei­den Entschei­den habe sich das Bun­des­gericht nicht expliz­it dazu geäussert, ob die Pri­or­ität der Klage der Gesellschaft (weit­er­hin) unab­hängig davon gel­ten solle, ob sich die Gesellschaft im Konkurs befinde oder nicht. Die For­mulierung in den bei­den Entschei­den unter­schei­de nicht zwis­chen der Gesellschaft und der Konkursver­wal­tung, wom­it pri­ma facie abgeleit­et wer­den kön­nte, die Ein­schränkung solle auch dann beste­hen, wenn die Gesellschaft aufrecht ste­he. Eine eigentliche Abkehr von BGE 131 III 306 lasse sich daraus aber nicht ableit­en. In bei­den Entschei­den sei sodann ein Konkurs eröffnet wor­den, in der Folge habe aber trotz­dem keine aktuelle Konkur­ren­zsi­t­u­a­tion mehr bestanden. Die in BGE 141 III 112 ange­sproch­ene Erle­ichterung der Klagele­git­i­ma­tion für direkt geschädigte Gläu­biger auch nach Konkurs­eröff­nung sei mehrheitlich begrüsst wor­den. Eine Beschränkung auf Fälle, wo sich der Gläu­biger auf spez­i­fis­che Schutznor­men, Art. 41 OR oder cul­pa in con­tra­hen­do stützen könne, sei in der Tat nur gerecht­fer­tigt, wenn tat­säch­lich zufolge par­al­lel­er Ansprüche die Gefahr ein­er Konkur­ren­zierung zulas­ten der Gesellschaft beste­he (E. 3.2.3.1).

Bei ein­er aufrecht­ste­hen­den Gesellschaft beste­he, so das Bun­des­gericht weit­er, erst Recht keine Konkur­ren­zsi­t­u­a­tion. Die Recht­fer­ti­gung für die Beschränkung der Klagele­git­i­ma­tion, dass die Inter­essen der Gesamtheit der Gläu­biger beein­trächtigt wären, weil die Konkursver­wal­tung bei Ver­ant­wortlichkeit­skla­gen regelmäs­sig erst nach der zweit­en Gläu­bigerver­samm­lung aktiv wer­den könne, während direkt geschädigte Gläu­biger sofort kla­gen kön­nten, ent­falle. In der Lehre werde denn auch — allerd­ings ohne weit­ere Begrün­dung — aus­ge­führt, ausser­halb des Konkurs­es beste­he keine Ein­schränkung der Aktivle­git­i­ma­tion des Aktionärs bzw. Gläu­bigers. Auch auf­grund der Art des Schadens beste­he kein Grund für eine Pri­or­isierung der Gesellschaft. Vielmehr führe hier eine (ange­blich) wider­rechtliche Hand­lung zu zwei Schaden­er­satz­forderun­gen (eine gegen das Organ und eine gegen die Gesellschaft) für ein und densel­ben Schaden. Der Schaden der Gläu­bigerin sei kein bloss­er Reflexschaden, der von ihr ausser­halb des Konkurs­es nicht gel­tend gemacht wer­den könne. Zwis­chen bei­den Schaden­er­satz­forderun­gen beste­ht unechte Sol­i­dar­ität. Der Gläu­biger als Geschädigter könne wählen, ob er gegen das Organ oder gegen die Gesellschaft vorge­hen wolle (E. 3.2.3.1).

Es beste­he somit keine Ein­schränkung in dem Sinne, dass die A.A. Ltd. SPC (als Gläu­bigerin) nur aktivle­git­imiert wäre, wenn sie ihre Klage mit ein­er uner­laubten Hand­lung (Art. 41 OR), ein­er cul­pa in con­tra­hen­do oder ein­er Ver­let­zung ein­er auss­chliesslich zum Schutz der Gläu­biger konzip­ierten Bes­tim­mung des Gesellschaft­srechts begründe. Auch wenn diese Ein­schränkung nicht beste­he, könne sich die A.A. Ltd. SPC aber nicht tel quel auf aktien­rechtliche Bes­tim­mungen berufen, die nur den Schutz der Gesellschaft bezweck­en wür­den. Es sei zwar nicht erforder­lich, dass sie sich auf eine auss­chliesslich zum Schutz der Gläu­biger konzip­ierte Bes­tim­mung stützen könne, jedoch müsse sie sich auf eine Bes­tim­mung stützen kön­nen, die sowohl den Schutz der Gesellschaft wie auch den Schutz der Gläu­biger bezwecke (Norm mit dop­pel­ter Schutzwirkung). Dazu wür­den namentlich die Bilanzvorschriften und die Bes­tim­mungen über das Ver­hal­ten bei einge­treten­er Über­schul­dung gehören (E. 3.2.3.2).

Fraglich war sodann unter dem Aspekt der Aktivle­git­i­ma­tion, ob die A.A. Ltd. SPC allfäl­lige Ansprüche gestützt auf ein Asset Pur­chase Agree­ment abge­treten hat­te. Das Han­dels­gericht erwog dabei unter anderem, dass die Forderun­gen man­gels hin­re­ichen­der Bes­timmtheit oder Bes­timm­barkeit nicht gültig abge­treten wor­den seien (E. 3.3.1). Dies überzeugte das Bun­des­gericht nicht. Es erin­nerte daran, für eine gültige Abtre­tung müsse ein unbeteiligter Drit­ter ohne Ken­nt­nis der Umstände der Abtre­tung aus der Urkunde selb­st erken­nen, wem die Forderung zuste­he; ins­beson­dere müsse auch bei ein­er Mehrzahl zediert­er Forderun­gen hin­re­ichend klar erkennbar sein, ob eine bes­timmte Forderung zu den abge­trete­nen gehöre oder nicht. Vor­liegend tre­ffe, so das Bun­des­gericht, zwar zu, dass das Asset Pur­chase Agree­ment keine konkreten Verträge nenne, die über­tra­gen wer­den soll­ten. Indem das Han­dels­gericht aber erwäge, die Umschrei­bun­gen im Ver­trag­s­text genügten nicht, um daraus “auf die exak­ten Verträge” schliessen zu kön­nen, ver­lange sie zu Unrecht mehr als Bes­timm­barkeit, näm­lich die Nen­nung bes­timmter (“exak­ter”) Verträge. Vor­liegend sei unbe­strit­ten und ergebe sich bere­its aus der Präam­bel sowie der Def­i­n­i­tion der “Pur­chased Assets”, dass mit “Pur­chased Assets ” der X‑Fonds gemeint sei. Sodann werde im Asset Pur­chase Agree­ment aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass alle Forderun­gen und Rechte im Zusam­men­hang mit den “Pur­chased Assets” überge­hen soll­ten. Es gehe also klar her­vor, dass alle Verträge und alle Forderun­gen im Zusam­men­hang mit dem X‑Fonds über­tra­gen wer­den sollen. Zweifel­los falle das Admin­is­tra­tive Ser­vices Agree­ment und die sich daraus ergeben­den Forderun­gen — auch für einen Drit­ten erkennbar — unter diese For­mulierung. Nicht rel­e­vant sei schliesslich, dass eine Ver­tragsüber­nahme der Zus­tim­mung aller Beteiligten bedürfe, denn strit­tig sei vor­liegend eine konkrete Forderung und nicht die Verpflich­tun­gen der C. AG, welche auf­grund der Ver­tragsüber­tra­gung auf einen Drit­ten überge­gan­gen wären und denen sie nicht zuges­timmt hätte. Das Asset Pur­chase Agree­ment umfasse all­ge­mein alle Rechte der A.A. Ltd. SPC im Zusam­men­hang mit dem X‑Fonds und damit sowohl deren ver­traglichen Ansprüche als auch ausserver­tragliche Ansprüche gegen B. Dies entspreche auch dem Ver­tragszweck (E. 3.3.4).

Das Han­dels­gericht hätte somit, so das Bun­des­gericht, die Ein­wände von B. gegen die Aktivle­git­i­ma­tion der A.A. Ltd. SPC und deren dage­gen gerichtete Ent­geg­nun­gen nicht offen­lassen dür­fen (E. 3.3.5). Da das Han­dels­gericht die Klage zu Unrecht wegen ungenü­gen­der Sub­stanzi­ierung der Anspruchsvo­raus­set­zun­gen (konkret der Wieder­rechtlichkeit und des Schadens) abgewiesen hätte (E. 5–7), hob das Bun­des­gericht das Urteil des Han­dels­gerichts auf und wies die Sache zur Neubeurteilung zurück (E. 8).