4A_19/2020: Aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Löschung der Gesellschaft im Handelsregister; Auswirkungen auf die Abtretungsgläubiger nach Art. 260 SchKG (amtl. Publ.)

In diesem Urteil präzisierte bzw. kor­rigierte das Bun­des­gericht seine frühere Recht­sprechung mit Bezug auf die Forderungsab­tre­tung nach Art. 260 SchKG. Es hielt fest, dass nach erfol­gter Abtre­tung die Löschung der Gesellschaft keinen Ein­fluss auf die Aktivle­git­i­ma­tion der Abtre­tungs­gläu­biger habe und — ent­ge­gen sein­er im Urteil 4A_384/2016 vertrete­nen Auf­fas­sung — keine Wiedere­in­tra­gung notwendig sei, damit die im eige­nen Namen kla­gen­den Gläu­biger die Ansprüche der gelöscht­en Gesellschaft gel­tend machen kön­nten. Auch kön­nten Forderun­gen nach Löschung der Gesellschaft aufge­fun­den und im Rah­men eines Nachkonkurs­es (Art. 269 SchKG) ohne Wiedere­in­tra­gung der Gesellschaft ver­w­ertet wer­den. Eine Wiedere­in­tra­gung sei nur nötig, wenn sie für die Beendi­gung des Konkursver­fahrens der gelöscht­en Recht­sein­heit erforder­lich sei (Art. 164 Abs. 1 lit. d HRegV).

Hin­ter­grund dieses Ver­fahrens waren (zusam­menge­fasst) Ver­ant­wortlichkeit­sansprüche, welche zweien Gläu­bigern nach Art. 260 SchKG abge­treten wur­den. Wenig später wurde das sum­marische Konkursver­fahren für geschlossen erk­lärt, woraufhin die Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter von Amtes wegen gelöscht wurde. Ein Jahr später klagten die Gläu­biger gegen ein ehe­ma­liges formelles Organ (Beschw­erde­führer) der Gesellschaft aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wortlichkeit. Das Bezirks­gericht wies die Klage man­gels Aktivle­git­i­ma­tion ab, mit der Erwä­gung, dass mit der Löschung der Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter der Recht­sträger der Ver­ant­wortlichkeit­sansprüche wegge­fall­en sei . Rund ein Monat später wurde die Gesellschaft jedoch wieder ins Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gen, woraufhin die Gläu­biger Beru­fung gegen den Entscheid des Bezirks­gerichts ein­re­icht­en. Das Obgerg­ericht hies die Beru­fung gut, hob den Entscheid des Bezirks­gerichts auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an dieses zurück. Das Bezirks­gericht wie auch danach das Oberg­ericht hiessen daraufhin die Klage gut.

Der Beschw­erde­führer stützte sich vor Bun­des­gericht auf das Urteil 4A_384/2016 und machte gel­tend, nach der Löschung der Gesellschaft fehle der Recht­sträger der eingeklagten Forderung und dem als Prozess­stand­schafter kla­gen­den Gläu­biger fehle die Aktivle­git­i­ma­tion, wom­it dessen Klage als unbe­grün­det abzuweisen sein. Das Bun­des­gericht fol­gte jedoch seinem früheren Urteil nicht, son­dern kor­rigierte dieses dahinge­hend, dass die Löschung der konkur­siten Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter in Bezug auf nach Art. 260 SchKG abge­tretene Ansprüche keine Auswirkun­gen auf die Aktivle­git­i­ma­tion der Abtre­tungs­gläu­biger zeige (E. 2). Offen liess es daher, ob — wie vom Beschw­erde­führer gel­tend gemacht — die anwaltlich vertrete­nen Gläu­biger vor Klageein­re­ichung die ihre Aktivle­git­i­ma­tion begrün­dende Wiedere­in­tra­gung der Gesellschaft hät­ten vornehmen müssen.

Das Bun­des­gericht wies zunächst darauf hin, dass in der Lehre kon­tro­vers disku­tiert werde, ob Han­del­sreg­is­tere­in­tra­gun­gen für das Unterge­hen von Aktienge­sellschaften kon­sti­tu­tiv sei, mithin ob Aktienge­sellschaften mit der Löschung im Han­del­sreg­is­ter unterge­hen oder nicht. Im Urteil 4A_384/2016 habe das Bun­des­gericht fest­ge­hal­ten, dass mit der Löschung ein­er sich in Liq­ui­da­tion befind­en­den Aktienge­sellschaft im Han­del­sreg­is­ter deren Rechtsper­sön­lichkeit unterge­he. Damit fehle der Recht­sträger des Ver­ant­wortlichkeit­sanspruchs auf Ersatz des Gesellschaftss­chadens (4A_384/2016, E. 2.1.3). Fehle aber der Recht­sträger der eingeklagten Forderung, erman­gle es dem als Prozess­stand­schafter kla­gen­den Gläu­biger der Aktivle­git­i­ma­tion, weshalb dessen Klage als unbe­grün­det abzuweisen sei (4A_384/2016, E. 2.3). Im Nach­gang zu diesem Urteil werde, so das Bun­des­gericht weit­er, in der Lehre die Auf­fas­sung vertreten, Aktiv­forderun­gen gin­gen mit der Löschung der Gesellschaft unter, und es werde daraus der Schluss gezo­gen, damit erman­gele es dem Abtre­tungs­gläu­biger im Aktivprozess an der Aktivle­git­i­ma­tion und im Pas­sivprozess an der Pas­sivle­git­i­ma­tion (E. 2.2).

Sodann erwog das Bun­des­gericht, dass nicht davon auszuge­hen sei, dass das Bun­des­gericht mit seinem Urteil 4A_384/2016 eine Änderung der Recht­sprechung beab­sichtigt hätte, da es sich mit der Frage, ob die für eine Änderung der Recht­sprechung notwendi­gen Voraus­set­zun­gen erfüllt gewe­sen wären, nicht auseinan­derge­set­zt hätte (E. 2.3).

Daraufhin erin­nerte das Bun­des­gericht an seine im Zusam­men­hang mit der Löschung im Han­del­sreg­is­ter ergan­gene, amtlich pub­lizierte Recht­sprechung. Soweit diese der Löschung eine kon­sti­tu­tive Wirkung anerkenne, ziehe das Bun­des­gericht daraus nicht den Schluss, dass man­gels Recht­sträger­schaft Aktiv- oder Pas­siv­forderun­gen unterge­hen wür­den. Die Löschung habe somit keinen Ein­fluss auf den Bestand ein­er Forderung. Vielmehr gehe es um die weg­fal­l­ende Fähigkeit der liq­ui­dierten und aus dem Han­del­sreg­is­ter gestrich­enen Gesellschaft, am Rechtsverkehr teilzunehmen. Zwar sei im Urteil 4A_384/2016 von einem Wieder­au­fleben der Forderun­gen die Rede und Ver­mö­genswerte der gelöscht­en Gesellschaft wür­den als her­ren­los beze­ich­net. Dies aber nicht etwa mit der Folge, dass die Forderun­gen her­ren­los blieben und für Sachen Art. 718 ZGB zum Zuge käme, son­dern es werde klargestellt, dass anstelle der in den Art. 57 Abs. 1 und Art. 466 ZGB vorge­se­henen Recht­snach­folge des Gemein­we­sens nach Art. 269 Abs. 1 SchKG die Zuständigkeit des Konkur­samtes trete. Die Durch­führung eines Nachkonkurs­es nach Art. 269 Abs. 1 SchKG set­ze aber, soweit die Konkurs­masse darin nicht Ansprüche oder son­stige Aktiv­en aktiv gel­tend machen wolle (namentlich durch Ver­gle­ich, Betrei­bung, Klage, Schiedsver­fahren etc.), keine Wiedere­in­tra­gung voraus. Auch dieser Entscheid ver­lange somit keine Wiedere­in­tra­gung der Gesellschaft zur Ver­w­er­tung der Ansprüche (E. 2.4).

Das Bun­des­gericht wies anschliessend darauf hin, dass es sich der Abtre­tung nach Art. 260 SchKG um ein betrei­bungs- und prozess­rechtlich­es Insti­tut sui gener­is han­dle, mit dem die Prozess­führungs­befug­nis über­tra­gen werde, und nicht um eine Abtre­tung im zivil­rechtlichen Sinne. Die Abtre­tungs­gläu­biger wür­den den Prozess zwar in eigen­em Namen, auf eigene Rech­nung und auf eigenes Risiko führen, wür­den durch die Abtre­tung indes nicht Träger des abge­trete­nen Anspruchs. Die Konkurs­masse bzw. die konkur­site Gesellschaft sei jedoch nicht Prozess­partei. Dass die Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gen bleibe, sei daher für den Prozess der Abtre­tungs­gläu­biger nicht notwendig (E. 2.5.1). Die Abtre­tung nach Art. 260 SchKG eröffne eine beson­dere Möglichkeit, der Konkurs­masse zu Aktiv­en zu ver­helfen, die zwar bestrit­ten seien, aber zur Masse gehören wür­den. Sie diene dem mit der Konkurs­eröff­nung über eine Gesellschaft all­ge­mein ver­fol­gten Zweck, im Inter­esse der Gesellschafts­gläu­biger das zur Masse gehörende Ver­mö­gen erhältlich zu machen (E. 2.5.2). Mit diesem Zweck liesse es sich nicht vere­in­baren, die Prozess­führungs­befug­nis bei Löschung der Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter dahin­fall­en zu lassen. Unter Hin­weis auf Art. 95 KOV erwog das Bun­des­gericht sodann, dass ein gemäss dieser Bes­tim­mung vorher erfol­gter Abschluss des Konkursver­fahrens keinen Sinn ergeben wür­den, wenn der Han­del­sreg­is­tere­in­trag der Gesellschaft notwendig sei, um die Ansprüche gel­tend zu machen. Trotz der nach Konkurss­chluss vorzunehmenden Löschung der konkur­siten Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter (Art. 159 Abs. 5 lit. b HRegV) sei es — so das Bun­des­gericht unter Ver­weis auf sein Urteil 5A_50/2015, E. 3.4.3 — möglich, einen sich nach erfol­gter Abtre­tung nach Art. 260 SchKG ergeben­den Über­schuss­es für die Masse an die Konkurs­gläu­biger nachzu­verteilen. Dies set­ze voraus, dass die nach Art. 260 SchKG ver­fol­gten Ansprüche trotz ein­er Löschung der Gesellschaft erfol­gre­ich durchge­set­zt wer­den kön­nten (E. 2.5.3). Sodann ver­wies das Bun­des­gericht auf die Bes­tim­mung zum Nachkonkurs (Art. 269 SchKG). Die Löschung der Gesellschaft ste­he einem Nachkonkurs nicht ent­ge­gen. Für die Ver­w­er­tung und Nachverteilung müsse die im Han­del­sreg­is­ter gelöschte Gesellschaft deshalb auch nicht wieder einge­tra­gen wer­den. Nur soweit die Konkurs­masse im Nachkonkurs durch Ver­gle­ich, Betrei­bung, Klage, Schiedsver­fahren etc. Ansprüche aktiv gel­tend machen wolle, müssten gelöschte juris­tis­che Per­son wieder im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gen wer­den. Der Geset­zge­ber gehe denn auch in Art. 269 Abs. 3 SchKG davon aus, dass im Rah­men des Nachkonkurs­es, der keine Wiedere­in­tra­gung voraus­set­ze, Forderun­gen auf­tauchen und nach Art. 260 SchKG abge­treten wer­den kön­nten (E. 2.5.4 und E. 2.5.5).

Weit­er erwog das Bun­des­gericht, dass es an einem schützenswerten Inter­esse fehle, die Klage­befug­nis mit der Löschung der Gesellschaft im Han­del­sreg­is­ter ent­fall­en zu lassen. Mit der Abtre­tung nach 260 SchKG werde der Abtre­tungs­gläu­biger formell Prozess­partei und hafte damit für sämtliche Prozesskosten. Die Gegen­partei habe dies­bezüglich mit der gelöscht­en Gesellschaft nichts mehr zu tun (E. 2.6.1). Zudem erweise sich der Ein­wand, es sei eine Wiedere­in­tra­gung nötig, als blosse Schikane, um sich der in jedem Fall gegenüber den Abtre­tungs­gläu­bigern zu erbrin­gen­den Zahlung zu entziehen. Ein der­ar­tiges Ver­hal­ten ver­di­ene keinen Rechtss­chutz (E. 2.6.2).

Schliesslich wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass die Löschung ein­er Gesellschaft vor Beendi­gung der Prozesse über die nach Art. 260 SchKG abge­trete­nen Ansprüche nicht nur den Verord­nun­gen zum SchKG, son­dern ein­er ver­bre­it­eten Prax­is entsprechen würde. Entsprechend hätte das Urteil 4A_384/2016 ein­er­seits zu Recht­sun­sicher­heit und ein­er Häu­fung von Wiedere­in­tra­gungs­ge­suchen geführt sowie ander­er­seits dazu, dass in der Lehre und Prax­is nach Möglichkeit­en gesucht werde, den an sich vorge­se­henen Abschluss des Konkursver­fahrens oder zumin­d­est die sich daran anschliessende Löschung der Gesellschaft hin­auszuzögern (E. 2.7).

Auch mit Bezug auf die übri­gen Voraus­set­zun­gen für die Haf­tung aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wortlichkeit drang der Beschw­erde­führer mit seinen Rügen nicht durch (E. 3). Dabei erwog das Bun­des­gericht ins­beson­dere, dass die Sorgfalt­spflichtsver­let­zung in der Anlage zu gross­er Mit­tel in ein­er hochspeku­la­tiv­en Investi­tion sowie in der man­gel­nden Absicherung eines nicht hochspeku­la­tiv­en Pro­jek­tes im Falle seines Scheit­erns liege. Selb­st wenn eine vernün­ftige Aus­sicht auf Erfolg bestanden hätte, wäre der Beschw­erde­führer verpflichtet gewe­sen, das Geschäft der­art zu gestal­ten, dass  bei einem Scheit­ern des Pro­jek­ts nicht 87,65 % der Aktiv­en der Gesellschaft ver­mei­d­baren Ver­lus­trisiken aus­ge­set­zt gewe­sen wären. Ein­er Pro­jek­t­pla­nung, die nur auf den Erfol­gs­fall ver­traue, ohne mögliche und nach den Umstän­den gebotene Mass­nah­men zu ergreifen, um unnötige Tota­laus­fälle im Falle des Scheit­erns zu ver­mei­den, wohne ein speku­la­tives, und, wenn 87,65 % der Aktiv­en der Gesellschaft betrof­fen seien, pflichtwidriges Ele­ment inne. Der Beschw­erde­führer habe nicht rechts­genüglich dargelegt, weshalb eine vor­sichtigere Geschäftsab­wick­lung oder eine son­stige Sicherung des Dar­lehens nicht möglich gewe­sen wären (E. 3.5.5).