4A_449/2021: Erfüllungsort gem. Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ (amtl. Publ.)

In diesem Urteil klärte das Bun­des­gericht, dass bei ein­er Pflicht der Verkäuferin, die Ware zur Liefer­ung bere­itzustellen, als Liefer­ort i.S.v. Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ jen­er Ort gelte, an dem die Ware zur Ver­fü­gung gestellt werde. Dabei sei irrel­e­vant, wer die Ware abhole.

Hin­ter­grund dieses Urteils war eine Beschw­erde­führerin mit Sitz in den Nieder­lan­den, die Fahrradzube­hör bei der Beschw­erdegeg­ner­in mit Sitz in der Schweiz bestellte. In der Fol­gte strit­ten die Parteien um den Umfang ein­er aus­ge­führten Liefer­ung. Auf die Klage der Beschw­erdegeg­ner­in erhob die Beschw­erde­führerin die Einrede der fehlen­den inter­na­tionalen und örtlichen Zuständigkeit. Das Han­dels­gericht Zürich wies die Einrede ab und das Bun­des­gericht schützte diesen Entscheid.

Strit­tig war die Frage, wo der Erfül­lung­sort im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ liegt. Die Beschw­erdegeg­ner­in machte gel­tend, sie habe das bestellte Fahrradzube­hör vere­in­barungs­gemäss an ihrem Sitz in der Schweiz zur Abhol­ung bere­it­gestellt, ihre Verpflich­tun­gen somit dort erfüllt. Die Beschw­erde­führerin räumte zwar ein, den Trans­port der Kauf­sache aus der Schweiz in die Nieder­lande organ­isiert zu haben, behauptet aber, dass die Abnahme der Ware (inklu­sive deren Über­prü­fung auf Voll­ständigkeit und Män­gel) erst an ihrem Sitz in den Nieder­lan­den erfol­gt sei. Der Erfül­lung­sort befinde sich fol­glich an ihrem Sitz, weshalb die Zürcher Gerichte nicht zuständig seien (E. 3.2).

Das Bun­des­gericht rief zunächst seine im Zusam­men­hang mit Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ ergan­gene Recht­sprechung in Erin­nerung. Der Liefer­ort nach Art. 5 Nr. 1 lit. b LugÜ sei in erster Lin­ie “nach dem Ver­trag” und dessen Ausle­gung zu bes­tim­men. Könne der Liefer­ort nicht anhand der Ver­trags­bes­tim­mungen ermit­telt wer­den, sei hil­f­sweise der Über­gabeort der Ware her­anzuziehen, insofern dies nicht den Ver­trags­bes­tim­mungen wider­spreche. Sei auch dies nicht möglich, so sei er “auf andere Weise” zu ermit­teln, die den mit dem LugÜ ver­fol­gten Zie­len der Vorherse­hbarkeit und der räum­lichen Nähe Rech­nung trage. Dabei ver­wies es auf die — das Bun­des­gericht nicht bindende — Recht­sprechung des EuGH, wonach bei einem sog. “Versendungskauf” der Ort der kör­per­lichen Über­gabe jen­er Ort sei, an dem die Käuferin am endgülti­gen Bes­tim­mung­sort des Verkaufsvor­gangs die tat­säch­liche Ver­fü­gungs­ge­walt über die Waren erlangt habe oder hätte erlan­gen müssen (E. 4.2).

Sodann wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass in der Lehre zu Art. 5 Nr. 1 lit. b LugÜ Kon­stel­la­tio­nen wie die vor­liegende als “Holschuld” beze­ich­net würde und eine solche vor­liegend vere­in­bart und gelebt wor­den sei. Beschränke sich die Pflicht und die Auf­gabe der Verkäuferin darauf, die Ware zu Han­den der Käuferin zur Abhol­ung bere­itzustellen, wom­it eine “Holschuld” der Käuferin vor­liege, beste­he weit­ge­hend Einigkeit darin, dass als kon­ven­tion­sau­tonom bes­timmter Erfül­lung­sort i.S.v. Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ jen­er Ort gelte, an dem die Ware von der Verkäuferin zur Ver­fü­gung gestellt werde, unab­hängig davon, ob die Ware dort von der Käuferin selb­st oder von einem von dieser autorisierten Drit­ten abge­holt werde (E. 4.3.2).

Dies sei, so das Bun­des­gericht weit­er, sachgerecht: Dort, wo die Verkäuferin die Ware bere­i­thalte, solle die Käuferin nach dem Willen der Parteien in die Lage ver­set­zt wer­den, die Ware in ihren kör­per­lichen Gewahrsam zu nehmen.  Es wider­spräche dem grundle­gen­den Prinzip der Vorherse­hbarkeit, auf jenen Ort abzustellen, an welchen die Käuferin (oder ein von dieser beauf­tragtes Trans­portun­ternehmen) die Ware selb­st­bes­timmt ver­frachte, wie dies die Beschw­erde­führerin vorschlage. Ein der­ar­tig in das Belieben der Käuferin gestell­ter Gerichts­stand liesse sich mit der auf Recht­sklarheit abzie­len­den Zuständigkeit­sor­d­nung in Art. 5 Ziff. 1 lit. b LugÜ nicht in Ein­klang brin­gen. Die Beschw­erde­führerin ver­schleiere das Prob­lem, wenn sie wieder­holt vor­trage, die “eigentliche Abnahme” der Ware sei erst an ihrem Sitz in den Nieder­lan­den erfol­gt. Dieser Vor­gang ste­he nicht nur ausser­halb der ver­traglichen und den tat­säch­lichen Erfül­lung­shand­lun­gen der Parteien, er sei darüber hin­aus für die Beschw­erdegeg­ner­in nicht antizip­ier­bar gewe­sen (E. 4.3.2).

Der Redak­tor dankt MLaw Oliv­er Scharp, Trainee Lawyer bei Ever­sheds Suther­land AG, für die tatkräftige Unter­stützung beim Ver­fassen dieses Beitrags.