Im Urteil 5A_90/2021 vom 1.2.2022 behandelt das Bundesgericht die negative Feststellungsklage eines Kindesunterhaltsschuldners, insbesondere äussert es sich zur örtlichen Zuständigkeit. Örtlich zuständig sind gemäss Urteil nach Art. 10 Abs. 1 lit. a ZPO die Gerichte am Wohnsitz der beklagten Partei; der auf negative Feststellung klagende Kindesunterhaltsschuldner kann sich nicht auf den für selbständige Unterhaltsklagen des Kindes geltenden Art. 26 ZPO berufen.
Urteilszusammenfassung
Dem Urteil lag die Klage eines Unterhaltsschuldners zugrunde, der gerichtlich festgestellt haben wollte, dass er den im Scheidungsurteil bis zum ordentlichen Abschluss einer angemessenen Ausbildung festgesetzten Volljährigenunterhalt für seine Tochter nicht mehr schulde. Dies mit der Begründung, seine Tochter gehe keiner unterstützungspflichtigen Erstausbildung mehr nach. Die Klage reichte er gestützt auf Art. 26 ZPO beim Gericht seines Wohnsitzes ein. Dieses erachtete sich jedoch als unzuständig und trat auf die Klage nicht ein, die zweite Instanz schützte diesen Nichteintretensentscheid. Dagegen wehrte sich der Unterhaltsschuldner vor Bundesgericht.
Das Bundesgericht erwägt, eine bis zum Ende der beruflichen Ausbildung zu bezahlende Kindesunterhaltsrente sei resolutiv, d.h. auflösend bedingt. Trete die Resolutivbedingung ein, so gehe die Unterhaltspflicht unter. Der Unterhaltsschuldner könne den Untergang feststellen lassen, wenn er den Beweis erbringe, dass die Bedingung nicht (mehr) erfüllt sei. Einer Abänderung des Urteils bedürfe es in diesem Fall nicht; der Unterhaltspflichtige leite den Untergang der Unterhaltspflicht unmittelbar aus dem ihn resolutiv bedingt verpflichtenden Urteil ab. Anders liege die Sache, wenn der Unterhaltsschuldner andere Umstände geltend mache, die sich nach dem Urteil zugetragen haben, beispielsweise die Verschlechterung seiner Leistungsfähigkeit oder die Verbesserung der Eigenversorgungskapazität des Kindes.
Vorliegend mache der Beschwerdeführer geltend, seine Tochter gehe nicht mehr einer unterstützungspflichtigen Erstausbildung nach; er berufe sich weder auf eine verminderte Leistungsfähigkeit seinerseits noch auf eine verbesserte Eigenversorgungskapazität seiner Tochter. Daher habe er eine Feststellungsklage im Sinne von Art. 88 ZPO erhoben und die örtliche Zuständigkeit sei alleine unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen. Der Beschwerdeführer beziehe sich ausdrücklich auf Art. 26 ZPO, der nach seinem Wortlaut für selbständige Unterhaltsklagen eines Kindes gegen seine Eltern das Gericht am Wohnsitz einer der Parteien für zwingend zuständig erkläre. Auf Art. 26 ZPO könne sich der Beschwerdeführer nur berufen, wenn die Bestimmung entgegen ihrem Wortlaut auch auf selbständige Unterhaltsklagen eines Elternteils gegen sein Kind Anwendung findet. Sodann müsste Art. 26 ZPO nicht nur für den Prozess um Minderjährigenunterhalt, sondern auch für jenen um Volljährigenunterhalt gelten.
Bei der Auslegung von Art. 26 ZPO sei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber das Kind als schwächere und damit schutzbedürftige Partei einstufe. Diese Wertung sei für die Auslegung von Art. 26 ZPO entscheidend. Durch Art. 26 ZPO habe der Gesetzgeber aus sozialpolitischen Gründen dem als schwächer eingestuften Kind die Durchsetzung seiner Ansprüche erleichtern wollen, indem es ihm erlaube, die selbständige Unterhaltsklage auch am eigenen Wohnsitz einzureichen. Daher stehe der Klägergerichtsstand einzig dem klagenden Kind zur Verfügung; der klagende Elternteil könne sich nicht auf Art. 26 ZPO berufen und folglich den Klägergerichtsstand nicht beanspruchen.
Dies gelte auch wenn man dem in Rechtsprechung und Lehre für die negative Feststellungsklage vertretenen “Spiegelbildprinzip” folge, wonach sich ein Feststellungskläger auf die gleichen Gerichtsstände berufen dürfe wie ein Leistungskläger. Es müsse jedenfalls dort eine Ausnahme greifen, wo der Gesetzgeber von einer besonderen Schutzbedürftigkeit einer Partei ausgehe, ansonsten die Schutzfunktion der Ausnahmeregelung unterlaufen würde. Daher erlaube das “Spiegelbildprinzip” dem Beschwerdeführer in der vorliegenden Konstellation nicht, sich auf den Klägergerichtsstand abzustellen.
Zusammengefasst könne sich ein Elternteil, der festgestellt haben wolle, dass er seinem Kind keinen Unterhalt mehr schulde, nicht auf Art. 26 ZPO berufen. Es verbleibe ihm lediglich der allgemeine Beklagtengerichtsstand nach Art. 10 ZPO. Entsprechend schützte das Bundesgericht die Vorinstanzen und wies die Beschwerde ab.
Nicht beantworten musste das Bundesgericht bei diesem Auslegungsergebnis die umstrittene Frage, ob Art. 26 ZPO auch auf den Prozess um Volljährigenunterhalt Anwendung findet. Es blickte indes in die Glaskugel und wagte einen Blick in die Zukunft: In seiner Botschaft vom 26.2.2020 zur Änderung der ZPO schreibe der Bundesrat, das vereinfachte Verfahren sowie der Untersuchungs- und Offizialgrundsatz solle ungeachtet der Volljährigkeit des Kindes in allen Kinderbelangen anwendbar sein. Damit bringe der Bundesrat, dem der Ständerat kommentarlos gefolgt sei, deutlich zum Ausdruck, dass auch das volljährige Kind im Prozess gegen seine Eltern desselben Schutzes bedürfe wie das minderjährige.
Kommentar
Interessant sind neben den Erwägungen zur örtlichen Zuständigkeit, die den Kern des Urteils bilden, insbesondere die einleitenden Überlegungen des Bundesgerichts zur Abgrenzung zwischen der negativen Feststellungsklage des Unterhaltsschuldners und einer Abänderungsklage. Die Relevanz der negativen Feststellungsklage im Unterhaltsrecht und ihre Abgrenzung zur Abänderungsklage wurde in Rechtsprechung und Literatur bislang kaum erörtert.
Die Vorinstanz ging in einem obiter dictum noch davon aus, die Feststellungsklage müsse selbst bei gegebener örtlicher Zuständigkeit abgewiesen werden, da das Gesetz zur Auflösung der Unterhaltsverpflichtung durch den Elternteil eine Abänderungsklage vorsehe; entsprechend fehle es dem Unterhaltsschuldner an einem Feststellungsinteresse. Dieser Ansicht erteilte das Bundesgericht eine Absage. Ob eine negative Feststellungsklage oder eine Abänderungsklage zu erheben ist, entscheidet der geltend gemachte Grund für den Untergang der Unterhaltspflicht. Gründet der Untergang im Eintritt einer Resolutivbedingung ist eine negative Feststellungs- und keine Abänderungsklage zu erheben, da der Eintritt der Resolutivbedingung unmittelbar zum Untergang der Unterhaltspflicht führt. Einer gerichtlichen Abänderung bedarf es in diesem Fall nicht. Kann der Eintritt einer Resolutivbedingung urkundlich zweifelsfrei nachgewiesen werden, ist er entsprechend auch im Rechtsöffnungsverfahren zu beachten. Gründet der Untergang der Unterhaltspflicht in anderen Umständen (bspw. Verschlechterung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners, Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Kindes oder nachträgliche Unzumutbarkeit der Leistung von Volljährigenunterhalt) ist eine Abänderungsklage zu erheben.