4A_581/2021: unbezifferte Forderungsklage, Voraussetzungen müssen in der Klagebegründung dargelegt werden (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht stellte in diesem Urteil klar, dass eine kla­gende Partei, welche sich auf eine Aus­nahme von der Bez­if­fer­ungspflicht berufe, bere­its in der Klageschrift aufzuzeigen habe, dass die Bedin­gun­gen nach Art. 85 Abs. 1 ZPO für eine unbez­if­ferte Forderungsklage erfüllt seien. Dabei genüge ein bloss­er Hin­weis auf fehlende Infor­ma­tio­nen nicht. Vielmehr müsse die Klägerin bere­its in der Klageschrift konkret dar­legen, weshalb es ihr aus objek­tiv­en Grün­den unmöglich oder wenig­stens unzu­mut­bar sei, die Klage­forderung zu bez­if­fern.

Dem Ver­fahren lag eine Klage aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wortlichkeit der Konkurs­masse ein­er Gesellschaft (nach­fol­gend “Beschw­erdegeg­ner­in”) gegen die Revi­sion­s­ge­sellschaft (nach­fol­gend “Beschw­erde­führerin”) gestützt auf Art. 755 OR zugrunde. Die Beschw­erdegeg­ner­in ver­langte, die Beschw­erde­führerin sei zu verpflicht­en, ihr “einen CHF 100’000.00 über­steigen­den Betrag” zu bezahlen. Unter Hin­weis auf Art. 85 ZPO führte die Beschw­erdegeg­ner­in aus, den Schadens­be­trag “erst nach dem Beweisver­fahren, d.h. nach Vor­liegen des Expertengutacht­ens”, bes­tim­men zu kön­nen. Die Beschw­erde­führerin beantragte vor den kan­tonalen Instanzen erfol­g­los, auf die Klage sei nicht einzutreten, da das Klage­begehren nicht hin­re­ichend bez­if­fert sei und die Voraus­set­zun­gen für eine unbez­if­ferte Forderungsklage in der Klage­be­grün­dung nicht dar­ge­tan wor­den seien.

Das Bun­des­gericht wies zunächst darauf hin, dass eine Klage unter anderem das Rechts­begehren enthal­ten müsse. Dieses sei der Kern des Ver­fahrens und bes­timme, worüber gestrit­ten werde. Das Rechts­begehren müsse dabei so bes­timmt for­muliert sein, dass es bei Gutheis­sung der Klage zum Urteil erhoben wer­den könne. Art. 84 Abs. 2 ZPO schreibe deshalb vor, dass eine Geldzahlung zu bez­if­fern sei. Dieser Grund­satz — let­ztlich Aus­fluss der Dis­po­si­tion­s­maxime (Art. 58 Abs. 1 ZPO) — sei nicht nur von voll­streck­ungsrechtlich­er Bedeu­tung, son­dern präge den Ablauf des Zivil­prozess­es von Beginn an: Zunächst diene die Bez­if­fer­ung der Fes­tle­gung der sach­lichen Zuständigkeit sowie der Ver­fahren­sart. Sodann sei sie erforder­lich im Hin­blick auf die Wahrung des rechtlichen Gehörs der Gegen­partei: Diese müsse wis­sen, gegen was sie sich zu vertei­di­gen habe. Weit­er sei die Bez­if­fer­ung zur Bes­tim­mung des Stre­it­ge­gen­stands und damit der Recht­shängigkeits- sowie später auch der Recht­skraftwirkun­gen bedeut­sam, fern­er für die Bemes­sung von Kosten­vorschüssen und Sicher­heit­en, wobei hier eine nachträgliche Anpas­sung möglich sei. Sie sei sodann materiell­rechtlich wichtig für die Frage, in welchem Umfang die Ver­jährung durch Klageer­he­bung unter­brochen werde, sowie für die unter Umstän­den ab Zustel­lung der Klage zu bezahlen­den Verzugszin­sen. Daraus folge, so das Bun­des­gericht, dass die Bez­if­fer­ung zwin­gend im ver­fahren­sein­lei­t­en­den Schrift­stück, also der Klageschrift (Art. 220 ZPO), enthal­ten sein müsse (E. 3.2).

Von diesem Grund­satz sei der Geset­zge­ber in Art. 85 Abs. 1 ZPO abgewichen, um ein­er Klägerin ent­ge­gen­zukom­men, welche die Höhe ihres Anspruchs nicht genau angeben könne, oder der dies nicht zuzu­muten sei. Die Wirkun­gen ein­er bez­if­fer­ten Klage wür­den indessen erhal­ten bleiben: So werde die Ver­jährung im Umfang der nachträglich erfol­gten Bez­if­fer­ung unter­brochen, und zwar rück­be­zo­gen auf den Zeit­punkt der Ein­re­ichung der (unbez­if­fer­ten Forderungs-)Klage. Auch hin­sichtlich des Zin­sen­laufs sei die Sit­u­a­tion für die kla­gende Gläu­bigerin gün­stig: Werde die beklagte Schuld­ner­in durch die unbez­if­ferte Forderungsklage in Verzug geset­zt und die Klage in der Folge gut­ge­heis­sen, habe die Beklagte im Umfang des nachträglich Bez­if­fer­ten ab dem Zeit­punkt der Zustel­lung der Klage Verzugszin­sen zu bezahlen (E. 3.3).

Vor diesem Hin­ter­grund und mit Blick auf die — in ver­schieden­er Hin­sicht — ele­mentare Bedeu­tung der Bez­if­fer­ung der Rechts­begehren schon zu Beginn des Ver­fahrens sei, so das Bun­des­gericht weit­er, von der kla­gen­den Partei jeden­falls zu ver­lan­gen, bere­its in der Klageschrift aufzuzeigen, dass und inwiefern eine Bez­if­fer­ung unmöglich oder unzu­mut­bar sei. Bei einem anderen Entscheid sähe sich die Beklagte nicht nur im Unklaren darüber, über welchen Betrag sie gerichtlich belangt werde, auch kön­nte sie vor­erst nicht abschätzen, aus welchen Grün­den eine Bez­if­fer­ung nicht möglich sein solle. Die Beurteilung des Prozess­risikos würde ihr damit erschw­ert und die aus Art. 85 Abs. 1 ZPO resul­tieren­den Kon­se­quen­zen gin­gen ein­seit­ig zulas­ten der beklagten Partei. Es beste­he Par­al­lelität: Entwed­er bez­if­fere die kla­gende Partei in der Klageschrift ihr Begehren auf Bezahlung eines Geld­be­trags, oder sie lege in der Klageschrift dar, aus welchen Grün­den ihr dies unmöglich oder unzu­mut­bar sein solle (E. 3.4).

Auch prozes­suale Über­legun­gen wür­den dafür sprechen: Anders zu entschei­den hätte zur Folge, dass es dem Gericht fak­tisch ver­sagt wäre, gle­ich zu Beginn des Ver­fahrens darüber zu
befind­en, ob die Voraus­set­zun­gen von Art. 85 Abs. 1 ZPO erfüllt wären. Es müsste in jedem Fall die zweite Eingabe der kla­gen­den Partei abwarten. Es gehe nun aber nicht an, dass die kla­gende Partei, die in der Klageschrift die Gründe für die Erhe­bung ein­er unbez­if­fer­ten Forderungsklage nicht nach­weise, eine beson­dere Gele­gen­heit erhalte, diese Gründe nachzuschieben und hier­durch die Klageschrift gle­ich­sam zu verbessern (E. 3.5).

Auf eine unbez­if­ferte Forderungsklage, in welch­er deren Voraus­set­zun­gen nicht dargelegt wür­den, sei — so das Bun­des­gericht — nicht einzutreten, und zwar ohne vorgängige Ausübung der richter­lichen Fragepflicht (Art. 56 ZPO) und ohne Anset­zung ein­er Nach­frist nach Art. 132 ZPO. Dies gelte jeden­falls für eine anwaltlich vertretene Partei. Zwar wäre es denkbar, bei unzure­ichen­der Sub­stan­ti­ierung der Voraus­set­zun­gen für die Zuläs­sigkeit ein­er unbez­if­fer­ten Klage den angegebe­nen Min­dest­wert, in casu Fr. 100’000.–, “als gel­tend gemachte Klage­forderung zu inter­pretieren”. Das Bun­des­gericht erin­nerte indes daran, dies Auf­fas­sung impliz­it abgelehnt zu haben. Eine solche “Uminter­pre­ta­tion” des Klage­begehrens scheine frag­würdig, würde der kla­gen­den Partei doch eine Art “Teilk­lage” aufge­drängt, die sie so nicht erhoben habe (E. 4).

Die von der Beschw­erdegeg­ner­in in casu unter pauschalem Ver­weis auf ange­blich man­gel­nde, beweis­mäs­sig noch zu erstel­lende Infor­ma­tio­nen unter­lassene Bez­if­fer­ung genüge diesen Anforderun­gen nicht, weshalb auf die unbez­if­ferte Forderungsklage nicht einge­treten wer­den dürfe (E. 5). Entsprechend hob das Bun­des­gericht das ange­focht­ene Urteil auf und trat auf die Klage nicht ein (E. 6).