4A_592/2021: Aberkennungsklage, Klagenhäufung und Schlichtungsverfahren (amtl. Pub.; FR)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 4A_592/2021 vom 6. Juli 2022 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob nebst einer Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG) ein Rechtsbegehren auf Rückgabe des Schuldbriefs im Rahmen einer Klagenhäufung i.S.v. Art. 90 ZPO  direkt (d.h. ohne vorangegangenes Schlichtungsverfahren) gestellt werden kann, wenn die zweite Klage grundsätzlich der Schlichtungspflicht unterliegt. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass dies ausnahmsweise zulässig ist, wenn die Klage auf Rückgabe des Schuldbriefs vom Nichtbestehen der Forderung, die Gegenstand der Aberkennungsklage bildet, abhängt und in diesem Sinne akzessorisch ist. Wurde der Schuldbrief jedoch zwecks Sicherung weiterer Forderungen übergeben, so ist die Klagenhäufung mangels vorangegangenen Schlichtungsverfahrens nicht zulässig; in diesem Fall ist auf das zweite Rechtsbegehren nicht einzutreten.


Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Am 14. Mai 2018 leit­ete der Gläu­biger B eine Betrei­bung auf Grundp­fand­ver­w­er­tung ein und machte dabei die im Schuld­brief von CHF 250’000 ver­briefte Forderung in der Höhe von CHF 50’000 zzgl. Zins gegen den Schuld­ner A gel­tend. Dage­gen erhob der Schuld­ner Rechtsvorschlag.

Mit Urteil vom 3. Sep­tem­ber 2018 erteilte die Recht­söff­nungsrich­terin die pro­vi­sorische Recht­söff­nung im Umfang des im Zahlungs­be­fehl angegebe­nen Betrags. Im Wesentlichen hielt sie fest, dass die Parteien einen Ver­trag abgeschlossen hat­ten, der vor­sah, dass der Gläu­biger dem Schuld­ner ein Dar­lehen von CHF 250’000 gewährt und der Schuld­ner ihm einen Inhab­er­schuld­brief in diesem Umfang übergibt, sowie dass der Schuld­ner dem Gläu­biger CHF 200’000 zurück­bezahlt hat und der Schuld­ner nicht mit Urkun­den nachgewiesen hat, dass der ursprüngliche Dar­lehens­be­trag um CHF 50’000 reduziert wurde, sodass dieser Sal­do weit­er­hin geschuldet ist.

Am 6. Novem­ber 2018 reichte der Schuld­ner eine Aberken­nungsklage gegen den Gläu­biger beim Bezirks­gericht La Côte  ein und beantragte, es sei festzustellen, dass er den in Betrei­bung geset­zten Betrag nicht schuldet, dass die strit­tige Betrei­bung zu löschen ist und dass der Beklagte den Schuld­brief, den der Kläger dem Beklagten aus­ge­händigt hat­te, zurück­zugeben hat.

Mit Urteil vom 10. Novem­ber 2020 wies das Gericht die Klage ab, soweit darauf einzutreten ist. Es erwog, dass der Schuld­ner dem Gläu­biger den Betrag von ins­ge­samt CHF 55’000 zzgl. Zin­sen zu zahlen hat und erteilte in dieser Höhe die defin­i­tive Recht­söff­nung. Das Gericht erwog, dass die Klage auf Rück­gabe des Schuld­briefs unzuläs­sig ist, da kein Schlich­tungsver­fahren durchge­führt wurde, und  dass die Aberken­nungsklage abzuweisen ist, da aus den vom Schuld­ner vorgelegten Urkun­den nicht her­vorge­ht, dass die Parteien den übere­in­stim­menden Willen gehabt hät­ten, einen Schulden­er­lass in Höhe von CHF 50’000 zu vereinbaren.

Mit Urteil vom 18. Okto­ber 2021 wies das Beru­fungs­gericht die vom Schuld­ner erhobene Beru­fung ab und änderte zudem das ange­focht­ene Urteil von Amtes wegen ab, indem  es auf die Klage nicht ein­trat. Das Beru­fungs­gericht stellte sich auf den Stand­punkt, dass die Unzuläs­sigkeit des Rechts­begehrens auf Rück­gabe des Schuld­briefs man­gels vor­ange­gan­genen Schlich­tungsver­fahrens die Unzuläs­sigkeit der Aberken­nungsklage nach sich zieht, weshalb auf die Klage nicht einzutreten ist.

Gegen dieses Urteil erhob der Schuld­ner Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde gut und wies die Sache zur Neuentschei­dung an die Vorin­stanz zurück.


Aberken­nungsklage, Widerk­lage und Klagenhäufung

Zunächst set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Unter­schei­dung zwis­chen Widerk­lage und Kla­gen­häu­fung bei der Aberken­nungsklage i.S.v. Art. 83 Abs. 2 SchKG auseinan­der (E. 4.1):

Gemäss Art. 83 Abs. 2 SchKG ist die Aberken­nungsklage eine neg­a­tive Fest­stel­lungsklage des materiellen Rechts. Sie ist das Gegen­stück zur Anerken­nungsklage nach Art. 79 SchKG; nur die Parteirollen sind ver­tauscht (der Schuld­ner ist der Kläger und der Gläu­biger der Beklagte); die Beweis­last und die Behaup­tungslast betr­e­f­fend den Bestand der Forderung bleiben aber beim Gläubiger.

Wenn der Schuld­ner gle­ichzeit­ig mit sein­er Aberken­nungsklage weit­ere Rechts­begehren stellt, liegt trotz der ver­tauscht­en Parteirollen eine objek­tive Kla­gen­häu­fung i.S.v. Art. 90 ZPO vor und keine Widerk­lage (die nach Art. 198 lit. g ZPO keine vorgängige Schlich­tung erfordern würde). Da die Widerk­lage ein prozes­sualer und kein materiell­rechtlich­er Begriff ist, richtet sie sich nur gegen die vom Beklagten im sel­ben Ver­fahren erhobene Klage, sodass die bei­den Kla­gen einan­der gegenüber­ste­hen; daraus fol­gt, dass bei der Aberken­nungsklage nur der beklagte Gläu­biger Widerk­lage erheben kann. Verbindet der kla­gende Schuld­ner seine Aberken­nungsklage mit weit­eren Rechts­begehren, so liegt eine Kla­gen­häu­fung im Sinne von Art. 90 ZPO vor.

Wird die zusät­zliche Klage beim Richter der Aberken­nungsklage am Betrei­bung­sort anhängig gemacht, ist diese nach Lehre und Recht­sprechung grund­sät­zlich nur zuläs­sig, wenn sie mit der Haup­tk­lage zusam­men­hängt und damit in die örtliche Zuständigkeit des angerufe­nen Richters fällt (Art. 15 Abs. 2 ZPO), wenn sie auch in seine sach­liche Zuständigkeit fällt und der­sel­ben Ver­fahren­sart unter­liegt; vor­be­hal­ten bleibt ein Ver­rech­nungsanspruch oder ein Anspruch, der lediglich einen Nebe­nanspruch der Aberken­nungsklage selb­st darstellt. Diese Voraus­set­zun­gen sollen ver­hin­dern, dass die Aberken­nungsklage erschw­ert oder verzögert wird.


Aberken­nungsklage und Kla­gen­häu­fung: der Grund­satz und seine Ausnahme

Sodann set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage der Zuläs­sigkeit der Kla­gen­häu­fung bei ein­er Aberken­nungsklage auseinan­der (E. 4.2):

Eine Klage, die mit ein­er Aberken­nungsklage gehäuft wird, ist nur zuläs­sig, wenn sie nicht selb­st Gegen­stand eines vorgängi­gen Schlich­tungsver­fahrens bilden muss (Art. 198 und 199 ZPO). Ist dies nicht der Fall, ist die Kla­gen­häu­fung unzuläs­sig und das Ver­fahren wird nur bezüglich der Aberken­nungsklage fort­ge­set­zt. Die Ein­tretensvo­raus­set­zun­gen müssen für bei­de Kla­gen geson­dert geprüft werden.

Dies hat das Bun­des­gericht als Grund­satz bei der Kla­gen­häu­fung (Urteil 4A_368/2020 vom 9. Feb­ru­ar 2021 E. 2, für die Klage auf defin­i­tive Ein­tra­gung des Bauhandw­erk­erp­fan­drechts und die Klage auf Bezahlung des Werk­lohns) und auch für Kla­gen, die mit ein­er Aberken­nungsklage kumuliert wer­den, anerkan­nt (Urteil 4A_213/2019 vom 4. Novem­ber 2019 E. 3; Urteil 4A_176/2019 vom 2. Sep­tem­ber 2019 E. 4.3; Urteil 4A_262/2018 vom 31. August 2018; Urteil 4A_413/2012 vom 14. Jan­u­ar 2013 E. 6.1).

Diese Auf­fas­sung wird auch von einem über­wiegen­den Teil der Lehre vertreten. Autoren, die argu­men­tieren, dass bei­de Kla­gen von der vorheri­gen Schlich­tung ausgenom­men wer­den soll­ten oder, im Gegen­teil, dass bei­de Gegen­stand ein­er vorheri­gen Schlich­tung bilden müssen, kann nicht gefol­gt wer­den. Zum einen stellt eine Klage, die mit ein­er Aberken­nungsklage gehäuft wird, keine Widerk­lage dar, die von der Schlich­tungspflicht befre­it ist. Ander­er­seits würde es gegen Art. 198 lit. e Ziff. 1 ZPO ver­stossen, wenn die Aberken­nungsklage Gegen­stand eines Schlich­tungsver­fahrens bilden müsste.

Eine Aus­nahme beste­ht jedoch für die Klage auf Rück­er­stat­tung des Schuld­briefs, wenn sie einen reinen Nebe­nanspruch zum Nichtbeste­hen der Forderung darstellt, die Gegen­stand der Aberken­nungsklage bildet. Dies wäre hinge­gen nicht der Fall, wenn der Schuld­brief noch weit­ere Ansprüche als die stre­it­i­gen Forderun­gen sichert.

Das Bun­des­gericht kam fol­glich zum Schluss, dass die Vorin­stanz diese Grund­sätze verkan­nte, indem sie auf bei­de Kla­gen nicht ein­trat. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde gut und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorin­stanz zurück. Dabei wies das Bun­des­gericht diese an, die Beschw­erde­gründe des Schuld­ners i.Z.m. der Aberken­nungsklage zu prüfen. Sollte die Aberken­nungsklage gut­ge­heis­sen wer­den, so wird sich erst dann die Frage der Kla­gen­häu­fung bezüglich der Rück­gabe des Schuld­briefs stellen (E. 4.3).