5A_768/2021: Anwendbares Recht bei Ergänzung eines ausländischen Scheidungsurteils im Unterhaltspunkt

Im Urteil 5A_768/2021 vom 16.8.2022 befasste sich das Bun­des­gericht mit dem anwend­barem Recht bei Ergänzung eines aus­ländis­chen Schei­dung­surteils betr­e­f­fend nachehe­lichen Unter­halt. Es hielt fest, dass der dafür mass­gebende Art. 8 Abs. 1 des Haager Unter­halt­sübereinkom­mens auf das effek­tiv ange­wandte und nicht auf das nach Art. 61 IPRG anwend­bare Schei­dungsstatut ver­weise. Für die Anwen­dung des Unter­halts- anstatt des Schei­dungsstatuts bleibe kein Raum. Weit­er hält das Bun­des­gericht fest, dass eine Ver­wirkungs­frist für die Gel­tend­machung von nachehe­lichen Unter­halts­beiträ­gen nicht gegen den Ordre pub­lic verstösst.

Urteil­szusam­men­fas­sung

Der besproch­ene Fall bet­rifft die Ergänzung eines kroat­is­chen Schei­dung­surteils im Hin­blick auf den nachehe­lichen Unter­halt. Umstrit­ten war ins­beson­dere, ob darauf kroat­is­ches oder schweiz­erisches Recht anzuwen­den war. Das kroat­is­che Recht ken­nt eine Ver­wirkungs­frist für die Gel­tend­machung nachehe­lich­er Unter­halts­beiträge, auf die sich der Beklagte berief. Die Vorin­stanz wandte indes schweiz­erisches Recht an. Sie erwog, das Bun­des­gericht lege den mass­geben­den Art. 8 des Haager Unter­halt­sübereinkom­mens (HUÜ) ent­ge­gen dessen Wort­laut dahinge­hend aus, dass nicht das auf die Schei­dung ange­wandte, son­dern das darauf anwend­bare Recht mass­gebend sei. Es bes­timme das anwend­bare Recht daher unter Anwen­dung von Art. 61 IPRG. Folge man dieser Recht­sprechung sei vor­liegend schweiz­erisches Recht anzuwen­den. Even­tu­aliter sei Art. 8 Abs. 1 HUÜ tele­ol­o­gisch dahinge­hend auszule­gen, dass bei Ergänzung­sprozessen das­jenige Recht anzuwen­den sei, dass das aus­ländis­che Gericht auf den Unter­halt hätte anwen­den müssen und nicht das­jenige, dass es auf den Schei­dungspunkt ange­wandt habe. Auch diese Ausle­gung führe zur Anwen­dung des schweiz­erischen Rechts. Subeven­tu­aliter sei schweiz­erisches Recht anzuwen­den, weil die Ver­wirkungs­frist des kroat­is­chen Rechts dem Ordre pub­lic wider­spreche. Dage­gen wehrte sich die Beklagte vor Bundesgericht.

Das Bun­des­gericht erwog, es habe in BGE 144 III 368 E. 3.2 in Übere­in­stim­mung mit dem Wort­laut von Art. 8 Abs. 1 HUÜ fest­ge­hal­ten, dass das auf die Eheschei­dung ange­wandte Recht mass­gebend sei. Die Lit­er­atur spreche sich eben­falls ein­hel­lig für die Anwen­dung des effek­tiv auf die Schei­dung ange­wandten Rechts aus. Dieses Ergeb­nis entspreche nicht nur dem deutschen, son­dern auch dem franzö­sis­chen und englis­chen Wort­laut von Art. 8 Abs. 1 HUÜ. Das Unter­haltsstatut entspreche fol­glich gemäss Art. 8 Abs. 1 HUÜ dem effek­tiv vom aus­ländis­chen Gericht ange­wandten Schei­dungsstatut und sei nicht gemäss dem nach Art. 61 IPRG auf die Schei­dung anwend­baren Recht zu bes­tim­men (E. 3.4.1).

Für die Anwen­dung des (gemäss dem aus­ländis­chen IPR zu bes­tim­menden) Unter­halts- anstatt des Schei­dungsstatuts bleibe eben­falls kein Raum. Gemäss dem aus­drück­lichen Wort­laut von Art. 8 Abs. 1 HUÜ sei auf das Schei­dungsstatut abzustellen. Aus den Mate­ri­alien zum HUÜ ergebe sich, dass die vor­liegend einge­tretene Kon­se­quenz — Auseinan­der­fall­en von Unter­halts- und Schei­dungsstatut — dur­chaus voraus­ge­se­hen und Bewusst in Kauf genom­men wor­den sei (E. 3.4.2).

Als Zwis­chen­faz­it hielt das Bun­des­gericht fest, Art. 8 Abs. 1 HUÜ ver­weise für das anwend­bare Recht bei Abän­derung oder Ergänzung eines Schei­dung­surteils im Unter­halt­spunkt auf das effek­tiv ange­wandte Schei­dungsstatut. Es han­dle sich um eine Sach­nor­mver­weisung; ein allfäl­liger Ren­voi sei eben­so unbeachtlich wie eine Weit­er­ver­weisung. Auch aus diesem Grund sei unbeachtlich, welch­es Recht das kroat­is­che Gericht anzuwen­den gehabt hätte. Das kroat­is­che Kol­li­sion­srecht sei nicht zu beacht­en (E. 3.4.3).

Zulet­zt wid­mete sich das Bun­des­gericht der Frage, ob die Ver­wirkungs­frist des kroat­is­chen Rechts dem Ordre pub­lic wider­spreche. Es verneinte dies. Der materielle Ordre pub­lic greife nur ein, wenn die Anwen­dung des frem­den Rechts zu einem Ergeb­nis führe, welch­es das ein­heimis­che Rechts­ge­fühl in unerträglich­er Weise ver­let­ze und grundle­gende Vorschriften der schweiz­erischen Recht­sor­d­nung mis­sachte. Diese Voraus­set­zung sei hier nicht erfüllt. Auf­grund der für den nachehe­lichen Unter­halt gel­tenden Dis­po­si­tion­s­maxime könne es auch nach schweiz­erischem Recht sein, dass jemand — obwohl ein Anspruch gegeben wäre — keinen Unter­halt zuge­sprochen erhalte. Auch ver­stiessen Klage­fris­ten nach dem anwend­baren Unter­haltsstatut grund­sät­zlich nicht gegen den Ordre pub­lic. Dies gelte im gle­ichen Masse für eine Ver­wirkungs­frist betr­e­f­fend nachehe­lichen Unter­halt (E. 3.4.4).

Im Ergeb­nis gelangt das Bun­des­gericht zum Schluss, dass die Ergänzung des Schei­dung­surteils betr­e­f­fend nachehe­lichen Unter­halt sich nach kroat­is­chem Recht richte, hob das Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorin­stanz zurück (E. 3.4.5).

Kom­men­tar

Das Urteil ist aus­führlich und überzeu­gend begrün­det. Gle­ich­wohl ist es ver­ständlich, dass die Vorin­stanz gestützt auf die bun­des­gerichtlichen Präjudizien zum Schluss kam, dass Art. 8 HUÜ nicht auf das vom aus­ländis­chen Schei­dungs­gericht effek­tiv ange­wandte Schei­dungsstatut, son­dern das nach Art. 61 IPRG zu bes­tim­mende anwend­bare Schei­dungsrecht ver­weise. Dies hat­te das Bun­des­gericht in den Urteilen 5A_874/2012 vom 19.3.2013 E. 3.1 und 5A_314/2016 vom 2.2.2017 E. 2.1 so fest­ge­hal­ten. In BGE 144 III 368 E. 3.2 sprach es dann zwar davon, dass das auf die Eheschei­dung ange­wandte Recht mass­gebend sei, allerd­ings ohne sich mit den zwei vorz­i­tierten Präjudizien zu befassen. Mit dem vor­liegend besproch­enen Urteil hat das Bun­des­gericht den Wider­spruch nun bere­inigt. Das Urteil hat Leitcharak­ter und hätte die Pub­lika­tion in der amtlichen Samm­lung verdient.