5A_790/2021: Kollokationsklage und Gerichtsferien (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_790/2021  vom 7. Dezember 2022 setzte sich das Bundesgericht mit der umstrittenen Frage auseinander, ob die Gerichtsferien nach Art. 145 Abs. 1 ZPO  für die Frist zur Erhebung der Kollokationsklage (Art. 250 SchKG) gelten. Das Bundesgericht bejahte diese Frage, mit folgender Begründung:


Beginn der Frist

Die Frist zur Ein­re­ichung ein­er Kol­loka­tion­sklage nach Art. 250 SchKG beträgt zwanzig Tage nach der öffentlichen Auflage des Kol­loka­tion­s­plans, wobei nicht auf das Datum der Pub­lika­tion im SHAB abgestellt wer­den kann, da das Pub­lika­tions­da­tum nicht mass­ge­blich ist, wenn in der Pub­lika­tion im SHAB auf einen vom Erschei­n­ungszeit­punkt abwe­ichen­den, späteren Zeit­punkt als Beginn der Auflage­frist hingewiesen wird (E. 2).


Trag­weite von Art. 145 Abs. 4 ZPO

Im All­ge­meinen

Die Kol­loka­tion­sklage nach Art. 250 SchKG gehört zu den gerichtlichen Angele­gen­heit­en des SchKG, weshalb das Ver­fahren durch die ZPO geregelt wird (Art. 1 lit. c ZPO). Die ZPO sieht in Art. 145 Abs. 1 Fris­ten­still­stände vor. Art. 145 Abs. 4 ZPO behält sodann die Bes­tim­mungen des SchKG über die Betrei­bungs­fe­rien und den Rechtsstill­stand vor (Art. 56 ff. und Art. 63 SchKG). Umgekehrt gel­ten gemäss Art. 31 SchKG für die Berech­nung, die Ein­hal­tung und den Lauf der Fris­ten die Bes­tim­mungen der ZPO, sofern das SchKG nichts anderes bestimmt.

Das Ver­hält­nis des Fris­ten­rechts der ZPO zu dem­jeni­gen des SchKG und damit ins­beson­dere die Trag­weite von Art. 145 Abs. 4 ZPO ist in der Lehre umstrit­ten. Dies bet­rifft ins­beson­dere auch die Frage, welche Regelung für die Ein­re­ichung ein­er Kol­loka­tion­sklage im Konkurs gilt:

  • Manche Autoren sprechen sich für die Anwen­dung von Art. 145 Abs. 1 ZPO aus.
  • Andere sprechen sich für die Anwen­dung von Art. 63 SchKG aus, und zwar — was teil­weise aus­drück­lich gefordert wird — ger­ade auch dann, wenn die Frist nicht durch eine Betrei­bung­shand­lung aus­gelöst wird.
  • Weit­ere Autoren gehen davon aus, dass gar keine Ferien gelten.

Diese Unsicher­heit spiegelt sich auch in der kan­tonalen Recht­sprechung wider. Sowohl das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich wie auch das Kan­ton­s­gericht Luzern haben die Gerichts­fe­rien nach Art. 145 ZPO auf die Ein­re­ichung ein­er Kol­loka­tion­sklage ange­wandt. Demge­genüber hat das Kan­ton­s­gericht Waadt Art. 63 SchKG ange­wandt (E. 3).

Zusam­men­hang mit der Anwend­barkeit von Art. 56 und Art. 63 SchKG

Da Art. 145 Abs. 4 ZPO auf die Bes­tim­mungen des SchKG über die Betrei­bungs­fe­rien und den Rechtsstill­stand ver­weist, ist zunächst zu unter­suchen, wie es sich im vor­liegen­den Zusam­men­hang mit der Anwend­barkeit von Art. 56 und Art. 63 SchKG ver­hält. Die Anwen­dung von Art. 63 SchKG set­zt nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung die Exis­tenz ein­er Betrei­bung­shand­lung im Sinne von Art. 56 SchKG voraus, Hand­lun­gen der Konkur­sor­gane stellen keine Betrei­bung­shand­lun­gen im Sinne von Art. 56 SchKG dar, wom­it die Vorschriften von Art. 56 und 63 SchKG im Konkurs nicht anwend­bar sind. Die Auflage des Kol­loka­tion­s­plans durch das Konkur­samt, die die Frist zur Kol­loka­tion­sklage aus­löst, ist dem­nach keine Betrei­bung­shand­lung. Eine Erstreck­ung der Frist zur Erhe­bung der Kol­loka­tion­sklage gestützt auf Art. 63 SchKG find­et nicht statt (E. 4.1).

Alles oder nichts: Anwend­barkeit von Art. 145 Abs. 1 ZPO oder gar keine Fristenstillstände

In der Folge bleibt einzig die Alter­na­tive, dass die Gerichts­fe­rien gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO für die Erhe­bung der Kol­loka­tion­sklage nach Art. 250 SchKG gel­ten oder dass für deren Erhe­bung gar keine Ferien oder Still­stände gel­ten. Let­zteres würde bedeuten, dass selb­st dann, wenn der Ver­weis von Art. 145 Abs. 4 ZPO ins Leere zielt, weil die Bes­tim­mungen des SchKG über die Betrei­bungs­fe­rien und den Rechtsstill­stand gar nicht anwend­bar sind, Art. 145 Abs. 1 ZPO nicht angewen­det würde. Mit anderen Worten wäre Art. 145 Abs. 4 ZPO so zu ver­ste­hen, dass die Betrei­bungs­fe­rien und der Rechtsstill­stand für SchKG-Kla­gen die einzi­gen Gründe sind, die über­haupt zu ein­er Fristver­längerung führen kön­nten, und Art. 145 Abs. 1 ZPO von Anfang an auss­er Betra­cht fiele. Der Ver­weis von Art. 145 Abs. 4 ZPO wäre insoweit abschliessend (E. 4.2).

Einem solchen Ver­ständ­nis von Art. 145 Abs. 4 ZPO kann jedoch nicht gefol­gt wer­den. Art. 145 Abs. 4 ZPO kommt keine umfassende Auss­chluss­wirkung gegenüber der Gerichts­fe­rien­regelung der ZPO zu.(E. 4.2):

  • Die Kol­loka­tion­sklage unter­ste­ht dem Ver­fahren­srecht der ZPO (Art. 1 lit. c ZPO) und damit grund­sät­zlich allen Bes­tim­mungen der ZPO, die von der Sache her auf sie zutr­e­f­fen kön­nen, soweit keine Aus­nahme vorge­se­hen ist. Art. 31 SchKG ver­weist sodann für die Berech­nung, die Ein­hal­tung und den Lauf der Fris­ten auf die ZPO, sofern dieses Gesetz (d.h. das SchKG) nichts anderes bestimmt.
  • Für die Erhe­bung der Kol­loka­tion­sklage bes­timmt das SchKG jedoch nicht, dass gar keine Gerichts­fe­rien anwend­bar sein sollen. Vielmehr lässt sich der Prax­is zu Art. 56 und 63 SchKG einzig ent­nehmen, dass Betrei­bungs­fe­rien und Rechtsstill­stand nicht anwend­bar sind. Das SchKG bes­timmt dem­nach im vor­liegen­den Zusam­men­hang “nichts anderes”, wie es Art. 31 SchKG fordern würde, um die Anwen­dung des Fris­ten­rechts der ZPO auszuschliessen.
  • Auch der Botschaft zur ZPO lässt sich ein genereller Auss­chluss der Gerichts­fe­rien nicht ent­nehmen: Im Rah­men von Art. 143 Abs. 4 des Entwurfs, der dem heuti­gen Art. 145 Abs. 4 ZPO entspricht, wer­den einzig Kon­stel­la­tio­nen ange­sprochen, in denen die Betrei­bungs­fe­rien gel­ten sollen (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweiz­erischen Zivil­prozes­sor­d­nung [ZPO], BBl 2006 7221, S. 7310 Ziff. 5.9.3).
  • Zudem hat das Bun­des­gericht bere­its entsch­ieden, dass auf die im ordentlichen oder vere­in­facht­en Ver­fahren ein­geleit­ete Klage in Schuld­be­trei­bungs- und Konkurssachen die Gerichts­fe­rien gemäss ZPO anwend­bar sind (BGE 143 III 149, E. 2), wobei es als uner­he­blich erachtet hat, ob zugle­ich eine Betrei­bung­shand­lung nach Art. 56 SchKG vor­liegt (a.a.O. E. 2.4.2).
  • Mit anderen Worten kann der Gerichts­fe­rien­regelung der ZPO der Vor­rang zukom­men, selb­st wenn das fris­taus­lösende Ereig­nis eine Betrei­bung­shand­lung darstellt und damit (auch) die Betrei­bungs­fe­rien gel­ten könnten.

Pro Memo­ria: Gerichts­fe­rien jedoch nicht anwend­bar, wenn Art. 56 und Art. 63 SchKG anwend­bar sind

Allerd­ings hat das Bun­des­gericht auch fest­ge­hal­ten, dass in den Stre­it­igkeit­en, die dem ordentlichen oder vere­in­facht­en Ver­fahren unter­liegen, der Vor­be­halt von Art. 145 Abs. 4 ZPO die vom SchKG vorge­se­henen Fris­ten zur Klageein­re­ichung bet­rifft. Für diese Fris­ten sind daher Art. 56 und 63 SchKG anwend­bar, wenn der Fris­ten­lauf durch eine Betrei­bung­shand­lung aus­gelöst wird (BGE 143 III 149, E. 2.4.1.2). Das Bun­des­gericht hat dies für Aberken­nungskla­gen angenom­men (BGE 143 III 38, E. 3). Vor­liegend geht es jedoch — wie dargelegt — nicht um eine Klage­frist, die durch eine Betrei­bung­shand­lung aus­gelöst wird. Es beste­hen dem­nach keine Hin­dernisse, auf die Frist zur Ein­re­ichung der Kol­loka­tion­sklage im Konkurs die Gerichts­fe­rien gemäss Art. 145 Abs. 1 ZPO anzuwen­den (E. 4.2).


Offene Frage zu Art. 145 Abs. 4 ZPO im Betreibungsverfahren

Im Rah­men der Auseinan­der­set­zung mit den Ein­wän­den der Beschw­erdegeg­ner­in liess das Bun­des­gericht fol­gende Frage offen:

Die Beschw­erde­führerin ist ausser­dem der Auf­fas­sung, das Bun­des­gericht habe sich in BGE 143 III 149 E. 2.4.1.2 a.E. bere­its indi­rekt zur sich stel­len­den Frage geäussert. Es trifft zwar zu, dass das Bun­des­gericht sich dort zu den Fol­gen der Hypothese geäussert hat, die Betrei­bungs­fe­rien gel­ten zu lassen, wenn die Frist von ein­er Betrei­bung­shand­lung aus­gelöst wurde, und andern­falls die Gerichts­fe­rien der ZPO, indem dies­falls näm­lich diejeni­gen Akte, die keine Betrei­bung­shand­lun­gen darstellen (und damit grund­sät­zlich der Gläu­biger), von ein­er im All­ge­meinen vorteil­hafteren Ferien­regelung prof­i­tieren kön­nten als dies bei Betrei­bung­shand­lun­gen (und damit grund­sät­zlich für den Schuld­ner) der Fall ist. Dieses Prob­lem beste­ht jedoch nach Konkurs­eröff­nung nicht. Es liegen all­ge­mein keine Betrei­bung­shand­lun­gen mehr vor (oben E. 4.1), wom­it auch kein Ansatzpunkt für eine Ungle­ich­be­hand­lung besteht. ”


Faz­it

Die Gerichts­fe­rien­regelung von Art. 145 Abs. 1 ZPO ist fol­glich auf die Erhe­bung der Kol­loka­tion­sklage im Konkurs anwend­bar (E. 4.4).