In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_869/2021 vom 25. April 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage des Rechtschutzinteresses im Wegweisungsprozess in einem Konkursverfahren mit mutmasslicher Nulldividende auseinander. Das Bundesgericht erwog, dass allein schon die Ausstellung des Verlustscheines und die blosse Möglichkeit eines Nachkonkurses bei einer Nulldividende kein genügendes Rechtsschutzinteresse begründen, um zur Wegweisungsklage zu berechtigen.
Diesem Entscheid lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Konkursitin wurde mit Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich wegen Mängeln in der Organisation in der Gesellschaft (gemäss Art. 731b Abs. 1 Ziff. 3 OR) aufgelöst und es wurde ihre Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs angeordnet.
In der Folge legte das zuständige Konkursamt den Kollokationsplan auf. Darin wurde die A SA mit einer Forderung in der dritten Klasse und B mit einer Forderung in der ersten Klasse kolloziert. C wurde mit zwei Forderungen (Forderung [Ord.] Nr. 5; CHF 43’449.05) und (Forderung [Ord.] Nr. 6; CHF 1’259.72) kolloziert. E wurde mit einer Forderung (Forderung [Ord.] Nr. 4; CHF 23’002.20; dritte Klasse) kolloziert, trat die Forderung indes an C ab, was im Kollokationsplan angepasst wurde. Die voraussichtliche Konkursdividende belief sich laut Konkursamt auf Null Prozent.
Die A SA und B erhoben (negative) Kollokationsklage gegen C beim Bezirksgericht Zürich und verlangten die Wegweisung der Forderungen (Nr. 4, Nr. 5 und Nr. 6) von C.
Mit Entscheid vom 10. Juli 2020 trat das Bezirksgericht auf die Kollokationsklage der A SA mangels Rechtsschutzinteresse nicht ein. Die Kollokationsklage von B wurde im gleichen Entscheid mit Bezug auf die Forderungen Nr. 4 und Nr. 6 abgewiesen und mit Bezug auf die Forderung Nr. 5 teilweise gutgeheissen, d.h. nur im Umfang von CHF 5’870.72 zugelassen.
Dagegen erhoben die A SA und B Beschwerde vor dem Obergericht des Kantons Zürich.
Am 7. September 2021 wies das Obergericht die Beschwerde der A SA ab (Urteilsdispositiv-Ziff. 1). Die Beschwerde von B wurde vom Obergericht teilweise gutgeheissen: Die Beurteilung der Sache wurde in Bezug auf die Forderung Nr. 4 an die Vorinstanz zurückgewiesen (Beschlussdispositiv-Ziff. 1), und die Forderung Nr. 5 wurde nur im Umfang von CHF 870.72 zugelassen; im Übrigen, d.h. in Bezug auf die Forderung Nr. 6, wurde die Beschwerde abgewiesen (Urteilsdispositiv-Ziff. 2).
Gegen diesen Beschluss und dieses Urteil erhoben die A SA und B Beschwerde in Zivilsachen und subsidiäre Verfassungsbeschwerde. Das Bundesgericht wies die Beschwerde von A SA ab, soweit es darauf eintrat. Auf die Beschwerden von B wurde nicht eingetreten.
Rechtsschutzinteresse im Wegweisungsprozess bei einer Null-Dividende im Allgemeinen
Das Bundesgericht rief zunächst seine Rechtsprechung zum Rechtsschutzinteresse im Wegweisungsprozess bei einer Nulldividende in Erinnerung (E. 2.3.2):
«Wenn die mutmasslich auf eine strittige Forderung entfallende Konkursdividende 0 % beträgt, kann mit der Kollokationsklage mutmasslich kein geldwerter Prozessgewinn erzielt werden. Im Konkurs von juristischen Personen, die nach Durchführung des Konkurses zu löschen sind (Art. 159a HRegV), wird die Frage nach dem Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Behandlung der Kollokationsklage gestellt. Das Rechtsschutzinteresse wird nur in Ausnahmefällen bejaht (…). Gelingt es dem Kläger, sein Rechtsschutzinteresse darzulegen, ist für die Berechnung des Streitwertes auf einen minimalen Betrag, entsprechend dem mehr nur symbolischen, jedenfalls ausserhalb des unmittelbaren Prozesserfolgs liegenden Streitinteresse abzustellen (…).»
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung wurde ein schutzwürdiges Interesse an der Kollokationsklage trotz mutmasslicher Nulldividende in folgenden Fällen bejaht:
- wenn der klagende Gläubiger die Wegweisung ( 250 Abs. 2 SchKG) eines anderen Gläubigers verlangt, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, gegen den Wegweisungskläger aufgrund einer Abtretung nach Art. 260 SchKG aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit vorzugehen, da die Gläubigereigenschaft im Verantwortlichkeitsprozess nicht mehr bestritten werden kann (E. 2.4);
- wenn der klagende Gläubiger mit der Wegweisung eines Gläubigers aus dem Kollokationsplan vermeiden will, einen allfälligen Prozessgewinn aus der Abtretung von Ansprüchen gegen Dritte mit einem Mitgläubiger ( 260 Abs. 2 SchKG) teilen zu müssen (E. 2.5).
Rechtsschutzinteresse aufgrund der voraussichtlichen Ausstellung des Verlustscheines und der blossen Möglichkeit eines Nachkonkurses?
Das Bundesgericht merkte an, dass die Frage nicht abschliessend geklärt ist, ob – abgesehen von den genannten Abtretungskonstellationen (E. 2.4, E. 2.5) – allein schon die Ausstellung des Verlustscheines und die blosse Möglichkeit eines Nachkonkurses bei einer Nulldividende ein genügendes Rechtsschutzinteresse begründen können, um zur Wegweisungsklage zu berechtigen (E. 2.6.1).
Das Bundesgericht stellte fest, dass die kantonale Praxis zu dieser Frage nicht einheitlich ist. Einige kantonale Gerichte (wie Zürich, Graubünden und Tessin) verneinen ein hinreichendes Interesse an der Wegweisungsklage unter Hinweis auf den geringen Wert von Verlustscheinen bei juristischen Personen und der tiefen Wahrscheinlichkeit eines Nachkonkurses. Dagegen stellt die Genfer Rechtsprechung keine weiteren Anforderungen: Gemäss Genfer Praxis hat der Wegweisungskläger trotz Nulldividende bzw. fehlenden geldwerten Prozessgewinns ein schutzwürdiges Interesse an der Klage auf Anfechtung des Kollokationsplanes, weil nur die tatsächlichen Forderungen in der richtigen Höhe kolloziert werden sollen (E. 2.6.2).
Das Bundesgericht erwog, dass mit der Wegweisungsklage ebenfalls Rechte der Masse geltend gemacht werden, auf welche diese verzichtet hat, nämlich das Bestreitungsrecht der Masse gegenüber der vom beklagten Gläubiger angemeldeten Konkursforderung. Für das Rechtsschutzinteresse des Wegweisungsklägers genügt es, wenn er im Fall, dass er selber bereits vollständig befriedigt ist, nicht für sich, aber für die Masse etwas erreichen kann. Da jedoch im Falle der mutmasslichen Nulldividende ein geldwertes Interesse gerade fehlt und für die Masse bzw. für alle Gläubiger in gleicher Weise mit der Klage kein geldwerter Prozessgewinn erzielt werden kann, muss der Wegweisungskläger im Falle der Nulldividende das Rechtsschutzinteresse besonders und konkret darlegen (E. 2.6.3).
Obschon unrechtmässig kollozierte Gläubiger die Möglichkeit hätten, in einem allfälligen Nachkonkurs Befriedigung zu erhalten, schützte das Bundesgericht die restriktive kantonale Praxis und kam zum Schluss, dass die bloss theoretische Möglichkeit eines Nachkonkurses nicht genügt, um ein Rechtsschutzinteresse an einer Kollokationsklage bei mutmasslicher Nulldividende zu bejahen (E. 2.6.4).