Im Urteil 5A_709/2022 vom 24. Mai 2023 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, welchen Anforderungen ein Vermittlungsversuch der Kindesschutzbehörde genügen muss, damit das Schlichtungsverfahren bei selbständigen Unterhaltsklagen nach Art. 198 lit. bbis ZPO entfällt. Gemäss dem Urteil ist es ausreichend, wenn die Kindesschutzbehörde den Unterhalt gestützt auf von den Eltern eingereichten Unterlagen berechnet und den Eltern einen entsprechenden Unterhaltsvertrag zur Unterzeichnung unterbreitet. Eine mündliche Einigungsverhandlung ist nicht notwendig.
Zusammenfassung
Im vorliegenden Fall war umstritten, ob vor Einreichung der selbständigen Unterhaltsklage ein rechtsgenüglicher Vermittlungsversuch vor der Kindesschutzbehörde (KESB) stattgefunden hatte. Die von der Mutter des Kindes angerufene KESB hatte unstreitig keine mündliche Einigungsverhandlung durchgeführt. Stattdessen hat sie anhand der von den Eltern eingereichten Unterlagen den Unterhalt berechnet und gestützt darauf den Eltern einen Unterhaltsvertrag zur Unterzeichnung zukommen lassen. Nach Ansicht der Vorinstanz war damit das erforderliche sog. minimal vermittelnde Element erfüllt. Dagegen wehrte sich der Beschwerdeführer vor Bundesgericht. Seiner Ansicht nach wäre eine mündliche Einigungsverhandlung zwingend gewesen.
Das Bundesgericht wies darauf hin, dass gemäss Art. 198 lit. bbis ZPO das Schlichtungsverfahren bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weiterer Kinderbelange entfalle, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen habe. Gesetzgeberischer Gedanke hinter dieser Bestimmung sei die Vermeidung von Leerläufen in Fällen, in denen bereits bei der Kindesschutzbehörde erfolglos eine Einigung versucht wurde, weshalb erneute Vermittlungsbemühungen zwecklos wären. Der Wortlaut von Art. 198 lit. bbis ZPO lasse offen, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um von einer gehörigen Verfahrenseinleitung im Sinne dieser Bestimmung auszugehen. In der Lehre werde ein minimal vermittelndes Element gefordert, das wenigstens darin bestehe, dass der andere Elternteil kontaktiert worden sei, um auf eine Vermittlung hinzuwirken. Die Mitwirkung im Hinblick auf die Vermittlung könne namentlich durch Teilnahme an einem Gespräch, Einreichung von Unterlagen oder Unterzeichnung eines Vorschlags erfolgen. Es müsse also zumindest Gelegenheit zur einvernehmlichen Regelung bestanden haben (E. 2.2).
Im hier zu beurteilenden Fall habe die KESB eine Grundlage für eine einvernehmliche Regelung geschaffen, indem sie gestützt auf die ihr vorgelegten Unterlagen einen neuen Unterhaltsvertrag entwarf und beiden Elternteilen die Gelegenheit gab, diesen Unterhaltsvertrag zu unterzeichnen. Damit sei das minimal vermittelnde Element im Sinn von Art. 198 lit.bbis ZPO gegeben. Zu beachten sei zudem, dass der KESB in Bezug auf den Kindesunterhalt nur Genehmigungs‑, im Streitfall jedoch keine Entscheidungskompetenz zukommt. Da der Beschwerdeführer die Berechnungsgrundlage und damit den neuen Unterhaltsvertrag bestritten habe, habe die KESB also nicht noch eine Einigungsverhandlung ansetzen müssen, sondern haben auf Scheitern des Einigungsversuchs schliessen und die Parteien auf die Einleitung eines Gerichtsverfahrens verweisen dürfen. Sodann bestreite der Beschwerdeführer nicht, dass vor dem Kantonsgericht anlässlich der Hauptverhandlung ein Vermittlungsversuch unternommen worden sei, der entsprechende Vereinbarungsvorschlag jedoch seitens des Beschwerdeführers keinen Zuspruch gefunden habe. Unter diesen Umständen wäre eine Rückweisung an die Schlichtungsbehörde, nachdem das Verfahren nunmehr insgesamt vier Instanzen mit zwei erfolglosen Vermittlungsversuchen durchlaufen habe, ein prozessualer Leerlauf, den Art. 198 lit. bbis ZPO gerade zu verhindern bezwecke. Damit sei die diesbezügliche Kritik des Beschwerdeführers unbegründet und die Beschwerde insoweit abzuweisen (E. 2.3).
Kommentar
Das Urteil ist für die Praxis bedeutsam, da es konkretisiert unter welchen Umständen ein Vermittlungsversuch vor der KESB das erforderliche «minimale vermittelnde Element» erfüllt, welches gestützt auf Art. 198 lit. bbis die Einreichung einer selbständigen Unterhaltsklage ohne zusätzlichen Schlichtungsversuch erlaubt. Das Bundesgericht stellt klar, dass eine mündliche Vermittlung nicht zwingend ist. Mit Blick auf die tiefen Anforderungen, denen der Vermittlungsversuch der KESB gemäss Rechtsprechung und Lehre genügen muss, überzeugt das Urteil.
Gleichwohl dürfte es in den meisten Fällen ratsam sein, wenn die KESB versucht, den Parteien ihren Vereinbarungsvorschlag bzw. die Unterhaltsberechnung, auf welcher der Vorschlag basiert, mündlich zu erklären. Dies erhöht erfahrungsgemäss die Vergleichschancen erheblich. Insbesondere unvertretenen Parteien fällt es ansonsten schwer, den Vereinbarungsvorschlag richtig einzuordnen.
Abschliessend sei darauf hingewiesen, dass Art. 198 lit. bbis ZPO im Zuge der aktuellen Revision der Zivilprozessordnung dahingehend geändert werden soll, dass bei Klagen über den Unterhalt von Kindern und weiterer Kinderbelange in jedem Fall das Schlichtungsverfahren entfällt (Entwurf BBl 2020 2790; Botschaft vom 26. Februar 2020 zur Änderung der Schweizerischen Zivilprozessordnung [Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung], BBl 2020 2753 f.; Referendumsvorlage BBl 2023 786).