5A_487/2023: Arrest-Schadenersatzklage im Steuerarrest (amtl. Publ.)

Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_487/2023 vom 2. April 2024 erwog das Bundesgericht, dass die Arrest-Schadenersatzklage nach Art. 273 SchKG auch im Steuerarrest offensteht, und dass die Arrest-Schadenersatzklage auch in diesem Fall vor dem Zivilgericht zu erheben ist.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde.

Mit Eingabe vom 16. Jan­u­ar 2020 erhob die B AG, als Rechtsvorgän­gerin der A AG in Liq­ui­da­tion (nach­fol­gend: Klägerin), gegen den Kan­ton Tessin sowie die Tessin­er Gemein­den Melano (heute Gemeinde Val Mara), Lugano und Par­adiso (nach­fol­gend: die Beklagten) beim Bezirks­gericht Zürich eine Arrest-Schaden­er­satzk­lage und ver­langte, dass die Beklagten unter sol­i­darisch­er Haft­barkeit zur Zahlung von ins­ge­samt CHF 115’192.85 neb­st Zins zu verpflicht­en seien.

Im Rah­men von Steuer­ar­resten gegen den im Aus­land wohn­haften Arrestschuld­ner C wur­den zufolge Durch­griff alle Forderun­gen der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgän­gerin gegenüber der Bank D, Nieder­las­sung Zürich, sowie gegenüber der in Zürich dom­izilierten Bank E Ltd. ver­ar­restiert. Die Klägerin meldete ihren Drit­tanspruch an den ver­ar­restierten Ver­mö­genswerten an. Die Beklagten, die als (Widerspruchs-)Kläger auf­trat­en, erhoben Wider­spruch­sklage, welche das Kan­ton­s­gericht am 7. Dezem­ber 2018 abwies; gle­ichzi­etig entliess das Kan­ton­s­gericht die ver­ar­restierten Gegen­stände aus dem Arrestbeschlag.

Mit der Arrest-Schaden­er­satzk­lage vor dem Bezirks­gericht Zürich ver­langte die Klägerin von den Beklagten gestützt auf Art. 273 Abs. 1 SchKG Schaden­er­satz für die durch die ange­blich unrecht­mäs­si­gen Arreste verur­sacht­en Fol­gekosten. Dage­gen macht­en die Beklagten unter anderem gel­tend, dass das Bezirks­gericht Zürich örtlich unzuständig sei. Das Bezirks­gericht Zürich trat mit Beschluss vom 19. Jan­u­ar 2023 zufolge fehlen­der Zuständigkeit auf die Klage nicht ein.

Mit Eingabe vom 14. Feb­ru­ar 2023 erhob die Klägerin Beru­fung, welche das Oberg­ericht des Kan­tons Zürich mit Urteil vom 26. Mai 2023 guthiess. Das Oberg­ericht hob das bezirks­gerichtliche Urteil auf und wies die Sache im Sinne der Erwä­gun­gen (zur Durch­führung des Ver­fahrens) an die Erstin­stanz zurück. Es bejahte die Anwend­barkeit von Art. 273 SchKG auf den von den Beklagten ange­ord­neten Steuer­ar­rest und die örtliche Zuständigkeit des Bezirks­gerichts Zürich (Arrestort) zur Beurteilung der Klage.

Dage­gen erhoben die Beklagten Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht. Mit Prä­sidi­alver­fü­gung vom 25. Juli 2023 wurde der Beschw­erde die auf­schiebende Wirkung gewährt. Mit Urteil vom 2. April 2024 wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde ab, soweit es darauf eintrat.


Arrest-Schaden­er­satzk­lage und Steuer­ar­rest im Allgemeinen

Das Bun­des­gericht set­zte sich zunächst mit der Arrest-Schaden­er­satzk­lage, dem Steuer­ar­rest und der Abgren­zung zur Staat­shaf­tung auseinander.

Die Schaden­er­satzk­lage gegen den Arrest­gläu­biger gemäss Art. 273 SchKG ist eine Son­derbes­tim­mung des Schaden­er­satzrechts und sieht eine strenge (ver­schulden­sun­ab­hängige) Kausal­haf­tung im Arrestrecht vor. Die Haf­tung tritt auch ein, wenn der (ungerecht­fer­tigte) Arrest in unklar­er Lage ver­ständlich erscheint. Sie stellt den Aus­gle­ich für die Erle­ichterun­gen dar, welche dem Arrest­gläu­biger gewährt wer­den. Die Arrest-Schaden­er­satzk­lage nach Art. 273 SchKG ist eine materielle Leis­tungsklage und unter­ste­ht als zivil­gerichtliche Angele­gen­heit des SchKG der ZPO (Art. 1 Abs. 1 lit. c ZPO) (E. 2.3.1).

Für die direk­te Bun­dess­teuer und für die kan­tonalen Steuern kann die kan­tonale Steuer­be­hörde eine Sich­er­stel­lungsver­fü­gung erlassen (Art. 169 Abs. 1 DBGArt. 78 StHG). Die Sich­er­stel­lungsver­fü­gung gilt als Arrest­be­fehl nach Art. 274 SchKG (Art. 170 Abs. 1 DBGArt. 78 StHG) und die Steuer­be­hör­den müssen nicht ein Arrest­gericht anrufen. Die Arrest­gründe sind in der Steuerge­set­zge­bung abschliessend geregelt. Die Sich­er­stel­lungsver­fü­gung ist als Arrest­be­fehl gemäss Art. 274 Abs. 1 SchKG vom Betrei­bungsamt direkt zu vol­lziehen, wobei in der Prax­is sehr oft ein zusät­zlich­er Arrest­be­fehl erlassen wird, der die zu ver­ar­restieren­den Ver­mö­genswerte anführt. Eine Arrestein­sprache gemäss Art. 278 Abs. 1 SchKG ist gegen die Sich­er­stel­lungsver­fü­gung nicht möglich (Art. 170 Abs. 3 DBGArt. 78 StHG). Wer­den die Voraus­set­zun­gen ein­er Sich­er­stel­lung bestrit­ten, so kann der Betrof­fene dage­gen Ein­sprache bei den Steuer­be­hör­den erheben (Art. 169 Abs. 3 DBG) und den Ein­spracheentscheid an die jew­eili­gen Beschw­erde­in­stanzen weit­erziehen (E. 2.3.2).

Erweist sich der Steuer­ar­rest als ungerecht­fer­tigt, so stellt sich die Frage, ob die Arrestschuld­ner­in eine Arrest-Schaden­er­satzk­lage erheben kann oder Schaden­er­satz über den Weg der Staat­shaf­tung nach den Bes­tim­mungen des Bun­des­ge­set­zes über die Ver­ant­wortlichkeit des Bun­des sowie sein­er Behör­den­mit­glieder und Beamten vom 14. März 1958 (VG) ver­lan­gen muss (E. 2.3.3 und E. 2.4):

«Angesichts des sub­sidiären Charak­ters des VG ist zuerst die spezialge­set­zliche Recht­slage zu klären. Lediglich dort, wo kein abschliessendes Spezial­recht beste­ht, find­et das VG Anwen­dung bzw. stellt sich über­haupt die Frage nach der Abgren­zung von öffentlichem und pri­va­trechtlichem Auftreten des Bun­des (…). Die Auss­chliesslichkeit ein­er spezialge­set­zlichen Regelung gilt nur dann, wenn damit der beson­dere Charak­ter der öffentlich-rechtlichen Auf­gaben­er­fül­lung hin­re­ichend erfasst wird (…). Allfäl­lige spezialge­set­zliche Bes­tim­mungen des Bun­desrechts gehen den Haf­tungs­ge­set­zen der Kan­tone vor (…).»

«Art. 273 SchKG bildet eine Son­derbes­tim­mung des Schaden­er­satzrechts in der Zwangsvoll­streck­ung für Geld­forderun­gen. Die Frage, ob das Gemein­we­sen für einen ungerecht­fer­tigten Steuer­ar­rest (d.h. Arrest gestützt auf eine Sich­er­stel­lungsver­fü­gung) eben­falls gle­ich wie jed­er andere Arrest­gläu­biger (für öffentlich-rechtliche oder pri­vate Forderun­gen) nach Art. 273 SchKG haftet, wird in Recht­sprechung und Lehre nicht ein­heitlich beantwortet.»


Arrest-Schaden­er­satzk­lage auch im Steuer­ar­rest möglich

Das Bun­des­gericht set­zte sich sodann mit der bish­er vom Bun­des­gericht nicht beant­worteten Frage auseinan­der, ob die Arrest-Schaden­er­satzk­lage auch im Steuer­ar­rest offensteht.

Nach ein­er Analyse der bun­des­gerichtlichen (E. 2.4.1) und kan­tonalen (E. 2.4.2) Recht­sprechung sowie der Lehrmei­n­un­gen (E. 2.4.3) kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass die Arrest-Schaden­er­satzk­lage auch im Steuer­ar­rest offen­ste­ht, und dass das Zivil­gericht für solche Kla­gen zuständig ist.

Dabei erörterte das Bun­des­gericht zunächst den Rechtsinn der Regelung im Zusam­men­hang mit dem Steuer- und Verantwortlichkeitsrecht:

  • 273 SchKG spricht vom «Gläu­biger» als Haftpflichtigem. Dabei wird keine Unter­schei­dung zwis­chen Gläu­biger von pri­vat­en und öffentlich-rechtlichen Forderun­gen (wie u.a. Steuern) getrof­fen, was auf den Grund­satz, dass Geldleis­tun­gen unab­hängig ihrer Natur auss­chliesslich auf dem Weg der Schuld­be­trei­bung zu voll­streck­en sind (Art. 38 SchKG), zurück­zuführen ist. Öffentlich- und pri­va­trechtliche Forderun­gen sind in der Voll­streck­ung grund­sät­zlich gle­ichgestellt. Das Gemein­we­sen, das zur Sicherung der Voll­streck­ung von öffentlich-rechtlichen Forderun­gen den gewöhn­lichen Arrest (Art. 271 ff. SchKG) ein­set­zt, haftet wie jed­er (auch pri­vate) Gläu­biger nach Art. 273 SchKG, wobei das Zivil­gericht – ungeachtet, dass der SchKG-Arrest der Sicherung der Voll­streck­ung ein­er öffentlich-rechtlichen Forderung diente – ist für die Behand­lung dieser Klage zuständig (E. 2.5.1).
  • Die Durch­set­zung der Steuer­forderung wird vom Vor­be­halt gemäss 44 SchKG nicht erfasst. Weit­erge­hende Priv­i­legierun­gen des Staates bei der Durch­set­zung von Steuer­forderun­gen sind im Hin­blick auf den Grund­satz der Gle­ich­be­hand­lung der Gläu­biger nur bei klar­er und ein­deutiger geset­zlich­er Fes­tle­gung zuläs­sig. Die beson­deren Bes­tim­mungen des Steuer­ar­rests gehen indes als lex spe­cialis den grund­sät­zlich anwend­baren Bes­tim­mungen nach Art. 271 ff. SchKG vor (E. 2.5.2):

«Nach der Recht­sprechung hält die Auf­fas­sung, dass der Steuer­ar­rest exk­lu­siv anwend­bar sei, vor dem Willkürver­bot immer­hin stand (…). Fest ste­ht, dass die Unter­schiede betr­e­f­fend Arrest­gründe und Arrest­be­hörde den Steuerge­set­zge­ber jeden­falls nicht ver­an­lasst haben, im DBG für die Arrest-Schaden­er­satzk­lage eine eigene Regelung oder für das kan­tonale Recht im StHG eine Del­e­ga­tion­snorm zu schaf­fen, um vom Grund­satz der Anwend­barkeit der SchKG-Regeln abzuwe­ichen (…). Dies durfte das Oberg­ericht als Argu­ment für die Anwend­barkeit von Art. 273 SchKG werten.»

  • Der Aus­gang des SchKG-Arrestein­sprachev­er­fahrens und der Aus­gang des Rechtsmit­telver­fahrens gegen die Sich­er­stel­lungsver­fü­gung im Steuer­ar­rest binden das Gericht im Arrest-Schaden­er­satzprozess nach  273 SchKG im Zusam­men­hant mit der materiellen Beurteilung des Arrest­ti­tels (E. 2.5.3).
  • Der Steuer­ar­rest und der reine SchKG-Arrest haben inhaltlich die gle­iche Funk­tion (pro­vi­sorische Sicher­heit ein­er Forderung, um die in der Schweiz gele­ge­nen Ver­mö­genswerte der Zwangsvoll­streck­ung zuzuführen). Der Steuer­ar­rest unter­schei­det sich vom reinen SchKG-Arrest in erster Lin­ie durch die Instanz, welche zur Aus­lö­sung befugt ist. Beim Ein­satz des gle­ichen Sicherungsin­stru­ments wird daher die gle­iche Haf­tungs­bes­tim­mung des Arrestrechts (273 SchKG) angewen­det. Dies entspricht dem Grund­satz der Anwend­barkeit der Bes­tim­mungen des SchKG auf öffentlich-rechtliche Geld­forderun­gen und der Gle­ich­be­hand­lung des öffentlich- und des pri­va­trechtlichen Gläu­bigers in der Voll­streck­ung (E. 2.5.4)

Sodann set­zte sich das Bun­des­gericht mit dem Ver­hält­nis zwis­chen Steuer­ar­rest und Art. 3 Abs. 2 VG auseinan­der und erwog, dass keine Anhalt­spunk­te zur Annahme beste­hen, dass die spezialge­set­zliche Regelung von Art. 273 SchKG den beson­deren Charak­ter der Steuer­sicherung nicht hin­re­ichend erfasse, da u.a. die Sachver­halte, welche die Steuer­be­hörde regelmäs­sig zum Erlass ein­er Sich­er­stel­lungsver­fü­gung berechti­gen, näm­lich steuerge­fährden­des Ver­hal­ten des Pflichti­gen bzw. fehlen­der Wohn­sitz in der Schweiz, im Kern von den Arrest­grün­den nach Art. 271 Abs. 1 SchKG erfasst wer­den, auch wenn sie in den mass­geben­den Steuerge­set­zen all­ge­mein­er und genereller umschrieben sind (E. 2.6.3).

«Entschei­dend für die Arresthaf­tung ist, dass die Steuer­be­hör­den über den Arrest als SchKG-Sicherungsin­stru­ment ver­fü­gen kön­nen. Ver­gle­ich­bar ist damit die Haf­tung des Gemein­we­sens u.a. als Werkeigen­tümer (Art. 58 OR) betr­e­f­fend Strassen, die eben­falls unmit­tel­bar eine Ver­wal­tungsauf­gabe erfüllen, oder andere spezialge­set­zliche Haf­tungsnor­men, welche auss­chliesslich an eine bes­timmte “Betrieb­s­ge­fahr” anknüpfen (…): Diese spez­i­fis­chen Kausal­haf­tun­gen gehen der all­ge­meinen Staat­shaf­tung vor. (…) Dass die Haf­tung nach Art. 273 SchKG im Zwangsvoll­streck­ungsrecht — als Teil des öffentlichen Rechts (…) — zugrunde gelegt ist, ändert nichts. (…) Nicht nur aus Sicht des Geschädigten (wie das Oberg­ericht fest­ge­hal­ten hat), son­dern ins­beson­dere auch aus (Behör­den-) Sicht zur Erfül­lung der öffentlichen Auf­gabe beste­ht kein Grund, von der spezialge­set­zlichen Regelung (Art. 273 SchKG) abzuwe­ichen, zumal die Ein­heit der Recht­sor­d­nung und des Haf­tungssys­tems nicht ohne Not zu durch­brechen ist (…).»

Vor diesem Hin­ter­grund kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass das Gemein­we­sen für einen ungerecht­fer­tigten Steuer­ar­rest wie jed­er andere (öffentliche oder pri­vate) Gläu­biger nach Art. 273 SchKG haftet, und bestätigte damit den Entscheid der Vorin­stanz (E. 2.6.4). Nach Ansicht des Bun­des­gerichts stellt die Behand­lung der Arrest-Schaden­er­satzk­lage als gerichtliche Stre­it­sache des Schuld­be­trei­bungs- und Konkursrechts (Art. 1 Abs. 1 lit. c ZPO) keine Rechtsver­let­zung dar (E. 2.7.2).


Örtliche Zuständigkeit der Arrest-Schaden­er­satzk­lage im Steuerarrest

Das Bun­des­gericht erblick­te keine Rechtver­let­zung i.Z.m. der Schlussfol­gerung des Oberg­erichts, wonach sich die örtliche Zuständigkeit im Steuer­ar­rest — gle­ich wie im SchKG-Arrest — nach Art. 273 Abs. 2 SchKG richte und auch am Arrestort (im Sinn von Art. 52 SchKG) bzw. am Ort der ver­ar­restierten Ver­mö­genswerte (hier in der Stadt Zürich) ein Gerichts­stand begrün­det werde (E. 2.7.3).