5A_751/2023: Gültigkeit der Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 (amtl. Publ.)

Im zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_751/2023 vom 29. April 2024 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob die Konkursübereinkunft mit dem Königreich Bayern vom 11. Mai 1834 im Kanton Thurgau noch Gültigkeit hat oder ob diese durch Art. 166 ff. IPRG verdrängt wird. Das Bundesgericht bestätigte, dass die Übereinkunft im Verhältnis zum Kanton Thurgau weiterhin gilt. Der deutsche Insolvenzverwalter war damit berechtigt, ein Abtretungsgesuch nach Art. 260 SchKG zu stellen, ohne das deutsche Insolvenzdekret vorgängig anerkennen zu lassen.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Die C AG mit Sitz in U/Thurgau war ins­beson­dere im Ver­trieb wie auch im Han­del mit Strom und Gas tätig und fungierte dabei als Beteili­gungs- und Mut­terge­sellschaft im Energiesek­tor. Die B mit Sitz in München/Deutschland war eine Tochterge­sellschaft der C AG. A war u.a. Mit­glied des Ver­wal­tungsrates der C AG.

Mit Beschluss vom 29. Jan­u­ar 2019 ord­nete das Amts­gericht München auf Antrag der B eine vor­läu­fige Insol­ven­zver­wal­tung an und ernan­nte Recht­san­walt D in München als vor­läu­fi­gen Insolvenzverwalter.

Kurz darauf — am 18. Feb­ru­ar 2019 — eröffnete das Bezirks­gericht Kreu­zlin­gen den Konkurs über die C AG. Der dama­lige Geschäfts­führer der B meldete eine Forderung der B im Konkursver­fahren der C AG an, die in der Folge in der drit­ten Klasse kol­loziert wurde.

Mit Beschluss vom 16. Okto­ber 2019, 08.00 Uhr, eröffnete das Amts­gericht München das Insol­ven­zver­fahren gegen die B wegen Zahlung­sun­fähigkeit und Über­schul­dung und bestellte Recht­san­walt D zum defin­i­tiv­en Insolvenzverwalter.

Nach Auflage des Kol­loka­tion­s­plans erhob A (der eben­falls als Konkurs­gläu­biger kol­loziert wurde) am 10. Dezem­ber 2020 eine (neg­a­tive) Kol­loka­tion­sklage beim Bezirks­gericht Kreu­zlin­gen. Mit Entscheid vom 7. Novem­ber 2022 wies das Bezirks­gericht die Kol­loka­tion­sklage ab. Die von A dage­gen erhobene Beru­fung beim Oberg­ericht des Kan­tons Thur­gau ist noch hängig.

Mit Ver­fü­gung vom 23. August 2021 trat das Konkur­samt Thur­gau der Tochterge­sellschaft B — ver­mut­lich auf Begehren deren Insol­ven­zver­wal­ters D hin — die Ver­ant­wortlichkeit­sansprüche gegenüber den Orga­nen der C AG gestützt auf Art. 260 SchKG ab.

Mit Entscheid vom 13. Sep­tem­ber 2021 erk­lärte das Konkurs­gericht das Konkursver­fahren für geschlossen.

Am 26. April 2023 erhob A eine SchKG-Beschw­erde beim Oberg­ericht des Kan­tons Thur­gau als Auf­sichts­be­hörde in Konkurssachen und beantragte die Fest­stel­lung der Nichtigkeit von Ver­fü­gun­gen des Konkur­samtes im Konkursver­fahren über die C AG (Kol­loka­tion­s­plan vom 12. Novem­ber 2020, Kol­loka­tion der Forderung der B, Abtre­tung gemäss Art. 260 SchKG vom 23. August 2021 von Ver­ant­wortlichkeit­sansprüchen an die B). Mit Entscheid vom 18. Sep­tem­ber 2023 wies das Oberg­ericht das Gesuch ab.

Dage­gen erhob A am 6. Okto­ber 2023 Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht, welch­es die Beschw­erde mit Urteil vom 29. April 2024 abwies, soweit es darauf eintrat.


Wirkun­gen des Konkurss­chlusses auf das Beschw­erderecht gegen Ver­fü­gun­gen, die im Laufe des Konkursver­fahrens getrof­fen wurden

Das Bun­des­gericht wies die Ein­wände des Beschw­erde­führers gegen den Kol­loka­tion­s­plan und die Kol­loka­tion der Forderung der B zurück, mit der Begrün­dung, dass das Konkursver­fahren für geschlossen erk­lärt wurde: Wenn das Konkurs­gericht das Konkursver­fahren für geschlossen erk­lärt hat, ist  eine betrei­bungsrechtliche Beschw­erde gegen die vom Konkur­samt im Laufe des Ver­fahrens getrof­fe­nen Ver­fü­gun­gen grund­sät­zlich nicht mehr zuläs­sig. Ein abgeschlossenes Konkursver­fahren kann mit Aus­nahme der Fälle nach Art. 269 SchKG nicht mehr wieder aufgenom­men wer­den (E. 4.2.1). Eine Verän­derung der pas­siv­en Konkurs­masse nach Konkurss­chluss ist aus­geschlossen (E. 4.2.3).


Prü­fung der Abtre­tungsver­fü­gung im Lichte von Art. 166 ff. IPRG

In diesem Zusam­men­hang stellte das Bun­des­gericht jedoch klar, dass die Frage, ob eine Abtre­tung nach Art. 260 SchKG an eine aus­ländis­che Konkursver­wal­tung mit den Regeln über das inter­na­tionale Konkursrecht (Art. 166 ff. IPRG) vere­in­bar ist, unter Anrufung der Nichtigkeit (Art. 22 SchKG) von den Auf­sichts­be­hör­den trotz Konkurss­chluss geprüft wer­den kann:

  • Das Konkur­samt bleibt zum Wider­ruf der Abtre­tungsver­fü­gung auch nach Konkurss­chluss im Falle von Art. 95 KOV zuständig. Fol­glich ist auch die Prü­fung und allfäl­lige Fest­stel­lung der Nichtigkeit (Art. 22 SchKG) ein­er Abtre­tungsver­fü­gung durch die Auf­sichts­be­hörde trotz Konkurss­chluss grund­sät­zlich möglich (E. 4.3.1–4.3.2).
  • Bei dieser konkreten Frage geht es um Vorschriften gemäss Art. 22 SchKG, die im öffentlichen Inter­esse (hier: Ter­ri­to­ri­al­ität­sprinzip) und zum Schutz von am Ver­fahren nicht beteiligten Per­so­n­en (hier: Gläu­biger gemäss Art. 172 Abs. 1Art. 174a IPRG) erlassen wor­den sind (E. 4.4.1).

Befug­nisse des aus­ländis­chen Konkursver­wal­ters im Allgemeinen

In der Folge befasste sich das Bun­des­gericht mit der Gültigkeit der Abtre­tungsver­fü­gung und rief seine Recht­sprechung zu den Befug­nis­sen des aus­ländis­chen Konkursver­wal­ters in Erin­nerung (E. 4.4.1): Ein aus­ländis­ch­er Konkursver­wal­ter ist in der Schweiz einzig berechtigt, die Anerken­nung des aus­ländis­chen Konkurs­dekrets sowie den Erlass sich­ern­der Mass­nah­men zu beantra­gen (Art. 166 Abs. 1 und Art. 168 IPRG) und — nach erfol­gter Anerken­nung des aus­ländis­chen Konkurs­dekrets in der Schweiz — gestützt auf Art. 171 IPRG Anfech­tungsansprüche oder andere Ansprüche einzuk­la­gen, sofern das schweiz­erische Konkur­samt und die kol­lozierten Gläu­biger darauf verzichtet haben. Demge­genüber ist eine aus­ländis­che Konkurs­masse nicht befugt, in der Schweiz Betrei­bung­shand­lun­gen vorzunehmen, u.a. auch nicht eine Klage gegen einen ange­blichen Schuld­ner des Konkur­siten zu erheben. Wird das aus­ländis­che Konkurs­dekret anerkan­nt, so unter­liegt das in der Schweiz befind­liche Ver­mö­gen des Schuld­ners grund­sät­zlich den konkursrechtlichen Fol­gen des schweiz­erischen Rechts (Art. 170 Abs. 1 IPRG) mit der Folge, dass über das in der Schweiz befind­liche Ver­mö­gen ein Hil­f­skonkurs eröffnet wird, der vom schweiz­erischen Konkur­samt durchge­führt wird. Das Tätig­w­er­den der aus­ländis­chen Konkursver­wal­tung ist nach Anerken­nung des aus­ländis­chen Insol­ven­zentschei­des und Verzicht auf die Durch­führung eines inländis­chen Hil­fsver­fahrens allerd­ings möglich (Art. 174a Abs. 4 IPRG).


Gültigkeit der Übereinkun­ft mit dem Kön­i­gre­ich Bay­ern vom 11. Mai 1834 im konkreten Fall

Gemäss Bun­des­gericht ist bei der Beurteilung der Gültigkeit der Abtre­tung von Ansprüchen nach Art. 260 SchKG der Vor­be­halt der völk­er­rechtlichen Verträge zu beacht­en (Art. 30a SchKGArt. 1 Abs. 2 IPRG) (E. 4.5). Fol­glich set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, ob die Übereinkun­ft mit dem Kön­i­gre­ich Bay­ern vom 11. Mai 1834 im konkreten Fall Art. 166 ff. IPRG vorgeht.

Das Bun­des­gericht erwog, dass die über­wiegende Lehre der Auf­fas­sung ist, dass die Übereinkun­ft mit dem Kön­i­gre­ich Bay­ern über die gle­ich­mäs­sige Behand­lung der gegen­seit­i­gen Staat­sange­höri­gen in Konkurs­fällen vom 11. Mai 1834 weit­er­hin in Kraft ist bzw. nicht auss­er Kraft geset­zt wurde (E. 4.5.1).

In der Folge prüfte das Bun­des­gericht, ob die Übereinkun­ft im vor­liegen­den Fall (Abtre­tungs­ge­such beim Konkur­samt Thur­gau) anwend­bar ist. Das Bun­des­gericht bestätigte zunächst, dass der Kan­ton Thur­gau Sig­natar der Konkursübereinkun­ft mit dem Kön­i­gre­ich Bay­ern (pub­liziert in der Rechtssamm­lung des Kan­tons Thur­gau, RB 281.32) ist, und dass eine Anerken­nung des Konkurs­dekrets in der Schweiz nicht nötig ist wenn die Übereinkun­ft noch in Kraft ist (E. 4.5.2):

“Zutr­e­f­fend hat das Oberg­ericht (mit Hinw. auf Urteil 5A_665/2012 vom 28. März 2013 E. 3.2.1) fest­ge­hal­ten, dass damit (nach dem Wort­laut beschränkt auf beweglich­es Ver­mö­gen) die Anerken­nung der Uni­ver­sal­ität und Attrak­tivkraft des Konkurs­es im Staats­ge­bi­et der Ver­tragsparteien ver­ankert wird (…). Dies bedeutet, dass der in einem Staat eröffnete Konkurs im Hoheits­ge­bi­et bei­der Ver­tragsparteien Wirkung haben soll, was die Konkurs­eröff­nung über densel­ben Schuld­ner im anderen Staat auss­chliesst und eine Anerken­nung des Konkurs­dekretes nach Art. 166 ff. IPRG nicht notwendig macht (…).”

In diesem Zusam­men­hang set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Frage auseinan­der, ob sich der Geset­zge­ber für den Vor­rang von Art. 166 ff. IPRG gegenüber den alten Konkursübereinkün­ften entsch­ied, und verneinte dies (E. 4.5.4).

Sodann prüfte das Bun­des­gericht die Frage der Gültigkeit der alten Konkursübereinkün­fte anhand der Regeln des Ver­fas­sungs- und Völk­er­rechts und erwog, dass es sich bei der Übereinkun­ft mit dem Kön­i­gre­ich Bay­ern um kan­tonales Recht han­delt und dass die Übereinkun­ft man­gels Kündi­gung oder Aufhe­bung weit­er­hin in Kraft ist (E. 4.5.5):

“Gemäss Art. 56 Abs. 1 BV kön­nen die Kan­tone in ihren Zuständigkeits­bere­ichen mit dem Aus­land Verträge schliessen. Zum Zeit­punkt des Ver­tragsab­schlusses waren die Kan­tone sou­verän und zum Abschluss befugt, und die kan­tonalen völk­er­rechtliche Verträge, die vor 1848 mit dem Aus­land abgeschlossen wurde, gel­ten grund­sät­zlich fort (…). Kan­tonale Staatsverträge mit dem Aus­land wer­den zwar (bun­desstaat­srechtlich, lan­desin­tern) dem kan­tonalen Recht zugewiesen (…). Wegen ihrer Natur gel­ten sie den­noch nach all­ge­mein­er Auf­fas­sung als Völk­er­recht (…). Die kan­tonalen Staatsverträge gehen dem inter­nen kan­tonalen Recht vor, müssen aber einem späteren abgeschlosse­nen Staatsver­trag des Bun­des weichen (…). Einen solchen ein­schlägi­gen Staatsver­trag gibt es nicht. Hinge­gen wider­spricht das spätere IPRG mit seinem Erforder­nis der Anerken­nung des aus­ländis­chen Konkurs­es der grund­sät­zlichen Uni­ver­sal­ität des Konkurs­es, wie sie in der alten Konkursübereinkun­ft mit Bay­ern für das Ver­trags­ge­bi­et völk­er­rechtlich fest­gelegt wird. In sein­er Recht­sprechung bestätigt das Bun­des­gericht den Grund­satz des Vor­rangs von Völk­er­recht vor Lan­desrecht, unter Vor­be­halt ein­er allfäl­li­gen Aus­nahme: Wenn das Par­la­ment bewusst ein völk­er­rechtswidriges Gesetz erlassen hat, hat dieses den Vor­rang (BGE 148 II 169 E. 5.2, mit Hin­weis auf BGE 99 Ib 39 [“Schu­bert”]; die Gege­naus­nahme nach der Prax­is gemäss BGE 125 II 417 [“PKK”] ist hier nicht von Belang). Anhalt­spunk­te, dass das Par­la­ment bei der Schaf­fung oder Revi­sion des IPRG bewusst die alte Konkursübereinkun­ft mit Bay­ern brechen wollte, beste­hen jedoch nicht. Vielmehr wird aus­drück­lich die geord­nete Kündi­gung oder ein­vernehm­liche Aufhe­bung der alten Konkursübereinkün­fte in Betra­cht gezo­gen, ohne dass dies jedoch geschehen ist. Nach dem Dargelegten kann der in BGE 109 III 83 E. 3 mögliche und von POUDRET/SANDOZ-MONOD ( a.a.O.) befür­wortete Schluss, dass mit Inkraft­treten des IPRG die alte Konkursübereinkun­ft mit Bay­ern auss­er Kraft geset­zt wurde, nicht gezo­gen wer­den. Die Konkursübereinkun­ft mit dem ehe­ma­li­gen Kön­i­gre­ich Bay­ern von 1834 ist — ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Beschw­erde­führers — weit­er­hin in Kraft, wie das Oberg­ericht im Ergeb­nis zutr­e­f­fend angenom­men hat.”

Vor diesem Hin­ter­grund kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass eine Anerken­nung des deutschen Insol­ven­zdekrets nach Art. 166 ff. IPRG für die Klagean­hebung für die Insol­venz­masse durch den defin­i­tiv einge­set­zten deutschen Insol­ven­zver­wal­ter nicht erforder­lich ist, da das deutsche Insol­ven­zrecht den deutschen Insol­ven­zver­wal­ter dazu berechtigt (E. 4.6):

“Die Befug­nis des deutschen Konkursver­wal­ters, im vor­liegen­den Konkurs eines Drittschuld­ners (hier: C AG) das Begehren auf Abtre­tung nach Art. 260 SchKG ein­er Forderung zu stellen, kann ihm daher nicht abge­sprochen wer­den; die Prozess­führungs­befug­nis wird vom Beschw­erde­führer (für den Fall der Anwend­barkeit der alten Konkursübereinkun­ft) nicht in Frage gestellt. In der Abtre­tungsver­fü­gung des Konkur­samtes vom 23. August 2021 kann fol­glich kein Ver­stoss gegen Vorschriften gemäss Art. 22 SchKG erblickt werden.”