In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 4A_151/2024 vom 22. August 2024 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, inwiefern ein von der Vormundschaftsbehörde genehmigter Unterhaltsvertrag, der den Unterhalt des gemeinsamen Sohns über die Volljährigkeit hinaus festlegte, im Rechtsöffnungsverfahren ausgelegt werden darf. Das Bundesgericht bestätigte seine Rechtsprechung und erwog, dass die Rechtsöffnung zu verweigern ist, wenn bereits der Inhalt einer im definitiven Rechtsöffnungstitel festgehaltenen auflösenden Bedingung, unter welcher die Schuldpflicht besteht, unbestimmt ist und sich nicht mit Sicherheit ermitteln lässt.
Der von der Vormundschaftsbehörde im Jahr 2006 genehmigte Unterhaltsvertrag sah in Ziff. 1 vor, dass die Unterhaltspflicht des Vaters “ab dem 1. Oktober 2006 bis zur Mündigkeit des Kindes [dauert]. Befindet sich ein Kind dann noch in Ausbildung, so dauert mit Bezug auf dieses Kind die Unterhaltspflicht in gleicher Höhe fort bis zum Zeitpunkt, in dem diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann oder vorzeitig beendet wird.”
Der volljährige Sohn (Kläger) setzte Unterhaltsbeiträge für die Periode ab Oktober 2021 bis Mitte Januar 2023 in Betreibung. Der betriebene Vater erhob Rechtsvorschlag. Der Kantonsgerichtspräsident stellte im Rechtsöffnungsverfahren fest, zum Zeitpunkt der Volljährigkeit habe sich der am 3. Mai 2001 geborene Kläger noch in Ausbildung zum Bauzeichner EFZ Fachrichtung Ingenieurbau befunden. Diese Ausbildung habe er im Sommer 2021 abgeschlossen. Unterhaltszahlungen über den Abschluss der Ausbildung als Bauzeichner EFZ Fachrichtung Ingenieurbau hinaus seien vom Wortlaut des Unterhaltsvertrags nicht erfasst. Es fehle der sonst übliche Hinweis auf Art. 277 Abs. 2 ZGB. Für die vorliegend geltend gemachten Unterhaltsansprüche ab Oktober 2021 bis Mitte Januar 2023 stelle der Unterhaltsvertrag somit keinen definitiven Rechtsöffnungstitel dar. Ob der Kläger — wie er behauptet — über den Abschluss der genannten Ausbildung hinaus Anspruch auf Unterhalt habe, könne der Rechtsöffnungsrichter nicht prüfen, sondern sei im ordentlichen Prozess geltend zu machen.
Das Obergericht des Kantons Glarus hiess die dagegen erhobene Beschwerde gut, hob die Verfügung des Kantonsgerichtspräsidenten auf und erteilte dem Kläger in der genannten Betreibung definitive Rechtsöffnung. Es erachtete den Unterhaltsvertrag vom 28. August 2006 auch für die in Betreibung gesetzten Unterhaltsbeiträge für die Periode von Oktober 2021 bis Mitte Januar 2023 als definitiven Rechtsöffnungstitel.
Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde gut, hob den Entscheid der Vorinstanz auf und verweigerte die definitive Rechtsöffnung.
Anordnung i.Z.m. der Zahlung von Unterhalt über die Volljährigkeit hinaus als definitiver Rechtsöffnungstitel
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung stellt ein Urteil, welches ausdrücklich die Zahlung von Unterhalt über die Volljährigkeit hinaus anordnet, einen definitiven Rechtsöffnungstitel dar, wenn es die geschuldeten Unterhaltsbeiträge betragsmässig festlegt und deren Dauer bestimmt. Dasselbe gilt für einen behördlich genehmigten Unterhaltsvertrag (E. 3.3).
Die im definitiven Rechtsöffnungstitel verankerten Bedingungen
Gegenüber einer resolutiv bedingten Forderung kann der Schuldner im Rechtsöffnungsverfahren i.S. einer Einrede bzw. Einwendung gemäss Art. 81 Abs. 1 SchKG u.a. einwenden, die Resolutivbedingung sei eingetreten. Demgegenüber muss der Gläubiger gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung beweisen, dass eine suspensiv bedingte Forderung fällig ist, weil die Suspensivbedingung eingetreten ist (E. 3.4).
Bei Kinderunterhaltsrenten über die Mündigkeit hinaus insbesondere
In Bezug auf Kinderunterhaltsrenten hielt das Bundesgericht Folgendes fest (E. 3.4):
- Eine Kinderunterhaltsrente, die über die Mündigkeit hinaus bis zum Ende der beruflichen Ausbildung zu bezahlen ist, ist resolutiv bedingt.
- Steht die Leistungspflicht des Schuldners gemäss dem definitiven Rechtsöffnungstitel unter einer auflösenden Bedingung, ist grundsätzlich Rechtsöffnung zu erteilen.
- Die Rechtsöffnung ist indes zu verweigern, wenn der Schuldner den Eintritt der Resolutivbedingung durch Urkunden zweifelsfrei nachweist; das Erfordernis des Urkundenbeweises fällt weg, wenn der Gläubiger den Eintritt der Bedingung vorbehaltlos anerkennt oder wenn dieser notorisch ist.
Das Bundesgericht erwog im konkreten Fall, dass die Resolutivbedingung eingetreten sei (E. 3.5):
“(…) Die im Unterhaltsvertrag vom 28. August 2006 über die Mündigkeit hinaus statuierte Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers ist in der Dauer resolutiv bedingt durch den Zeitpunkt, in dem “diese Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann oder vorzeitig beendet wird”. Bei Erreichen der Mündigkeit stand der Beschwerdegegner in der Ausbildung zum Bauzeichner EFZ Fachrichtung Ingenieurbau. Diese Ausbildung hat er unbestrittenermassen im Sommer 2021 abgeschlossen. Damit ist insofern die Resolutivbedingung eingetreten. Entsprechend entfällt eine Leistungspflicht des Beschwerdeführers über diesen Zeitpunkt hinaus.”
Kognition des Rechtsöffnungsgerichts
Das Bundesgericht verwarf die durch die Vorinstanz vorgenommene Auslegung des Unterhaltsvertrags und erwog, dass “es doch nicht Sache des Rechtsöffnungsgerichts (ist) zu bestimmen, welche Ausbildung angemessen ist” (E. 3.6):
“Offensichtliche Situationen vorbehalten, hat der Richter im Rechtsöffnungsverfahren nicht über heikle materiellrechtliche Fragen oder Ermessensfragen zu befinden (…). Mit ihrem Vorgehen, die definitive Rechtsöffnung trotz Ungewissheit über den Fortbestand der Unterhaltspflicht zu erteilen, drängt die Vorinstanz den Schuldner (Beschwerdeführer) in die Klägerrolle und auferlegt ihm das Ausfallrisiko, wenn gegebenenfalls zu Unrecht eingetriebene Unterhaltsbeiträge nicht zurückbezahlt werden.”
Das Bundesgericht führte weiter aus, dass es im vorliegenden Fall nicht darum geht, ob der Schuldner durch Urkunden bewiesen hat, dass die Resolutivbedingung (Abschluss “dieser Ausbildung”) eingetreten ist oder nicht. Vielmehr stellt sich für das Bundesgericht die vorgelagerte Frage, was der Inhalt der Resolutivbedingung ist bzw. wie diese genau lautet (E. 3.7):
“(…) Nur bezüglich des Eintritts der Resolutivbedingung ist grundsätzlich Rechtsöffnung zu erteilen, sofern der Schuldner den Eintritt der auflösenden Bedingung nicht zweifelsfrei nachweist oder der Gläubiger den Eintritt der Bedingung vorbehaltlos anerkennt oder wenn dieser notorisch ist (…). Wenn aber — wie hier — bereits der Inhalt der auflösenden Bedingung, unter welcher die Schuldpflicht besteht, unbestimmt ist und sich nicht mit Sicherheit ermitteln lässt, mithin wenn darüber Zweifel bestehen, ist die Rechtsöffnung zu verweigern (…).”
Das Bundesgericht verwies auf seine Rechtsprechung und kam zum Schluss, dass die Rechtsöffnung zu verweigern ist, “wenn sich das vom Sachgericht Gewollte infolge einer ungeschickten Formulierung nicht mit Sicherheit ermitteln lässt” (E. 3.8). Im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Vergleich hat das Bundesgericht in diversen Urteilen klargestellt, dass das Rechtsöffnungsgericht den gerichtlichen Vergleich nicht gemäss Art. 18 OR auslegen darf: Das Rechtsöffnungsgericht hat nämlich einzig zu prüfen, ob der gerichtliche Vergleich den Schuldner klar und endgültig zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme verpflichtet. Ist eine Auslegung nach Art. 18 OR erforderlich, um den Inhalt des gerichtlichen Vergleichs zu bestimmen, ist die definitive Rechtsöffnung mangels Bestimmtheit des Rechtsöffnungstitels zu verweigern (E. 3.8).
Aus diesen Gründen verweigerte das Bundesgericht die definitive Rechtsöffnung im konkreten Fall:
“3.10. Dass der Unterhaltsvertrag bezüglich der Dauer der Unterhaltspflicht über die Mündigkeit hinaus wirklich auslegungsbedürftig ist oder nicht vielmehr vom Wortlaut her klar und eindeutig lediglich die Ausbildung erfasst, in der sich das Kind bei Erreichen der Mündigkeit befindet, erscheint fraglich. Es mag zwar zutreffen, dass eine Person nach Beendigung einer Lehre sich noch weiterbilden, namentlich die Matura machen und ein Studium absolvieren möchte. Das ändert aber nichts daran, dass der Abschluss einer Berufslehre grundsätzlich eine abgeschlossene Ausbildung darstellt, die den Einstieg ins Berufsleben ermöglicht, ohne dass eine weitere Ausbildungsstufe erforderlich wäre. Aus der allgemeinen Lebensrealität folgt demnach keineswegs die Annahme, dass eine Berufslehre durchwegs zu einem Studium überleitet. Besondere Umstände, aufgrund derer in casu bei Abschluss des Unterhaltsvertrags und der Abfassung von dessen Ziffer 1 in jedem Fall ein Studium des Beschwerdegegners in Betracht gezogen worden war, sind weder geltend gemacht noch festgestellt. Von daher erscheint der Standpunkt des erstinstanzlichen Richters, der den Unterhaltsvertrag als eindeutig und nicht als auslegungsbedürftig ansah, vertretbar. Das Bundesgericht hat jedoch keinen Anlass, die gegenteilige Annahme der Vorinstanz zu korrigieren, da auch deren Ansicht, der Unterhaltsvertrag sei in diesem Punkt auslegungsbedürftig, vertretbar und somit nicht willkürlich ist.
3.11. Die Vorinstanz hat aber aus der Annahme der Auslegungsbedürftigkeit des Unterhaltsvertrags die falsche Konsequenz gezogen, indem sie trotz der Unbestimmtheit des Rechtsöffnungstitels in diesem Punkt die definitive Rechtsöffnung gewährte.
In Beachtung der zitierten Bundesgerichtsrechtsprechung (vgl. E. 3.8) hätte sie vielmehr die Rechtsöffnung verweigern müssen. Die für die Unterhaltsbeiträge für die Zeit vom Oktober 2021 bis Mitte Januar 2023 eingeleitete Betreibung könnte nur dann fortgesetzt werden, wenn der Unterhaltsvertrag vom 28. August 2006 zweifelsfrei auch während der nach Abschluss der Ausbildung zum Bauzeichner EFZ Fachrichtung Ingenieurbau unternommenen Weiterbildung die Schuldpflicht des Beschwerdeführers begründen und demnach auch insoweit einen definitiven Rechtsöffnungstitel abgeben würde.
Nachdem dies auch nach Auffassung der Vorinstanz gerade nicht zutrifft, kann die definitive Rechtsöffnung nicht erteilt werden.”