5A_440/2024: Wann sind Darlehensforderungen nachstehender Gläubiger im Konkurs der Gesellschaft nachrangig zu behandeln? (amtl. Publ.)

Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 5A_440/2024 vom 31. März 2025 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, ob Darlehen, die von nahestehenden Gläubigern an eine notleidende Gesellschaft gewährt wurden, im Konkurs der Gesellschaft nachrangig zu behandeln sind. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Darlehensforderungen erst dann nachrangig zu behandeln sind, wenn die Forderungseingabe der nahestenden Gläubiger rechtsmissbräuchlich ist. Solange eine Gesellschaft im Zeitpunkt der Darlehensgewährung nicht überschuldet ist, erscheinen die Darlehensgewährung und die spätere Geltendmachung der Forderung im Konkurs nicht als offenbar rechtsmissbräuchlich. Ferner kommt ein konkludenter Rangrücktritt erst in Betracht, wenn den Erklärungen der Parteien Anhaltspunkte für einen entsprechenden mutmasslichen Willen zu entnehmen sind. Ansonsten ist nicht davon auszugehen, dass der Darlehensgeber mit einem ihn belastenden Rangrücktritt zugunsten Dritter einverstanden ist.


Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Die F AG Bau­un­ternehmung  (nach­fol­gend “F AG” oder “Gesellschaft”) und die A AG standen (weit­ge­hend) im Eigen­tum von B, C, D und E. B, C, D und E waren zusam­men mit ein­er weit­eren Per­son Ver­wal­tungsräte der A AG. C, D und E waren auch im Ver­wal­tungsrat der F AG vertreten. Im Ver­lauf der Jahre 2016, 2017 und 2018 gewährten die A AG, B, C, D und E der F AG Dar­lehen. Über die F AG wurde mit Entscheid vom 30. April 2018 der Konkurs eröffnet. In der Folge melde­ten die A AG, B, C, D und E  (nach­fol­gend “Gläu­biger”) Forderun­gen aus Dar­lehen, Miete und Arbeit im Konkurs über die F AG an. Mit Kol­loka­tionsver­fü­gung des Gläu­big­er­auss­chuss­es vom 22. August 2019 wur­den die angemelde­ten Forderun­gen nicht wie ver­langt zugelassen.

Mit Eingabe vom 10. Sep­tem­ber 2019 erhoben die Gläu­biger eine Kol­loka­tion­sklage nach Art. 250 Abs. 1 SchKG gegen die Konkurs­masse der F AG beim Region­al­gericht Mal­o­ja und beantragten, die angemelde­ten Forderun­gen seien in der drit­ten (und zu einem Teil in der ersten) Klasse zu kol­lozieren. Mit Entscheid vom 22. März 2022 entsch­ied das Region­al­gericht u.a., dass ein Teil der angemelde­ten Forderun­gen als ran­grück­tritts­be­lastete Forderun­gen drit­ter Klasse zu kol­lozieren ist. Dage­gen erhoben die Gläu­biger Beru­fung, die das Kan­ton­s­gericht Graubün­den mit Entscheid vom 27. Mai 2024 (eröffnet am 5. Juni 2024). Das Kan­ton­s­gericht Graubün­den erwog u.a. Fol­gen­des (E. 3):

  • Der vor­liegende Fall entspreche nicht der in (zum mass­ge­blichen Zeit­punkt gel­tenden) aArt. 725 Abs. 2 OR geregel­ten Kon­stel­la­tion, in welch­er Gesellschafts­gläu­biger ver­traglich im Rang hin­ter die anderen Gläu­biger zurück­treten. Zu entschei­den sei, wie Abhil­fe geschaf­fen werde, wenn nah­este­hende Per­so­n­en ein­er finanziell angeschla­ge­nen Gesellschaft durch Gewährung von Dar­lehen ermöglichen, weit­er am Wirtschaft­sleben teilzunehmen, ohne dass die Sit­u­a­tion der Gesellschaft dadurch grund­sät­zlich verbessert wird.
  • Nach zutr­e­f­fend­er Ansicht sei es geboten, die Forderun­gen der nah­este­hen­den Per­so­n­en in ein­er solchen Kon­stel­la­tion als nachrangig zu behan­deln. Dies gelte allerd­ings nur, wenn die Gesellschaft bei Gewährung der Dar­lehen über­schuldet gewe­sen sei. Liege keine Über­schul­dung vor, sei es grund­sät­zlich zuläs­sig, dass Gesellschaften ihre Geschäft­stätigkeit mit Hil­fe von Gesellschaf­ter­dar­lehen fortsetzten.
  • Die Erstin­stanz habe ange­ord­net, dass die Forderun­gen der Beschw­erde­führer als ran­grück­tritts­be­lastete Forderun­gen zu kol­lozieren seien. Das sei — gehe man davon aus, dass Nachrangigkeit und Über­schul­dung ein Junk­tim seien — nur zuläs­sig, wenn die Bau­un­ternehmung im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung über­schuldet gewe­sen sei. Dass die finanzielle Lage des Baugeschäfts nach­weis­lich sehr schlecht gewe­sen sei, reiche für die Anord­nung der Nachrangigkeit nicht aus. Die Beschw­erde­führer hät­ten mit der Beru­fung bean­standen kön­nen und — um die erstin­stan­zlich ange­ord­nete Nachrangigkeit abzuwen­den — bean­standen müssen, dass die mehrfach behauptete Über­schul­dung nicht nachgewiesen wor­den sei und die Vorin­stanz deshalb die Forderung der Beschw­erde­führer nicht als ran­grück­tritts­be­lastete Forderung im drit­ten Rang hätte kol­lozieren dür­fen. Weil die Beschw­erde­führer in der Beru­fung aber ger­ade nicht vortrü­gen, die Über­schul­dung als Voraus­set­zung für die ange­ord­nete Nachrangigkeit fehle, bleibe es beim erstin­stan­zlichen Entscheid.
  • Die an sich zutr­e­f­fende Bemerkung der Beschw­erde­führer, die Erstin­stanz habe nicht von einem ver­traglichen Ran­grück­tritt aus­ge­hen kön­nen, sei etwas anderes als die nicht vorge­brachte Rüge, die Nachrangigkeit hätte ohne fest­ste­hende Über­schul­dung nicht ange­ord­net wer­den dürfen.

Mit Eingabe vom 3. Juli 2024 erhoben die Gläu­biger Beschw­erde in Zivil­sachen beim Bun­des­gericht und beantragten, das Urteil des Kan­ton­s­gerichts aufzuheben und ihre Forderun­gen in der drit­ten Klasse (ohne Ran­grück­tritt) zu kol­lozieren; eventuell sei die Sache zu neuer Beurteilung an das Kan­ton­s­gericht zurückzuweisen.

Mit Urteil vom 31. März 2025 hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde der Gläu­biger gut, hob das Urteil der Vorin­stanz auf und kol­lozierte die in Frage ste­hen­den als Forderun­gen drit­ter Klasse. Die Sache wurde zur Neuregelung der Kosten des kan­tonalen Ver­fahrens an das Oberg­ericht des Kan­tons Graubün­den zurückgewiesen.


Keine Anschluss­beschw­erde vor Bun­des­gericht, aber…

In prozes­sualer Hin­sicht erwog das Bun­des­gericht, dass eine Anschluss­beschw­erde vor Bun­des­gericht zwar nicht statthaft ist, “doch kann ein Beschw­erdegeg­n­er in sein­er Antwort auf die Beschw­erde alle Beschw­erde­gründe gel­tend machen, um allfäl­lige Fehler der kan­tonalen Entschei­dung zu rügen, die ihm im Falle ein­er abwe­ichen­den Beurteilung der Sache durch das Bun­des­gericht nachteilig sein kön­nten (…). Er unter­liegt dabei den gle­ichen Begrün­dungs- und Rügean­forderun­gen wie die beschw­erde­führende Partei” (E. 2.3).


Begrün­dungsan­forderun­gen

Die Konkurs­masse der F AG machte vor Bun­des­gericht gel­tend, dass die Begrün­dung der Beschw­erde unzure­ichend sei (E. 4.2). Das Bun­des­gericht erwog, dass die Beschw­erde den Begrün­dungsan­forderun­gen genügt (E. 4.3.1):

Der Beschw­erde lässt sich ohne Weit­eres ent­nehmen, dass der Vorin­stanz vorge­wor­fen wird, ein­er­seits fest­gestellt zu haben, dass der Ein­tritt ein­er Über­schul­dung nicht gek­lärt sei, ander­er­seits bei der Recht­san­wen­dung aber vom Vor­liegen ein­er Über­schul­dung aus­ge­gan­gen zu sein. Die Beschw­erde­führer bean­standen mithin wider­sprüch­liche Sachver­halt­san­nah­men inner­halb des ange­focht­e­nen Entschei­ds. Dass die Vorin­stanz den Beschw­erde­führern ent­ge­genge­hal­ten hat, die fehlende Über­schul­dung nicht dargelegt zu haben, ändert — ent­ge­gen der Argu­men­ta­tion der Beschw­erdegeg­ner­in — nichts an der Entschei­drel­e­vanz der Über­schul­dung. Der Ran­grück­tritt set­zt nach den Erwä­gun­gen der Vorin­stanz eine Über­schul­dung voraus. Bei fehlen­der Über­schul­dung fehlt dem­nach die sachver­haltliche Grund­lage für einen Ran­grück­tritt. Die Beschw­erde­führer weisen (unter dem Titel “Keine Über­schul­dung”) darauf hin, das Kan­ton­s­gericht habe sel­ber zutr­e­f­fend fest­ge­hal­ten, dass die Erstin­stanz sich nicht auf das mass­gebende Kri­teri­um — die Über­schul­dung — berufen kon­nte und dies zur Anord­nung der Kol­loka­tion in der drit­ten Klasse hät­ten führen müssen, da eine Über­schul­dung nicht bewiesen sei. Auch wenn die Beschw­erde­führer nicht auf die rechtlichen Erwä­gun­gen zum Ran­grück­tritt einge­hen (son­dern diese bestäti­gen), set­zen sie sich daher hin­re­ichend mit dem ange­focht­e­nen Entscheid auseinan­der. Daran ändert auch der Ver­weis der Beschw­erdegeg­ner­in auf die Fest­stel­lung eines kon­klu­den­ten bzw. “ungeschriebe­nen” Ran­grück­tritts im erstin­stan­zlichen Entscheid nichts. Die erste Instanz, deren Entscheid ohne­hin nicht Anfech­tung­sob­jekt des bun­des­gerichtlichen Ver­fahrens bildet, hat die Forderun­gen der Beru­fungskläger auf­grund der prekären finanziellen Sit­u­a­tion der Gesellschaft aus rechtlichen Grün­den — mithin nicht wegen eines tat­säch­lich erk­lärten Ran­grück­tritts — als nachrangig behandelt.”


Berechtigte Willkür­rüge: Eine Über­schul­dung im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung war nicht erstellt

In diesem Zusam­men­hang kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass die von den Gläu­bigern erhobene Wilkür­rüge, die auf eine Rüge der Ver­let­zung von Art. 57 ZPO hin­aus­lief, begrün­det ist (E. 4.3.2):

  • Aus den vorin­stan­zlichen Fest­stel­lun­gen ergibt sich, dass wed­er die Über­schul­dung der Gesellschaft noch deren Zeit­punkt gek­lärt bzw. belegt wor­den sind.
  • Soweit die Beschw­erdegeg­ner­in vorträgt, das erstellte Tat­sachen­fun­da­ment lasse eine Über­schul­dung als über­aus wahrschein­lich erscheinen und bei der Über­schul­dung han­dle es sich um einen Rechts­be­griff, ändert das nichts daran, dass die tat­säch­lichen Voraus­set­zun­gen der Über­schul­dung nach diesen Fest­stel­lun­gen nicht erstellt sind.
  • Die Vorin­stanz hält den Beschw­erde­führern indessen ent­ge­gen, sie hät­ten bean­standen müssen, dass die Über­schul­dung nicht nachgewiesen wor­den sei und die Erstin­stanz ihre Forderun­gen deshalb nicht als ran­grück­tritts­be­lastete Forderun­gen im drit­ten Rang hätte kol­lozieren dürfen.
  • Abge­se­hen von offen­sichtlichen Män­geln beschränkt sich die Über­prü­fung durch die Beru­fungsin­stanz zwar darauf, die Bean­stan­dun­gen zu beurteilen, welche die Parteien in ihren schriftlichen Begrün­dun­gen (Art. 311 Abs. 1 und Art. 312 Abs. 1 ZPO) gegen das erstin­stan­zliche Urteil erheben (…). Das bedeutet jedoch nicht, dass die Beru­fungsin­stanz von ihren eige­nen Sachver­halts­fest­stel­lun­gen oder ihrer im Urteil geäusserten Recht­sauf­fas­sung abwe­ichen darf mit der Begrün­dung, eine Partei habe keine entsprechen­den Rügen vor­ge­tra­gen. Wenn die Vorin­stanz fest­gestellt hat, dass die Über­schul­dung nicht erstellt ist, hätte sie das Recht auf diesen Sachver­halt anwen­den müssen.
  • In rechtlich­er Hin­sicht hat die Vorin­stanz erwogen, dass die Forderun­gen bei fehlen­der Über­schul­dung (ohne Ran­grück­tritt) in der drit­ten Klasse zu kol­lozieren gewe­sen wären. Da die Vorin­stanz sel­ber von dieser Recht­slage bei fehlen­der Über­schul­dung aus­ge­gan­gen ist und genü­gend Anlass zur Prü­fung der Rechts­frage gese­hen hat, kann sie den Beschw­erde­führern nicht ent­ge­gen­hal­ten, hierzu keine Aus­führun­gen gemacht zu haben, zumal sie das Recht von Amtes wegen anzuwen­den hat­te (Art. 57 ZPO).

Der bean­standete Man­gel war für das Bun­des­gericht rel­e­vant für den Aus­gang des Ver­fahrens. weshalb sich die Willkür­rüge auch in der Sache als begrün­det erwies. Das Bun­des­gericht erwog, dass der Recht­san­wen­dung in tat­säch­lich­er Hin­sicht zugrunde zu leg­en ist, und dass eine Über­schul­dung der Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung nicht erstellt war.


Kol­loka­tion von Dar­lehen, die von nah­este­hen­den Per­so­n­en gewährt wurden

Zeit­punkt des Entschei­ds über den Rangrücktritt

Zunächst rief das Bun­des­gericht in Erin­nerung, dass über den Ran­grück­tritt bei der Kol­loka­tion und nicht erst bei der Verteilung zu entschei­den ist (E. 5.1).

Der Ran­grück­tritt im Schweiz­er Recht

Das Bun­des­gericht stellte fest, dass die Frage, ob und unter welchen Voraus­set­zun­gen Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en im Konkurs nachrangig zu behan­deln sind, im schweiz­erischen Recht nicht aus­drück­lich geregelt ist. Mit dem Ran­grück­tritt befasste sich im Zeit­punkt der vor­liegend strit­ti­gen Dar­lehens­gewährung einzig aArt. 725 Abs. 2 OR (der nun durch Art. 725b Abs. 4 Ziff. 1 OR erset­zt wurde). Beim in dieser Bes­tim­mung geregel­ten Ran­grück­tritt han­delt es sich um einen Ver­trag zwis­chen dem Gläu­biger und der Gesellschaft. Das Bun­des­gericht präzisierte jedoch, dass es bei der vor­liegen­den Fragestel­lung um die Frage geht, ob und unter welchen Voraus­set­zun­gen eine Dar­lehens­forderung unab­hängig von einem entsprechen­den Willen des Gläu­bigers im Konkurs mit einem Ran­grück­tritt belastet ist (E. 5.4).

Kol­lozierung von Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en an notlei­dende Gesellschaften

Beim Vor­liegen eines Rechtsmissbrauchs

In der Folge set­zte sich das Bun­des­gericht mit der Kol­lozierung von Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en an notlei­dende Gesellschaften auseinan­der und stellte fest, dass solche Dar­lehen in der Lit­er­atur als prob­lema­tisch erachtet wer­den, da sie der Gesellschaft die weit­ere Teil­nahme am Wirtschaft­sleben ohne wirk­liche Sanierung ermöglichen , wodurch Gläu­biger bere­its beste­hen­der und neuer Forderun­gen geschädigt wer­den kön­nen. Um dieser Prob­lematik zu begeg­nen, wird zum Teil vorgeschla­gen, kap­i­taler­set­zende Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen in Eigenkap­i­tal umzuqual­i­fizieren. Für einen anderen Teil der Lehre sind solche Forderun­gen unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen als nachrangig, d.h. den Forderun­gen der drit­ten Klasse (vgl. Art. 219 Abs. 4 SchKG) nachge­hend zu behan­deln. Das Bun­des­gericht stellte fest, dass unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen auch bezüglich der dog­ma­tis­chen Begrün­dung und der Voraus­set­zun­gen ein­er Umqual­i­fizierung bzw. nachrangi­gen Behand­lung von Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en beste­hen (E. 5.5).

In sein­er bish­eri­gen Recht­sprechung hat­te das Bun­des­gericht es abgelehnt, Aktionärs­dar­lehen in Kap­i­talein­la­gen umzuqual­i­fizieren, da diese Betra­ch­tungsweise dem gel­tenden schweiz­erischen Recht fremd sei (E. 5.6). Die Frage, ob Aktionärs­dar­lehen unter bes­timmten Voraus­set­zun­gen hin­ter die anderen Forderun­gen zurück­zutreten hät­ten, weil von einem kon­klu­den­ten Ran­grück­tritt auszuge­hen sei, liess es zudem offen. In einem Entscheid hielt das Bun­des­gericht weit­er fest, dass auch Forderun­gen von Aktionären gegenüber der eige­nen Gesellschaft als Fremd­kap­i­tal zu behan­deln und — unter Vor­be­halt des Rechtsmiss­brauchs — von dieser entsprechend zu erfüllen sind (E. 5.6).

Daraufhin prüfte das Bun­des­gericht, ob und inwiefern das Ver­bot des offe­nen Rechtsmiss­brauchs auf die Frage der Kol­lozierung Dar­lehens­forderun­gen nah­este­hen­der Per­so­n­en Anwen­dung find­et. In diesem Zusam­men­hang set­zte sich das Bun­des­gericht mit Lehre und kan­tonaler Recht­sprechung auseinan­der (E. 5.7.2):

Ein Teil der Lit­er­atur und der kan­tonalen Recht­sprechung bejaht einen Rechtsmiss­brauch in der Form wider­sprüch­lichen Ver­hal­tens, wenn ein Gesellschafter der notlei­den­den Gesellschaft ein Dar­lehen zur Weit­er­führung der Geschäft­stätigkeit gewährt, dann aber im Konkurs auf der Kol­loka­tion sein­er Forderung beste­ht (…). Unter­schiedliche Auf­fas­sun­gen beste­hen bezüglich der Voraus­set­zun­gen, unter denen Rechtsmiss­brauch gegeben ist: Nach ein­er Auf­fas­sung ist dies der Fall, wenn ein aussen­ste­hen­der Drit­ter den Kred­it nach Umfang, Aus­gestal­tung und Zeit­punkt nicht zu den gle­ichen Bedin­gun­gen gewährt hätte (sog. “Drittmannstest”) oder wenn das Dar­lehen in einem Zeit­punkt gewährt wor­den ist, in welchem nur noch die Leis­tung ein­er Kap­i­talein­lage sanierende Wirkung ent­fal­tet hätte (sog. “Sanierung­stest”;…). Eine andere Mei­n­ung nimmt Rechtsmiss­brauch an, wenn ein Aktionär oder eine Konz­ernge­sellschaft ein­er im Sinn von aArt. 725 Abs. 1 OR (vgl. für das gel­tende Recht Art. 725a Abs. 1 OR) unterkap­i­tal­isierten Gesellschaft in Ken­nt­nis der Unterkap­i­tal­isierung ein neues Dar­lehen gewährt, ohne dass gle­ichzeit­ig die dort geforderten Sanierungss­chritte unter­nom­men wer­den (…). Nach ein­er weit­eren Auf­fas­sung ist darauf abzustellen, ob die Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung über­schuldet war (…).”

Das Bun­des­gericht stellte fest, dass die Frage, ob die Forderung­seingabe eines der Gesellschaft nah­este­hen­den Dar­lehens­ge­bers im Konkurs als rechtsmiss­bräuch­lich beurteilt wird oder nicht, sich auf die Konkurs­div­i­dende der anderen Gläu­biger auswirkt, weshalb für die Bejahung eines Rechtsmiss­brauchs vorauszuset­zen ist, dass der nah­este­hende Gläu­biger durch die Dar­lehens­gewährung bei diesen schutzwürdi­ges Ver­trauen begrün­det und in der Folge durch die Anmel­dung der Forderung zur Kol­loka­tion ent­täuscht (E. 5.7.3).

Gemäss Bun­des­gericht beste­ht jedoch abge­se­hen von der Über­schul­dung keine geset­zliche Grund­lage, auf die sich ein schutzwürdi­ges Ver­trauen der Gläu­biger darauf, dass sich eine Gesellschaft nicht in finanziellen Schwierigkeit­en befind­et, stützen kön­nte. Solange eine Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung nicht über­schuldet ist, erscheinen die Dar­lehens­gewährung und die spätere Gel­tend­machung der Forderung im Konkurs daher nicht als offen­bar rechtsmiss­bräuch­lich (E. 5.7.3):

Gemäss aArt. 725 Abs. 1 OR beruft der Ver­wal­tungsrat unverzüglich eine Gen­er­alver­samm­lung ein und beantragt ihr Sanierungs­mass­nah­men, wenn die let­zte Jahres­bi­lanz zeigt, dass die Hälfte des Aktienkap­i­tals und der geset­zlichen Reser­ven nicht mehr gedeckt ist. Gemäss dem ersten Satz von aArt. 725 Abs. 2 OR muss eine Zwis­chen­bi­lanz erstellt und diese einem zuge­lasse­nen Revi­sor zur Prü­fung vorgelegt wer­den, wenn begrün­dete Besorg­nis ein­er Über­schul­dung beste­ht. Diese Bes­tim­mungen regeln, was in den betr­e­f­fend­en Sit­u­a­tio­nen vorzukehren ist, sie ver­mö­gen bei den Gläu­bigern — auch wenn diese auf ein pflicht­gemäss­es Ver­hal­ten der Organe der Gesellschaft ver­trauen dür­fen — jedoch kein schutzwürdi­ges Ver­trauen zu begrün­den, dass bei ein­er am Rechtsverkehr teil­nehmenden Gesellschaft zumin­d­est die Hälfte des Aktienkap­i­tals gedeckt ist bzw. keine begrün­dete Besorg­nis zur Über­schul­dung beste­ht …). Schutzwürdi­ges Ver­trauen, dass sich eine Gesellschaft nicht in finanziellen Schwierigkeit­en befind­et, wird ins­beson­dere auch nicht dadurch begrün­det, dass ihr eine nah­este­hende Per­son ein Dar­lehen gewährt, das eine aussen­ste­hende Per­son nicht gewähren würde (Drittmannstest) oder dass das Dar­lehen in einem Zeit­punkt gewährt wor­den ist (Sanierung­stest), in welchem nur noch die Leis­tung ein­er Kap­i­talein­lage sanierende Wirkung ent­fal­tet hätte (…). Solange eine Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung nicht über­schuldet ist, erscheinen die Dar­lehens­gewährung und die spätere Gel­tend­machung der Forderung im Konkurs daher nicht als offen­bar rechtsmiss­bräuch­lich. Ent­ge­gen den Vor­brin­gen der Beschw­erdegeg­ner­in lässt sich im Nach­hinein auch dann fest­stellen, ob die Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung über­schuldet war, wenn pflichtwidrig keine Zwis­chen­bi­lanz erstellt wor­den ist (…).”

Im konkreten Fall kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass sich die Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung zwar in ein­er gefährde­ten finanziellen Lage befand und dass die Gläu­biger darum wussten. Gemäss Bun­des­gericht war es auch erstellt, dass eine aussen­ste­hende Drittper­son die Dar­lehen in dieser Form nicht gewährt hätte. Gemäss den vorin­stan­zlichen Sachver­halts­fest­stel­lun­gen stand jedoch fest, dass die Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung nicht über­schuldet war und verneinte daher das Vor­liegen eines Rechtsmiss­brauchs (E. 5.7.4):

Dass sich die Gesellschaft in ein­er schwieri­gen finanziellen Sit­u­a­tion befand und dass eine aussen­ste­hende Drittper­son die Dar­lehen in dieser Form nicht gewährt hätte, reicht nicht aus, um die Dar­lehens­gewährung und die spätere Anmel­dung der Forderung zur Kol­loka­tion als miss­bräuch­lich erscheinen zu lassen (vgl. E. 5.7.3). Auch die Über­tra­gung mehrerer Liegen­schaften auf die Beschw­erde­führerin 1 und der damit ver­bun­dene Ver­mö­gens­abfluss im Jahr 2015 lässt die Kol­loka­tion der später, in den Jahren 2016, 2017 und 2018, gewährten Dar­lehen nicht ohne Weit­eres als offen­bar rechtsmiss­bräuch­lich erscheinen. Die Beschw­erdegeg­ner­in bringt vor, das Kri­teri­um der Über­schul­dung sei ungeeignet, da es für den nah­este­hen­den Gläu­biger viele Gründe geben könne, einen Konkurs zu verzögern, beispiel­sweise um — wie im vor­liegen­den Fall behauptet — die Ver­dachts­frist ein­er Pau­liana (Art. 285 ff. SchKG) auszusitzen. Die weit­ere Teil­nahme am Rechtsverkehr als solche ver­mag jedoch — wie gesagt — bei fehlen­der Über­schul­dung keinen für ein wider­sprüch­lich­es Ver­hal­ten erforder­lichen Ver­trauen­statbe­stand zu schaf­fen. Im Ergeb­nis ist unter dem Gesicht­spunkt des Rechtsmiss­brauchs daher nicht als bun­desrechtswidrig zu bean­standen, dass die Vorin­stanz die Nachrangigkeit der angemelde­ten Forderun­gen von ein­er Über­schul­dung der Gesellschaft im Zeit­punkt der Dar­lehens­gewährung abhängig gemacht hat.”

Bei einem kon­klu­den­ten Rangrücktritt

In der Folge set­zte sich das Bun­des­gericht mit der weit­eren Frage auseinan­der, ob ein kon­klu­dente Ran­grück­tritt vor­liegt, was es konkreten Fall verneinte. Soweit den Erk­lärun­gen keine Anhalt­spunk­te für einen entsprechen­den mut­masslichen Willen zu ent­nehmen sind, ist gemäss Bun­des­gericht nicht davon auszuge­hen, dass der Dar­lehens­ge­ber mit einem ihn belas­ten­den Ran­grück­tritt zugun­sten Drit­ter ein­ver­standen ist. (E. 5.8.2–5.8.4):

5.8.2 Bei einem kon­klu­dent bzw. impliz­it vere­in­barten Ran­grück­tritt han­delt es sich um einen Ver­trag zwis­chen dem Dar­lehens­gläu­biger und der Gesellschaft (…). Gemäss Art. 18 Abs. 1 OR bes­timmt sich der Inhalt des Ver­trags nach dem übere­in­stim­menden wirk­lichen Willen der Parteien. Die empirische oder sub­jek­tive Ausle­gung hat gegenüber der nor­ma­tiv­en oder objek­tivierten Ver­tragsausle­gung Vor­rang (…). Diese sub­jek­tive Ver­tragsausle­gung beruht auf Beweiswürdi­gung, die vor­be­hältlich der Aus­nah­men von Art. 97 und 105 BGG der bun­des­gerichtlichen Über­prü­fung ent­zo­gen ist (…). Wenn der übere­in­stim­mende wirk­liche Wille der Parteien unbe­wiesen bleibt, sind zur Ermit­tlung des mut­masslichen Partei­wil­lens die Erk­lärun­gen der Parteien auf­grund des Ver­trauen­sprinzips so auszule­gen, wie sie nach ihrem Wort­laut und Zusam­men­hang sowie den gesamten Umstän­den ver­standen wer­den durften und mussten (…). Dabei ist vom Wort­laut der Erk­lärun­gen auszuge­hen, welche jedoch nicht isoliert, son­dern aus ihrem konkreten Sin­nge­füge her­aus zu beurteilen sind (…). Das Gericht hat auch den vom Erk­lären­den ver­fol­gten Regelungszweck zu beacht­en, wie ihn der Erk­lärungsempfänger in guten Treuen ver­ste­hen durfte und musste. Dabei ist für den Regelfall anzunehmen, dass der Erk­lärungsempfänger davon aus­ge­hen durfte, der Erk­lärende strebe eine vernün­ftige, sachgerechte Regelung an (…). Das Bun­des­gericht über­prüft die objek­tivierte Ausle­gung von Wil­lenserk­lärun­gen als Rechts­frage, wobei es an Fest­stel­lun­gen des kan­tonalen Gerichts über die äusseren Umstände sowie das Wis­sen und Wollen der Beteiligten grund­sät­zlich gebun­den ist (…).

5.8.3. Ein Ran­grück­tritt auf­grund eines übere­in­stim­menden wirk­lichen Wil­lens der Parteien set­zt voraus, dass ein entsprechen­der wirk­lich­er Wille fest­ste­ht. Die Vorin­stanz hat keinen tat­säch­lichen Willen der Parteien fest­gestellt, die Forderun­gen der Beschw­erde­führer im Rang hin­ter andere Forderun­gen zurück­treten zu lassen. Die Beschw­erdegeg­ner­in legt ihre eigene Sicht dar und argu­men­tiert, andere Lösun­gen als ein Ran­grück­tritt seien nicht angemessen und ver­let­zten diverse Nor­men. Damit bringt sie jedoch keine den Anforderun­gen von Art. 106 Abs. 2 BGG genü­gende Sachver­halt­srüge (…) vor. Ein Ran­grück­tritt kann vor­liegend daher nicht auf den wirk­lichen Partei­willen gestützt werden.

5.8.4. Aus den mass­ge­blichen Sachver­halts­fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz ergibt sich nicht, dass die Parteien vor oder bei Abschluss der Dar­lehensverträge Erk­lärun­gen zur Frage eines allfäl­li­gen Ran­grück­tritts abgegeben hät­ten. Durch den Dar­lehensver­trag regeln die Ver­tragsparteien eine Rechts­beziehung untere­inan­der: Der Dar­lei­her verpflichtet sich zur Über­tra­gung des Eigen­tums an ein­er Summe Geldes oder an anderen vertret­baren Sachen, der Borg­er dage­gen zur Rück­er­stat­tung von Sachen der näm­lichen Art in gle­ich­er Menge und Güte (Art. 312 OR). Ein Ran­grück­tritt des Dar­lehens­ge­bers wirkt sich zugun­sten der anderen Gläu­biger und damit am Ver­trag nicht beteiligter Drit­ter aus. Soweit den Erk­lärun­gen keine Anhalt­spunk­te für einen entsprechen­den mut­masslichen Willen zu ent­nehmen sind, ist nicht davon auszuge­hen, dass der Dar­lehens­ge­ber mit einem ihn belas­ten­den Ran­grück­tritt zugun­sten Drit­ter ein­ver­standen ist. Wäre auf der andern Seite dem Dar­lehen­snehmer an einem Ran­grück­tritt gele­gen, so wäre zu erwarten, dass er die Frage anspricht. An den fehlen­den Anhalt­spunk­ten für einen entsprechen­den mut­masslichen Willen ändert nichts, dass ab 2016 Liq­uid­ität­sprob­leme der Gesellschaft notorisch waren, ab Ende 2016 der Konkurs der Gesellschaft ein ern­sthaftes Risiko gewe­sen ist und die Beschw­erde­führer bestätigt haben, dass mit­tels der Dar­lehen die Weit­er­führung der Gesellschaft habe sichergestellt wer­den sollen. Der von der Beschw­erdegeg­ner­in ange­führte Gesicht­spunkt, wonach im Regelfall davon auszuge­hen ist, die Parteien strebten eine vernün­ftige, sachgerechte Regelung an, ist ein Ele­ment im Rah­men der Ausle­gung nach dem Ver­trauen­sprinzip, jedoch nicht allein mass­ge­blich. Soweit die Beschw­erdegeg­ner­in im Übri­gen vor­bringt, ein Dar­lehen ohne Ran­grück­tritt hätte eine treuwidrige und vorsät­zliche Schädi­gung der Gläu­biger zur Folge und wäre zudem nach aArt. 725 Abs. 2 OR pflichtwidrig, stellt der ange­focht­ene Entscheid die tat­säch­lichen Grund­la­gen für diese rechtliche Würdi­gung nicht fest (…). Der Ran­grück­tritt kann vor­liegend daher auch nicht auf einen nach dem Ver­trauen­sprinzip ermit­tel­ten mut­masslichen Partei­willen gestützt werden.”

Keine Geset­zes­lücke

Schliesslich erwog das Bun­des­gericht, dass keine Geset­zes­lücke beste­ht, die zu füllen wäre (E. 5.9.3):

Mit Blick auf die Geset­zge­bungsar­beit­en im Sanierungs- und Gesellschaft­srecht beste­ht kein Grund zur Annahme, der Geset­zge­ber habe die Frage, wie Dar­lehen nah­este­hen­der Per­so­n­en im Konkurs zu behan­deln sind, überse­hen. Es ist vielmehr davon auszuge­hen, dass er bewusst auf eine Regelung verzichtet und das Ver­bot des Rechtsmiss­brauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB) als kor­rigieren­den “Not­be­helf” im Einzelfall als hin­re­ichend betra­chtet hat, um einen nah­este­hen­den Gesellschafts­gläu­biger in den Nachrang zu ver­set­zen. Zufolge qual­i­fizierten Schweigens bleibt somit kein Raum für eine Lück­en­fül­lung durch das Gericht (…). Eine nachrangige Behand­lung der strit­ti­gen Dar­lehen gestützt auf Art. 1 Abs. 2 ZGB schei­det aus.”