4A_428/2014: Verantwortlichkeit von Verwaltungsräten nach Art. 41 OR, direkter Schaden, Kauselzusammenhang (amtl. Publ.)

Hin­ter­grund dieses Urteils bildete die Klage eines Arbeit­nehmers gegen die Ver­wal­tungsräte sein­er ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­berin. Die Gesellschaft hat­te die Ver­sicherung­sprämien für die Kollek­tiv-Kranken­taggeld­ver­sicherung nicht geleis­tet, mit der Folge, dass sich der Ver­sicher­er weigerte, die Kranken­taggelder für den Arbeit­nehmer auszuzahlen. Neben den Ver­wal­tungsräten fasste der Arbeit­nehmer auch seine ehe­ma­lige Arbeit­ge­berin ins Recht. Den mit­tels Ver­gle­ich mit Let­zteren ver­sproch­enen Betrag erhielt der Arbeit­nehmer indes nur in einem gerin­gen Umfang, da über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet wurde.

Die Erstin­stanz erwog, die Ver­wal­tungsräte hät­ten den beim Arbeit­nehmer einge­trete­nen Schaden zu ver­ant­worten. Sie kam zum Schluss, dass die Voraus­set­zun­gen gemäss Art. 754 OR erfüllt waren und hiess die gegen die Ver­wal­tungsräte ein­gere­ichte Klage gut. Die Rechtsmit­telin­stanz schützte das Urteil. In materieller Hin­sicht erwog es, dass die Ver­wal­tungsräte ihre Pflicht­en, ins­beson­dere ihre Sorgfalts- und Treuepflicht gemäss Art. 717 OR, ver­let­zt hatten.

Das Bun­des­gericht rief zunächst den Hin­ter­grund sowie die Recht­snatur des Kollek­tiv-Kranken­taggeld­ver­sicherungsver­trags in Erin­nerung. Die Arbeit­ge­berin bzw. deren Ver­wal­tungsräte hat­ten gestützt auf Art. 324a Abs. 4 OR für ihre Arbeit­nehmer eine Kollek­tiv-Kranken­taggeld­ver­sicherung abgeschlossen, welche den Regeln des VVG unter­stand (E. 4.1 und E. 4.2).

Das Bun­des­gericht wies anschliessend auf das selb­ständi­ge Forderungsrecht des Arbeit­nehmers, zu dessen Gun­sten eine Kollek­tiv-Kranken­taggeld­ver­sicherung abgeschlossen wor­den ist, gegenüber der Ver­sicherung hin; ver­gle­ich­bar mit einem Ver­trag zugun­sten Drit­ter gemäss Art. 112 Abs. 2 OR. Der Arbeit­nehmer wird dadurch, so das Bun­des­gericht weit­er, jedoch nicht Partei des Ver­sicherungsver­trags. Vielmehr verbleibt die Arbeit­ge­berin als Ver­sicherungsnehmerin Schuld­ner­in der Ver­sicherung­sprämien und erfüllt eine admin­is­tra­tive Auf­gabe (E. 4.3 und E. 4.4):

Le fait que le pre­neur d’as­sur­ance (employeur) et l’as­sureur puis­sent con­venir du verse­ment des indem­nités jour­nal­ières à l’em­ployeur ne change rien aux con­sid­éra­tions qui précè­dent. Ce type de claus­es con­tractuelles n’a trait qu’aux modal­ités d’en­caisse­ment des coti­sa­tions et de verse­ment des indem­nités jour­nal­ières. Dans l’un et l’autre cas, le pre­neur d’as­sur­ance (employeur de l’as­suré) accom­plit une tâche admin­is­tra­tive définie par le con­trat d’as­sur­ance, en ce sens qu’il lui appar­tient, d’une part de vers­er les coti­sa­tions d’as­sur­ance à la caisse — ce qui ne sig­ni­fie pas que c’est lui qui les paie effec­tive­ment ou entière­ment — et d’autre part d’en­caiss­er les indem­nités jour­nal­ières, lesquelles sont cepen­dant dues à l’as­suré, et non pas à lui (…).

Die Arbeit­ge­berin, welche ihren Pflicht­en aus dem Ver­sicherungsver­trag nicht nachkommt, haftet gegenüber dem Arbeit­nehmer und hat ihm den erlit­te­nen Schaden, beste­hend aus den nicht aus­bezahlten Ver­sicherungsleis­tun­gen, zu erset­zen. Der Arbeit­nehmer fasste denn auch im vor­liegen­den Fall seine ehe­ma­lige Arbeit­ge­berin gestützt auf Art. 97 OR ins Recht (E. 4.5).

Strit­tig vor Bun­des­gericht war in diesem Ver­fahren die Frage, gestützt auf welche Rechts­grund­lage der Arbeit­nehmer die Ver­wal­tungsräte sein­er ehe­ma­li­gen Arbeit­ge­berin ins Recht fassen kon­nte. Das Bun­des­gericht rief BGE 132 III 564 E. 3.1 in Erin­nerung, wonach die Klage, über die ein Gesellschafts­gläu­biger den Orga­nen ein­er Gesellschaft gegenüber ver­fügt, von der Art des erlit­te­nen Schadens abhängt und wonach dies­bezüglich drei Sit­u­a­tio­nen denkbar sind (E. 5.2):

  • der Gläu­biger kann durch das Ver­hal­ten der Organe einen direk­ten Schaden erlei­den, unter Auss­chluss jeglichen der Gesellschaft verur­sacht­en Schadens;
  • der Gläu­biger erlei­det einen indi­rek­ten/mit­tel­baren/Re­flex-Schaden, weil er auf­grund der Zahlung­sun­fähigkeit der Gesellschaft (bed­ingt durch das Ver­hal­ten eines Ver­wal­tungsrats) seine Forderun­gen nicht oder nur teil­weise gegenüber der Gesellschaft gel­tend machen kann;
  • in sel­te­nen Fällen führt das Ver­hal­ten der Organe zu einem direk­ten Schaden für den Gläu­biger und gle­ichzeit­ig zu einem direk­ten Schaden für die Gesellschaft. In einem solchen Fall beschränk­te das Bun­des­gericht in sein­er Recht­sprechung das Klagerecht des Gläu­bigers auf diejeni­gen Fälle, in denen dieser seine Klage mit ein­er uner­laubten Hand­lung (Art. 41 OR), ein­er cul­pa in con­tra­hen­do oder ein­er auss­chliesslich zum Schutz der Gläu­biger konzip­ierten Bes­tim­mung des Gesellschaft­srechts begrün­den kann.

Im vor­liegen­den Fall erwog das Bun­des­gericht, dass der Arbeit­nehmer einen direk­ten Schaden erlit­ten hat­te, der durch die uner­laubten Hand­lun­gen der Ver­wal­tungsräte (Nicht­bezahlen der Ver­sicherung­sprämien) verur­sacht wurde. Gle­ichzeit­ig wurde auf­grund der uner­laubten Hand­lun­gen der Ver­wal­tungsräte auch die Gesellschaft geschädigt, da sich mit ihrer Schaden­er­satzpflicht gegenüber dem Arbeit­nehmer ihre Pas­siv­en erhöht­en (E. 5.4.3).

Das Bun­des­gericht kam dabei zum Schluss, dass sich vor­liegend nicht die Frage stellt, ob ein Ver­stoss von Art. 717 OR oder Art. 754 OR vor­liegt, son­dern dass sich der Arbeit­nehmer klar auf Art. 41 OR stützen kon­nte und gestützt auf diese Bes­tim­mung — gemäss der drit­ten vor­ge­nan­nten Vari­ante — ein eigenes Klagerecht gegen die Ver­wal­tungsräte gel­tend machen kon­nte (E. 5.3.3. und E. 6.1):

Elle [la cour can­tonale] sem­ble plac­er son raison­nement dans la per­spec­tive de la vio­la­tion du devoir de dili­gence des admin­is­tra­teurs (art. 717 CO en lien avec l’art. 754 CO) (…). Il n’y a toute­fois pas lieu de tranch­er la ques­tion sous cet angle, la respon­s­abil­ité des organes étant claire­ment engagée sous l’an­gle de l’art. 41 CO.

Das Bun­des­gericht ver­wies dazu auf die von ihr vertretene objek­tive Wider­rechtlichkeit­s­the­o­rie, gemäss welch­er bei — wie vor­liegend — rein wirtschaftlichen Nachteilen eine Schutznorm ver­let­zt sein muss. Die eingeklagten Ver­wal­tungsräte waren wegen Miss­brauchs von Lohn­abzü­gen (Art. 159 StGB) verurteilt wor­den. Diese Geset­zes­bes­tim­mung schützt das Ver­mö­gen des Arbeit­nehmers und stellt damit eine Schutznorm dar, deren Ver­let­zung eine uner­laubte Hand­lung gemäss Art. 41 OR darstellt (E. 6.2).