4A_433/2019: Gerichtsstandsvereinbarungen bei kartellrechtlichen Ansprüchen

Dieses Urteil bot dem Bun­des­gericht Gele­gen­heit, sich zu Gerichts­standsvere­in­barun­gen im Zusam­men­hang mit kartell­rechtlichen Stre­it­igkeit­en zu äussern.

Hin­ter­grund war (vere­in­facht) die Klage ein­er Garage mit Sitz in der Schweiz gegen eine Auto­her­stel­lerin mit Sitz in Ital­ien. Die bei­den Parteien hat­ten im Zusam­men­hang mit Ver­hand­lun­gen über den Abschluss eines Exk­lu­sivver­trieb­ver­trags einen Let­ter of Intent («LOI») unterze­ich­net, in welchem unter anderem fest­ge­hal­ten wurde, dass für sämtliche aus diesem LOI resul­tierende Stre­it­igkeit­en auss­chliesslich ein Gericht in Ital­ien zuständig sei (E. A). Nach­dem die im LOI angestrebte ver­tragliche Beziehung nicht zus­tande kam, klagte die Garage beim Oberg­ericht des Kan­tons Solothurn gegen die Auto­her­stel­lerin auf Abschluss eines Werk­stattver­trags. Dabei berief sie sich auf «ihren kartell­rechtlichen Anspruch der unzuläs­si­gen Ver­weigerung ein­er Geschäfts­beziehung gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. a KG». Das Oberg­ericht trat auf die Klage man­gels örtlich­er Zuständigkeit nicht ein. Es begrün­dete dies damit, dass der auch für Wider­hand­lun­gen gegen das Kartell­recht anwend­bare Delik­ts­gericht­stand gemäss Art. 5 Zif­fer 3 LugÜ nicht zwin­gend sei, weshalb die Parteien im LOI die Zuständigkeit der ital­ienis­chen Gerichte gültig hät­ten vere­in­baren kön­nen (E. B). Das Bun­des­gericht wies die von der Garage erhobene Beschw­erde ab.

Die Garage rügte zunächst erfol­g­los, das Oberg­ericht hätte den Grund­satz «iura novit curia» ver­let­zt, indem es Art. 7 Abs. 2 lit. c KG nicht von Amtes wegen angewen­det und nicht geprüft hätte, ob die Gerichts­standsvere­in­barung im LOI unter dem Gesicht­spunkt dieser Bes­tim­mung zuläs­sig sei (E. 4.1.1). Dies­bezüglich wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass die Garage diesen Ein­wand im vorin­stan­zlichen Ver­fahren nicht vorge­bracht hätte. Inwiefern neue Rügen erst­mals vor Bun­des­gericht vorge­bracht wer­den kön­nten, sei vor­liegend nicht im Einzel­nen zu klären, da eine neue Recht­srüge im bun­des­gerichtlichen Ver­fahren in jedem Fall nur zuläs­sig sei, wenn sie nicht auf ein­er unzuläs­si­gen Ausweitung des vorin­stan­zlich fest­gestell­ten Sachver­halts beruhe (E. 4.1.2). Die von der Garage in diesem Zusam­men­hang vorge­bracht­en Dar­legun­gen wür­den indessen in den vorin­stan­zlichen Sachver­halts­fest­stel­lun­gen keine Stütze find­en und die Garage habe keine entsprechen­den Sachver­halt­srü­gen vorgebracht.

Die Garage argu­men­tierte sodann, die Gerichts­standsvere­in­barung im LOI sei abstrakt for­muliert und nehme nicht expliz­it Bezug auf kartell­rechtliche Ansprüche. Es sei für sie nicht vorherse­hbar gewe­sen, dass auch Stre­it­igkeit­en über solche Ansprüche von der Klausel erfasst seien. Auch mit dieser Argu­men­ta­tion drang die Garage indessen nicht durch. Das Bun­des­gericht wies mit Bezug auf die Trag­weite der im LOI enthal­te­nen Gerichts­standsvere­in­barung unter anderem auf die Recht­sprechung des EuGH hin, wonach entschei­dend sei, ob der Rechtsstre­it für die betrof­fene Partei im Zeit­punkt ihrer Zus­tim­mung zu dieser Klausel “hin­re­ichend vorherse­hbar” gewe­sen sei. Auch das Bun­des­gericht habe zum früheren Gerichts­stands­ge­setz erwogen, dass sich eine Gerichts­standsvere­in­barung, die ihrem Wort­laut nach sämtliche Ver­tragsstre­it­igkeit­en umfasst, auch auf Ansprüche aus uner­laubter Hand­lung beziehe, wenn diese gle­ichzeit­ig eine Ver­tragsver­let­zung darstellen oder ein Zusam­men­hang zwis­chen dieser und dem Ver­trags­ge­gen­stand beste­hen würde (E. 4.2.4). Der Entscheid des Oberg­erichts sei, so das Bun­des­gericht weit­er, im Lichte von Art. 23 Ziff. 1 LugÜ nicht zu bean­standen. Die von der Garage monierte uner­laubte Hand­lung (Nichtab­schluss des Werk­stattver­trags) hänge, ins­beson­dere in zeitlich­er Hin­sicht, eng mit dem LOI zusam­men. Zudem sei gemäss Fest­stel­lun­gen des Oberg­erichts die Garage in Bezug auf kartell­rechtliche Stre­it­igkeit­en nicht uner­fahren gewe­sen, weshalb es für diese im Zeit­punkt der Unterze­ich­nung des LOI jeden­falls hin­re­ichend vorherse­hbar gewe­sen wäre, dass die Gerichts­stand­sklausel auch auf die vor­liegende, auf das Kartellge­setz gestützte (zivil­rechtliche) Klage Anwen­dung finde. Der Entscheid des Oberg­erichts ver­trage sich fol­glich mit dem in Art. 23 Ziff. 1 LugÜ ver­ankerten Bes­timmtheit­ser­forder­nis (E. 4.2.6).

Schliesslich machte die Garage gel­tend, die vor­liegende Klage betr­e­ffe «eine äusserst kom­plexe Frage», deren Beant­wor­tung «Ken­nt­nisse der örtlichen nationalen Begeben­heit­en, der nationalen Volk­swirtschaft sowie der Beson­der­heit­en des Auto­mo­bil­gewerbes in der Schweiz» erfordere. Indem die Vorin­stanz für eine solche Beurteilung auf ein ital­ienis­ches Gericht ver­weise, ver­stosse sie «im Ergeb­nis gegen den Grundgedanken des ordre pub­lic (Art. 17 IPRG)» (E. 4.3.2). Auch damit drang die Garage nicht durch. Das Bun­des­gericht wies darauf hin, dass die Frage, ob bes­timmte zwin­gende Bes­tim­mungen des schweiz­erischen (materiellen) Rechts der Wahl aus­ländis­ch­er Gerichtsstände ent­ge­gen­ste­hen wür­den, soweit ersichtlich nur bei Anwend­barkeit des IPRG bejaht werde. Ob nationale Bes­tim­mungen die Gerichtswahl­frei­heit im Bere­ich des LugÜ ein­schränken kön­nten, erscheine indessen noch fraglich­er, da das LugÜ keine Art. 5 Abs. 2 IPRG entsprechende Bes­tim­mung kenne und überdies die Regelung der «Vere­in­barung über die Zuständigkeit» grund­sät­zlich abschliessend sei (E. 4.3.2). Let­ztlich liess das Bun­des­gericht indessen auch diese Frage offen. Denn, so das Bun­des­gericht, allein die Behaup­tung, dass der in diesem zivil­rechtlichen Ver­fahren gel­tend gemachte Anspruch kartell­rechtlich abgestützt werde (und einen Sachver­halt betr­e­ffe, der sich in der Schweiz zuge­tra­gen habe), begründe jeden­falls keinen «Aus­nah­me­fall», der die parteiau­tonom vere­in­barte Unter­stel­lung der vor­liegen­den Rechtsstre­it­igkeit unter die ital­ienis­che Gerichts­barkeit ver­bi­eten würde. Im Übri­gen habe die Beschw­erde­führerin nicht im Einzel­nen dargelegt, welch­er kartell­rechtlichen Bes­tim­mung aus welchen Grün­den eine der­art fun­da­men­tale Bedeu­tung zuzumessen wäre, die ein Überge­hen der LugÜ-Zuständigkeit­sor­d­nung recht­fer­tigte (E. 4.3.2).