5A_568/2020: Leistung des eherechtlichen Prozesskostenvorschusses für das Scheidungsverfahren ist keine Prozessvoraussetzung (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil 5A_568/2020 v. 13.9.2021 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Frage, welche Fol­gen es zeit­igt, wenn ein auf Schei­dung kla­gen­der Ehe­gat­te den ihm zugun­sten des anderen Ehe­gat­tens aufer­legten Prozesskosten­vorschuss nicht bezahlt. Die Vorin­stanz dro­hte dem vorschusspflichti­gen Ehe­gat­ten bei Nichtleis­tung gestützt auf Art.147 ZPO das Nichtein­treten auf die Schei­dungsklage an und ist in der Folge, nach­dem der Prozesskosten­vorschuss aus­blieb, auf die Klage nicht eingetreten.

Das Bun­des­gericht erwog, Art.147 Abs. 1 ZPO regle einzig die Säum­nis bei nicht frist­gerechter Vor­nahme von Prozesshand­lun­gen. Die Pflicht der Ehe­gat­ten, sich durch Leis­tung eines Prozesskosten­vorschuss­es beizuste­hen wur­zle im materiellen Eherecht und die Nichtleis­tung habe entsprechend materiell­rechtliche Kon­se­quen­zen. Es han­dle sich um ein Rechts­geschäft des Pri­va­trechts und ziele nicht in erste Lin­ie auf eine prozes­suale Wirkung.  Allen­falls begründe die Nichtleis­tung des Prozesskosten­vorschuss­es sub­sidiär einen Anspruch des vorschuss­berechtigten Ehe­gat­ten auf unent­geltliche Recht­spflege, doch diese Reflexwirkung auf den Prozess mache die Leis­tung des Prozesskosten­vorschuss­es nicht zu ein­er Prozesshand­lung im eigentlichen Sinn. Es sei daher bere­its fraglich, ob die Pflicht zur Zahlung eines eherechtlichen Prozesskosten­vorschuss­es unter den Begriff der Prozesshand­lung im Sinne von Art. 147 Abs. 1 ZPO falle.

Selb­st wenn man davon aus­gin­ge, Art.147 Abs. 1 ZPO umfasse auch pri­va­trechtliche Hand­lun­gen mit bloss­er Reflexwirkung auf einen Prozess, so sei Abs. 2 dieser Norm zu bedenken. Gemäss diesem wird bei Säum­nis das Ver­fahren ohne die ver­säumte Hand­lung weit­erge­führt, auss­er das Gesetz bes­timme etwas anderes. Der Grund­satz ist somit die Weit­er­führung des Prozess­es. Das Nichtein­treten auf die Klage des vorschusspflichti­gen Ehe­gat­ten erhebe die Bezahlung des Prozesskosten­vorschuss­es in den Rang ein­er Prozessvo­raus­set­zung.  Dies bedürfe nach Art. 147 Abs. 2 ZPO ein­er geset­zlichen Grund­lage; eine solche beste­he jedoch nicht.

Es bleibe die Frage, ob das Gesetz lück­en­haft erscheine und um eine ungeschriebene Prozessvo­raus­set­zung ergänzt wer­den müsse. Dabei sei Zurück­hal­tung geboten. Das Prozess­recht diene der Ver­wirk­lichung des materiellen Rechts, solle Let­zteres nicht vere­it­eln und dürfe nicht zum Selb­st­weck verkom­men. Hebe man die Leis­tung des eherechtlichen Prozesskosten­vorschuss­es in den Rang ein­er Prozessvo­raus­set­zung, könne der materiell­rechtliche Schei­dungsanspruch dauer­haft vere­it­elt wer­den. Zudem wider­spreche es ein­er Grundw­er­tung des Schei­dungsver­fahren­srechts der ZPO, die Leis­tung des Prozesskosten­vorschuss­es als ungeschriebene Prozessvo­raus­set­zung anzuse­hen. Art. 99 Abs. 3 lit. b ZPO schliesse die Leis­tung ein­er Sicher­heit für die Parteientschädi­gung im Schei­dungsver­fahren expliz­it aus. Die ZPO mache also den Schei­dung­sprozess ger­ade nicht von Zahlun­gen des einen Ehe­gat­ten zugun­sten des anderen Ehe­gat­ten abhängig. Weit­er habe die vorschuss­berechtigte Partei kein schützenswertes Inter­esse daran, den Schei­dung­sprozess bei Nichtleis­tung des Vorschuss­es nicht führen zu müssen. Ihre Inter­essen seien mit dem sub­sidiären Anspruch, den Prozess unent­geltlich führen zu dür­fen, genü­gend gewahrt. Schliesslich beste­he für das Gericht keine Ver­an­las­sung, sich in die Erfül­lung pri­va­trechtlich­er Forderun­gen einzu­mis­chen. Es sei Sache des vorschuss­berechtigten Ehe­gat­ten, sich um die Durch­set­zung des Prozesskosten­vorschuss­es auf dem Wege des SchKG zu küm­mern. Es bestün­den dem­nach keine Gründe, um die Leis­tung des Prozesskosten­vorschuss­es zu ein­er ungeschriebe­nen Prozessvo­raus­set­zung zu erheben. Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde fol­glich gut.