Im Urteil 5A_967/2023 vom 4. November 2024 äussert sich das Bundesgericht zur Tragweite der Beweisführungslast bei der Bewertung von Wertschriften, die bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung in die Errungenschaft fallen. Es hält fest, dass das Gericht grundsätzlich verpflichtet ist, im Rahmen der richterlichen Fragepflicht Urkunden über den Wert der Wertschriften im Zeitpunkt der Liquidation des Güterstandes einzuholen, wenn die Parteien rechtsgenügliche Tatsachenbehauptungen zum Bestand der Vermögenswerte aufgestellt haben.
Sachverhalt
Die Ehegatten A (geb. 1970) und B (geb. 1963) heirateten 2003 und unterstanden dem ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Am 11. September 2018 reichte B beim erstinstanzlichen Gericht die Scheidungsklage ein. Er verfügte über zwei Depotkonten mit Wertschriften, die unbestritten in die Errungenschaft fielen. Die kantonalen Instanzen behandelten die Depotkonten als Bankkonten und berücksichtigten sie bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung zu deren Wert am Tag der Auflösung des ehelichen Güterstands. A erhob unter anderem dagegen Beschwerde ans Bundesgericht und machte geltend, die Vorinstanz hätte die Depotkonten bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung zum Wert im Zeitpunkt der Liquidation des Güterstands berücksichtigen müssen.
Erwägungen
Das Bundesgericht wiederholt zunächst, dass die Errungenschaft und das Eigengut jedes Ehegatten nach ihrem Bestand im Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes auszuscheiden seien (Art. 207 Abs. 1 ZGB). Massgebend für den Wert der bei der Auflösung des Güterstandes vorhandenen Errungenschaft sei nach Art. 214 Abs. 1 ZGB der Zeitpunkt der Liquidation, was im Falle eines Gerichtsverfahrens der Tag der Urteilsfällung sei. Da nach der Auflösung des Güterstandes der Bestand der Errungenschaft weder durch neue Aktiven noch Passiven verändert werden dürfe, seien sowohl nach der Auflösung des Güterstandes auf den Errungenschaftskonten anfallende Erträge als auch Verbindlichkeiten bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung nicht zu berücksichtigen. Hingegen müssten Wertschwankungen der Vermögenswerte zwischen der Auflösung und der Liquidation bei der Bewertung der Errungenschaft berücksichtigt werden, da der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass die diesbezügliche Interessengemeinschaft der Ehegatten bis zur Liquidation fortdauere und die Ehegatten das Risiko zu teilen hätten (E. 6.2).
In Bezug auf den konkreten Fall hält das Bundesgericht fest, dass die verfahrensgegenständlichen Wertschriften in den Depotkonten von B im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung zum Wert bei der Liquidation des Güterstandes hätten berücksichtigt werden müssen. Das Gericht sei zur Ausübung der richterlichen Fragepflicht nach Art. 277 Abs. 2 ZPO gehalten gewesen, da A die Existenz des Wertschriftenportfolios rechtsgültig behauptet und den Zeitpunkt der Bewertung stets bestritten habe. Von A habe nicht erwartet werden können, dass sie regelmässig aktualisierte Auszüge der Wertschriftenkonten von B herausfordere, da sie das Datum der Liquidation bzw. der Urteilsfällung nicht gekannt habe (E. 6.3).
Kommentar
Grundsätzlich gilt für die güterrechtliche Auseinandersetzung die Verhandlungsmaxime (Art. 277 Abs. 1 ZPO). Es ist Sache der Parteien, das Tatsachenfundament ihrer güterrechtlichen Forderungen sowie die ihnen zugrundeliegenden Bewertungen der Vermögensgegenstände zu behaupten, zu substantiieren und für ihre tatsächlichen Behauptungen die Beweismittel anzugeben. Veränderungen im Wert sind nicht von Amtes wegen zu berücksichtigen. Das Bundesgericht befand in seinem früheren Urteil 5A_1048/2019 vom 30.6.2021, E. 3.6, denn auch, dass Aktienkurse börsenkotierter Unternehmen nicht notorisch sind (vgl. Ludin, 5A_1048/2019: Aktienkurse börsenkotierter Gesellschaften nicht notorisch, swissblawg.ch vom 5.8.2021).
Mit dem nun ergangenen Entscheid präzisiert das Bundesgericht, dass das Gericht im Rahmen seiner richterlichen Fragepflicht nach Art. 277 Abs. 2 ZPO Urkunden über den Wert von in die Errungenschaft fallenden Wertschriften im Zeitpunkt der Liquidation des Güterstandes von sich aus einzuholen hat, wenn die Parteien rechtsgenügliche Tatsachenbehauptungen zum Bestand der Wertschriften aufstellen. Damit mildert das Bundesgericht die Beweisführungslast der Parteien im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung und entbindet sie davon, im Hinblick auf den ihnen unbekannten Zeitpunkt der Urteilsfällung, von sich aus aktualisierte Bewertungen der Wertschriften einreichen zu müssen. Gleichzeitig bleibt es Sache der Parteien, die Bewertung der Wertschriften vorzunehmen oder allenfalls vornehmen zu lassen.