4A_243/2020: Ausstand eines Richters, der gleichzeitig als Rechtsanwalt tätig ist (amtl. Publ.)

Dem Bun­des­gericht bot sich in diesem Urteil die Gele­gen­heit, seine Recht­sprechung im Zusam­men­hang mit dem Aus­stand eines Richter wegen sein­er Tätigkeit als Recht­san­walt in Erin­nerung zu rufen.

Hin­ter­grund: Die B. AG erhob gegen die A. AG eine Patentver­let­zungsklage am Bun­despatent­gericht, in welch­er der A. AG vorge­wor­fen wurde, durch ihre Ein­weg-Injek­tion­spens drei europäis­che Patente der B. AG zu ver­let­zen. Der Ref­er­ent in diesem Ver­fahren ist ein im Teilpen­sum tätiger haup­tamtlich­er Richter, der gle­ichzeit­ig Paten­tan­walt und Part­ner in der Kan­zlei E. AG ist. Er kam in seinem Fachrichter­vo­tum zum Schluss, dass eines der Klagepatente rechts­beständig und ver­let­zt sei und sich das auf dieses Klagepatent stützende Rechts­begehren gutzuheis­sen sei.

Später ging am Bun­despatent­gericht eine weit­ere Patentver­let­zungsklage ein. In diesem zweit­en Ver­fahren machte eine Drittge­sellschaft (nach­fol­gend Z. AG) eine Ver­let­zung ihres Patents durch die gle­ichen Injek­tion­spens der A. AG gel­tend. In diesem zweit­en Patentver­let­zungsver­fahren war der vor­ge­nan­nte Ref­er­ent des ersten Ver­fahrens wed­er als Richter beteiligt, noch ver­tritt seine Kan­zlei eine der Prozess­parteien als Rechtsvertreter.

Daraufhin stellte die A. AG im ersten Patentver­let­zungsver­fahren das Gesuch, der Ref­er­ent, der das Fachrichter­vo­tum erstat­tet hat­te, habe in den Aus­stand zu treten. Sie begrün­dete dies damit, dass die Kan­zlei E. AG als admin­is­tra­tive Vertreterin von Paten­ten der Z. AG (der Klägerin im zweit­en Patentver­let­zungsver­fahren) gegenüber dem IGE einge­tra­gen sei. Die zweite Klage richte sich gegen die gle­ichen Injek­tion­spens der A. AG wie im ersten Ver­fahren, weshalb das erste Ver­fahren für das zweite eine erhe­bliche präjudizielle Bedeu­tung habe. Ein Unter­las­sung­surteil zu Gun­sten der B. AG würde sich unmit­tel­bar zu Gun­sten der Z. AG auswirken. Die Z. AG und mehrjährige (über 15 Jahre) Man­dan­tin der Kan­zlei des Ref­er­enten habe damit ein Inter­esse an der Gutheis­sung der ersten Klage.

Das Patent­gericht wies das Aus­stands­ge­such ab, mit der Begrün­dung, ein Angestell­ter ein­er Arbeit­ge­berin, die für eine Drittpartei admin­is­tra­tive Hil­f­stätigkeit­en erledi­ge, die aus einem anderen Rechts­grund gegen die Beklagte in einem Ver­fahren klage, in dem der Angestellte als nebe­namtlich­er Richter tätig sei, könne objek­tiv kein Mis­strauen in die Unparteilichkeit des nebe­namtlichen Richters erwecken.

Das Bun­des­gericht hob diesen Entscheid auf und wies die Sache zur Ergänzung des Sachver­halts und zu neuer Entschei­dung zurück.

Es erin­nerte zunächst an seine Recht­sprechung zu Befan­gen­heit­en, die auf­grund ein­er anwaltlichen Tätigkeit eines nebe­namtlichen Richters (oder Schied­srichters) entste­hen kön­nen (E. 4.2). Die Grund­sätze der Garantie des ver­fas­sungsmäs­si­gen Richters wür­den ins­beson­dere bei dem für das Bun­despatent­gericht gewählten Mod­ell der Gericht­sor­gan­i­sa­tion mit zwei haup­tamtlichen Richtern und ein­er über­wiegen­den Mehrzahl von nebe­namtlichen Richtern gel­ten (E. 4.2.1). Ein als Richter amten­der Anwalt erscheine, so das Bun­des­gericht, als befan­gen, wenn zu ein­er Partei ein noch offenes Man­dat beste­he, er in einem anderen Ver­fahren eine der Prozess­parteien vertrete oder kurz vorher vertreten habe, oder er für eine Partei in dem Sinne mehrmals anwaltlich tätig gewor­den sei, dass zwis­chen ihnen eine Art Dauer­beziehung beste­he. Dies gelte unab­hängig davon, ob das Man­dat in einem Sachzusam­men­hang mit dem zu beurteilen­den Stre­it­ge­gen­stand ste­he oder nicht. Darüber hin­aus erscheine ein als Richter bzw. Schied­srichter amtieren­der Anwalt als befan­gen, wenn in einem anderen Ver­fahren ein solch­es Vertre­tungsver­hält­nis zur Gegen­partei ein­er der Prozess­parteien beste­he bzw. bestanden habe. In solchen Fällen sei ungeachtet der weit­eren konkreten Umstände, also abstrakt ohne eine konkrete fall­be­zo­gene Prü­fung, von einem Anschein der Befangheit auszuge­hen (E. 4.2.2 m.w.H.). Ein Anschein der Befan­gen­heit ergebe sich nach der Recht­sprechung sodann daraus, dass nicht der nebe­namtliche Richter selb­st, son­dern ein ander­er Anwalt sein­er Kan­zlei ein Man­dat mit ein­er Prozess­partei unter­halte bzw. kurz zuvor oder im Sinn eines Dauerver­hält­niss­es mehrmals unter­hal­ten habe (E. 4.2.3 m.w.H.). Sodann komme zur Annahme ein­er beson­deren Ver­bun­den­heit des Richters mit ein­er Ver­fahrenspartei, die den Anschein der Befan­gen­heit erwecke, auch eine andere Beziehung als ein direk­tes Man­datsver­hält­nis zu dieser Partei oder deren Gegen­partei in Betra­cht. So sei es unzuläs­sig, dass ein Anwalt als Richter in ein­er Sache mitwirke, die für ein gle­ichge­lagertes Ver­fahren, in dem er eine Drittpartei als Anwalt vertrete, eine erhe­bliche präjudizielle Bedeu­tung haben könne, z.B. weil sich die gle­ichen Rechts­fra­gen stellen (E. 4.2.4 m.w.H.).

Allerd­ings seien, so das Bun­des­gericht weit­er, auch rein admin­is­tra­tive Tätigkeit­en des als nebe­namtlichen Richters bzw. Schied­srichters täti­gen Anwalts bzw. sein­er Kan­zlei für eine Ver­fahrenspartei nicht per se unbe­den­klich. Allerd­ings begründe nicht jede irgend­wie geart­ete Beziehung wirtschaftlich­er, beru­flich­er oder per­sön­lich­er Natur für sich allein den Anschein der Befan­gen­heit. Ob eine solche Beziehung den­jeni­gen Grad der Inten­sität erre­icht, um eine Besorg­nis der Befan­gen­heit zu begrün­den, beurteile sich auf­grund der konkreten Umstände des Einzelfalls (E. 5.2. m.w.H.).

Bezo­gen auf das vor­liegende Ver­fahren wies das Bun­des­gericht zunächst darauf hin, dass die Richtlin­ien zur Unab­hängigkeit des Bun­despatent­gerichts admin­is­tra­tive Tätigkeit­en und das Zurver­fü­gung­stellen ein­er Zustel­ladresse nicht mit der (patent)anwaltlichen Tätigkeit­en gle­ich­stellen wür­den, diese admin­is­tra­tiv­en Tätigkeit­en indessen eben­falls als nicht unprob­lema­tisch beurteilen wür­den. Gemäss diesen inter­nen Richtlin­ien dürfe der Ref­er­ent des ersten Ver­fahrens auf­grund der admin­is­tra­tiv­en Beziehung sein­er Kan­zlei zur Z. AG nicht als Richter im zweit­en Patentver­let­zungsver­fahren mitwirken. Obwohl gemäss diesen Richtlin­ien für den ersten Patentver­let­zung­sprozess keine Befan­gen­heit beste­he, müsse — so das Bun­des­gericht — eine konkrete und fall­be­zo­gene Prü­fung vorgenom­men wer­den (E. 6.3). Dies sei vor­liegend nicht möglich, da das Bun­despatent­gericht die konkreten Auswirkun­gen der bei­den hängi­gen Patentver­let­zung­sprozesse bess­er hätte abklären müssen (E. 7.1.3). Sodann habe das Bun­despatent­gericht ohne weit­eren Angaben und Belege fest­gestellt, dass sich die Tätigkeit der Kan­zlei des Ref­er­enten für die Z. AG auf die rein admin­is­tra­tive Vertre­tung beschränke. Die Rüge der A. AG, dass bei ein­er über 15 Jahre lange dauern­den Geschäfts­beziehung nicht ohne weit­ere Abklärun­gen davon aus­ge­gan­gen wer­den könne, die Kan­zlei E. AG des Ref­er­enten vertrete keine anderen Inter­essen der Z. AG als die Post des Patentsamtes zu erhal­ten, seine keine von vorn­here­in halt­lose Mut­mas­sun­gen (E. 7.2.3).

Das Bun­despatent­gericht begrün­dete die Abweisung even­tu­aliter damit, dass der Ref­er­ent im ersten Ver­fahren das Wis­sen, wonach die Z. AG — und daher ange­blich die Kan­zlei E. AG des Ref­er­enten — ein Inter­esse an der Gutheis­sung der ersten Klage habe, erst aus dem Aus­stands­begehren der A. AG erhal­ten hätte. Die A. AG habe damit den Aus­stands­grund durch ihr Aus­stands­ge­such selb­st geschaf­fen. Damit ver­stosse die A. AG gegen das Gebot des Han­delns nach Treu und Glauben (Art. 52 ZPO), weshalb sie sich nicht auf den von ihr gel­tend gemacht­en Aus­stands­grund berufen könne (E. 8.1). Diese Even­tu­al­be­grün­dung ver­mochte das Bun­des­gericht indessen nicht zu überzeu­gen. Es gehe vor­liegend, so das Bun­des­gericht, nicht darum, dass erst das Aus­stands­ge­such dem Ref­er­enten sein spez­i­fis­ches Wis­sen ver­schafft hätte. Vielmehr gründe ein allfäl­liger Aus­stands­grund des Ref­er­enten in der beste­hen­den Geschäfts­beziehung sein­er Kan­zlei mit der Z. AG (E. 8.2.1). Ob ein Richter in den Aus­stand treten müsse, beurteile sich danach, ob bei objek­tiv­er Betra­ch­tung Gegeben­heit­en vor­liegen wür­den, die den Anschein der Befan­gen­heit oder die Gefahr der Vor­ein­genom­men­heit zu begrün­den ver­mö­gen. Eine tat­säch­liche Befan­gen­heit sei nicht ver­langt, zumal die Befan­gen­heit als inner­er Zus­tand auch kaum nachgewiesen wer­den könne. Entsprechend könne es für die Beurteilung des Aus­stands­grun­des auch nicht entschei­dend sein, ob der Richter im Zeit­punkt der Stel­lung des Aus­stands­ge­suchs bere­its tat­säch­lich wusste, ob auf­grund beste­hen­der Gegeben­heit­en ein bes­timmter Aus­stands­grund vor­liege oder ob ihn erst eine Partei auf einen solchen aufmerk­sam gemacht hätte (E. 8.2.2).