4A_360/2021: Sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts; Vertragsqualifikation

Im Urteil 4A_360/2021 vom 6. Jan­u­ar 2022 beurteilte das Bun­des­gericht die Zuständigkeit des Arbeits­gerichts im Zusam­men­hang mit ein­er eingeklagten Forderung ein­er Recht­san­wältin aus ein­er Zusam­me­nar­beitsvere­in­barung mit ein­er Kan­zlei zur Erbringung anwaltlich­er Dien­stleis­tun­gen. Die vorin­stan­zlichen Gerichte des Kan­tons Zürich hat­ten die Zuständigkeit des Arbeits­gerichts verneint, woge­gen die als Kon­sulentin tätige Recht­san­wältin mit Beschw­erde in Zivil­sachen ans Bun­des­gericht gelangt war.

In der Zusam­me­nar­beitsvere­in­barung hät­ten die Parteien eine tem­poräre Zusam­me­nar­beit von rund zwei Monat­en vere­in­bart, während welch­er, so das Bun­des­gericht, die Beschw­erde­führerin als Kon­sulentin unter dem Label der Beschw­erdegeg­ner­in anwaltliche Dien­stleis­tun­gen zu erbrin­gen habe. Die Beschw­erdegeg­ner­in habe ihr dazu einen Arbeit­splatz, die Infra­struk­tur sowie ihre Akquise-Kanäle zur Ver­fü­gung gestellt und bei Bedarf beste­hende Man­date an die Beschw­erde­führerin über­tra­gen. Als Entschädi­gung sei vere­in­bart wor­den, dass der Beschw­erde­führerin die Hälfte des von ihr auf Kan­zleiman­dat­en gener­ierten Umsatzes zukäme (ein­schliesslich über die Akqui­si­tion­skanäle der Kan­zlei akquiri­erte Man­date), begren­zt auf CHF 15’000 pro Monat. In Bezug auf von der Beschw­erde­führerin selb­st akquiri­erte Man­date sei eine Umsatza­ufteilung im Ver­hält­nis von 80% zu Gun­sten der Beschw­erde­führerin und 20% zu Gun­sten Beschw­erdegeg­ner­in bzw. Kan­zlei vere­in­bart worden.

Die Sozialver­sicherungsanstalt (SVA) des Kan­tons Zürich habe indessen das Gesuch der Beschw­erde­führerin um Reg­istrierung als Selb­ständi­ger­wer­bende abgewiesen. Gestützt auf den durch die Vorin­stanz fest­gestell­ten Sachver­halt (vgl. E. 3.3) beurteilte das Bun­des­gericht die Frage der Zuständigkeit des Arbeits­gerichts für die von der Beschw­erde­führerin eingeklagte Forderung.

Habe ein Kan­ton ein Arbeits­gericht geschaf­fen, so das Bun­des­gericht, stelle die Frage, ob zwis­chen den Parteien ein Arbeitsver­trag beste­he, eine dop­pel­rel­e­vante Tat­sache dar. Berufe sich ein Kläger auf das Vor­liegen eines Arbeitsver­trags, seien dem­nach die von ihm behaupteten Tat­sachen für die Beurteilung der Zuständigkeit grund­sät­zlich — mit Aus­nahme des offen­sichtlichen Gegen­teils — als wahr zu unter­stellen und erst bei der materiellen Prü­fung des eingeklagten Anspruchs auf Richtigkeit zu unter­suchen (E. 5.1.2). Für die Prü­fung der Zuständigkeit sei damit auss­chliesslich auf den Tat­sachen­vor­trag des Klägers abzustellen. Zu beurteilen sei somit, so das Bun­des­gericht, ob die Behaup­tun­gen der Beschw­erde­führerin — soll­ten sie erwiesen sein — auf das Beste­hen eines Arbeitsver­trags schliessen lassen wür­den. Im Rah­men sein­er Zuständigkeit­sprü­fung sei das Gericht aber nicht davon ent­bun­den, die vom Kläger behaupteten dop­pel­rel­e­van­ten Tat­sachen auf ihre Schlüs­sigkeit zu prüfen (E. 5.1.2.).

Das Bun­des­gericht bestätigte den Entscheid der Vorin­stanz, die gemäss Bun­des­gericht in ein­er Gesamtwürdi­gung der Umstände erwogen habe, das Ver­tragsver­hält­nis könne nicht als Arbeitsver­trag qual­i­fiziert wer­den (E. 5.2):

Die Beschw­erde­führerin habe mit den Zusam­me­nar­beitsvere­in­barun­gen eine selb­ständi­ge Tätigkeit nicht nur angestrebt, son­dern sie habe auch tat­säch­lich selb­ständig und weitest­ge­hend frei Man­date für die Beschw­erdegeg­ner­in bear­beit­et. Es habe wed­er in per­sön­lich­er, sach­lich­er noch zeitlich­er Hin­sicht eine Abhängigkeit bestanden. Nach ihren Vor­brin­gen habe sie die Man­date sel­ber akquiri­ert und habe direkt am wirtschaftlichen Erfolg ihres Arbeit­sein­satzes par­tizip­iert, indem sie den von ihr erwirtschaftete Umsatz abzüglich des Anteils der Beschw­erdegeg­ner­in als Einkom­men erhal­ten sollte. Insofern habe sie die Dis­po­si­tion­s­möglichkeit und das unternehmerische Ver­lus­trisiko bezüglich des Ein­satzes ihrer Arbeit­skraft selb­st innege­habt. Sie sei auch nicht in rel­e­van­tem Mass in die Arbeit­sor­gan­i­sa­tion der Beschw­erdegeg­ner­in eingegliedert gewe­sen, son­dern habe die Man­date nach eigen­er Darstel­lung unter eigen­er Adresse und eigen­er Voll­macht betreut. Sie habe ihre Arbeit­sleis­tung mithin wie eine Selb­ständi­ger­wer­bende anbi­eten und den Umfang ihrer Tätigkeit selb­st bes­tim­men kön­nen. All diese Umstände sprächen gegen ein arbeitsver­traglich­es Ver­hält­nis. Dass ihre unternehmerische Frei­heit auf­grund gewiss­er organ­isatorisch­er Weisungs­befug­nisse der Beschw­erdegeg­ner­in eingeschränkt gewe­sen sei (Ferien­vertre­tung, Tele­fon­di­enst, Vor­gaben für Büro- und Infra­struk­tur­nutzung, Zeit­er­fas­sung, Angabe des Fir­menkon­tos der Beschw­erdegeg­ner­in bei der Rech­nungsstel­lung gegenüber Klien­ten) reiche zur Annahme eines Sub­or­di­na­tionsver­hält­niss­es nicht aus. Zudem fehle es an ein­er eigentlichen Pflicht zur Arbeit­sleis­tung und an einem (Min­d­est-) Lohn.

Das Bun­des­gericht erwog, die Vorin­stanz habe sich ent­ge­gen der Beschw­erde­führerin mit dem Entscheid der SVA auseinan­derge­set­zt (E. 5.3.1). Die Vorin­stanz habe aus­führlich dargelegt, weshalb sie den Entscheid der SVA für die Frage, ob die Zusam­me­nar­beitsvere­in­barun­gen als Arbeitsverträge zu qual­i­fizieren seien, nicht als auss­chlaggebend erachtet habe. Die Beschw­erde­führerin scheine, so das Bun­des­gericht, in der Beschw­erde von der falschen Annahme auszuge­hen, dass die Ein­schätzung der SVA auch für die Vorin­stanzen ohne Weit­eres verbindlich gewe­sen wäre. Weit­er habe sie nicht hin­re­ichend dargelegt, welche Kri­te­rien die Vorin­stanz zusät­zlich hätte berück­sichti­gen müssen, wenn sie pauschal aus­führt, die Vorin­stanz habe statt die in Lehre und Recht­sprechung aufgestell­ten Kri­te­rien in ein­er Gesamtschau zu prüfen, auf die Kri­te­rien der “arbeit­sor­gan­isatorischen Abhängigkeit” und des “Unternehmer­risikos” abgestellt. Der Vorin­stanz sei gemäss Bun­des­gericht keine Ver­let­zung von Bun­desrecht vorzuw­er­fen, wenn sie nicht der Ein­schätzung der SVA gefol­gt sei (E. 5.3.2).

Das Bun­des­gericht erwog weit­er, die vorin­stan­zlichen Aus­führun­gen zur “arbeit­sor­gan­isatorischen Abhängigkeit” seien im Zusam­men­hang mit der Frage erfol­gt, ob ein für ein Arbeitsver­trag typ­is­ches Sub­or­di­na­tionsver­hält­nis vor­liege. Dass die Beschw­erde­führerin bei den über die Kan­zlei akquiri­erten Man­dat­en entsprechend unter deren Label agiert, die gemein­same Infra­struk­tur genutzt habe und sich an die entsprechen­den admin­is­tra­tiv­en bzw. organ­isatorischen Regeln, auch in Bezug auf Post und Stel­lvertre­tung, hätte hal­ten müssen, begründe noch kein arbeit­nehmer­typ­is­ches Sub­or­di­na­tionsver­hält­nis. Es sei, so das Bun­des­gericht, nicht ersichtlich, inwiefern die Vorin­stanz mit diesen Fest­stel­lun­gen Bun­desrecht ver­let­zt habe. Ent­ge­gen der Beschw­erde­führerin liege auch nicht eine Ver­wech­slung mit dem Kri­teri­um der “wirtschaftlichen Abhängigkeit” durch die Vorin­stanz vor (E. 5.4).

Weit­er erwog das Bun­des­gericht, habe die Vorin­stanz auch nicht willkür­lich fest­gestellt, die Beschw­erde­führerin habe ein unternehmerisches Risiko getra­gen, indem sie darauf abgestellt habe, dass sich aus den Vor­brin­gen und den Zusam­me­nar­beitsvere­in­barun­gen kein gesichertes Einkom­men und ins­beson­dere kein Min­dest­lohn der Beschw­erde­führerin ableit­en liesse (E. 5.5). 

Ins­ge­samt schloss das Bun­des­gericht, habe die Vorin­stanz somit kein Bun­desrecht ver­let­zt, indem sie die Zuständigkeit des Arbeits­gerichts abgelehnt habe (E. 5.6).