Der Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 13. März 2020 betreffend die Revision des 6. Kapitels des IPRG wurde am 22. Dezember 2023 vom National- und Ständerat in abgeänderter Form angenommen (siehe angenommener Schlussabstimmungstext). Sofern kein Referendum ergriffen wird, ist mit einem Inkrafttreten der revidierten Bestimmungen per 1. Januar 2025 zu rechnen.
Die Revision bezweckt eine Modernisierung und Anpassung des schweizerischen internationalen Erbrechts an die Entwicklungen im Ausland (siehe Botschaft des Bundesrates). Die Änderungen dienen insbesondere der Vermeidung positiver Kompetenzkonflikte.
Zuständigkeit
Der revidierte Entwurf präzisiert die subsidiäre Zuständigkeit der Schweizer Behörden am Heimatort des Erblassers sowie am Schweizer Belegenheitsort von Vermögenswerten: Die subsidiäre Zuständigkeit der Schweizer Behörden am Heimatort ist grundsätzlich gegeben, wenn die ausländischen Behörden des Wohnsitzstaats sich nicht mit dem Nachlass befassen. Die Schweizer Behörden können ihre Zuständigkeit neu auch ablehnen, wenn sich die ausländischen Behörden des Heimatstaates, des letzten gewöhnlichen Aufenthalts oder des Lageorts einzelner Vermögenswerte mit dem Nachlass befassen (Art. 87 Abs. 1 rev-IPRG, Art. 88 Abs. 1 rev-IPRG).
Überdies sieht der revidierte Entwurf die Möglichkeit eines Opting-out betreffend die Zuständigkeit vor: Grundsätzlich begründet eine Rechtswahl zugunsten des Schweizer Rechts automatisch eine Zuständigkeitswahl zugunsten der Schweizer Behörden (Art. 87 Abs. 2 IPRG). Neu kann ein Erblasser die ausländische Zuständigkeit vorbehalten (Art. 87 Abs. 2 rev-IPRG).
Gemäss geltendem Recht können Schweizer Bürger für den Fall, dass sie bei ihrem Ableben ihren Wohnsitz nicht in der Schweiz haben, ihren Nachlass der Zuständigkeit der Schweizer Behörden unterstellen (Art. 87 Abs. 2 IPRG). Neu sollen auch explizit ausländische Staatsangehörige diese Möglichkeit haben: Sie können die Schweizer Zuständigkeit abbedingen, indem sie den Nachlass (oder einzelne Vermögensteile) der Zuständigkeit des Heimatstaates unterstellen. Soweit sich die ausländischen Behörden tatsächlich mit dem Nachlass befassen, schliesst dies die Schweizer Zuständigkeit aus (Art. 88b Abs. 1 rev-IPRG).
Anwendbares Recht
Der revidierte Entwurf sieht eine Anpassung an die Struktur der übrigen Kapitel des IPRG vor, wonach Art. 90 rev-IPRG die Grundsätze betreffend das anwendbare Recht festlegt, während Art. 91 rev-IPRG die Rechtswahlmöglichkeiten normiert.
Von Relevanz ist insbesondere die Neuregelung des Renvoi: Verweist das ausländische Kollisionsrecht auf das schweizerische Kollisionsrecht zurück, so erklärt Art. 90 Abs. 2 rev-IPRG das materielle ausländische Erbrecht für anwendbar.
Neu können nicht nur ausländische Staatsangehörige, sondern auch Schweizer Doppelbürger eine Rechtswahl zugunsten des ausländischen Heimatrechts treffen (Art. 91 Abs. 1 rev-IPRG). Allerdings können Schweizer Doppelbürger das Schweizer Pflichtteilsrecht durch diese Rechtswahl nicht abbedingen. Die daraus resultierende Teilrechtswahl wird in der Praxis voraussichtlich zu Rechtsunsicherheit führen.
Neu können Erblasser den automatischen Gleichlauf zwischen Zuständigkeits- und Rechtswahl vermeiden, indem sie i.S. eines Opting-out einen Vorbehalt anbringen, wonach die Prorogation der Schweizer Behörden (Art. 87 Abs. 2 rev-IPRG) nicht als Unterstellung unter das schweizerische Recht gelten soll (Art. 91 Abs. 2 rev-IPRG).
Schliesslich räumt der revidierte Entwurf im Sinne der Praxisfreundlichkeit dem Eröffnungsstatut bei der Willensvollstreckung und Nachlassverwaltung (insbes. betreffend einen administrator des common law oder Nachlassverwalter i.S.v. Art. 29 EuErbVO) einen weiten Geltungsbereich ein: Gemäss Art. 92 Abs. 2 rev-IPRG untersteht die Frage des Eigentums (der «Berechtigung») dieser Amtsträger am Nachlass dem Eröffnungsstatut. Die Rechte und Pflichten (Aufgaben, Befugnisse, Sorgfaltspflichten, Entschädigungsansprüche etc.) unterstehen demgegenüber dem Erbstatut. Somit kann z.B. bei Geltung des Erbrechts eines Common-law Staats in einem schweizerischen Erbschaftsverfahren ein im Testament bezeichneter executor betreffend die Verfügungsfähigkeit über den Nachlass grundsätzlich wie ein Willensvollstrecker nach ZGB behandelt und die Einsetzung eines administrator durch Anordnung einer amtlichen Liquidation i.S.v. Art. 593 ZGB umgesetzt werden.
Weitere Neuerungen
Zusammen mit Kinga M. Weiss habe ich die wichtigsten Neuerungen des revidierten Entwurfs in detaillierter Form in unserem Newsletter zusammengefasst (hier geht’s zur englischen Version).