Im Entscheid 6B_31/2019 (amtl. Publ.) hatte das Bundesgericht die Gelegenheit, sich zur Rechtsnatur und zur Verjährungsfrist von Art. 102 StGB (Verantwortlichkeit des Unternehmens) zu äussern. Es hielt fest, dass Art. 102 StGB kein eigenständiger Übertretungstatbestand, sondern eine Zurechnungsnorm ist. Die Verjährung von Art. 102 StGB richtet sich entsprechend nach der zugrundeliegenden Anlasstat.
Hintergrund war der Anlagebetrugsfall ASE Investment AG. Die Kantonale Staatsanwaltschaft Aargau führte eine Strafuntersuchung gegen die Organe der ASE, wobei der Geschäftsführer inzwischen zweitinstanzlich u.a. wegen gewerbsmässigen Betrugs verurteilt wurde. Geschädigte Anleger hatten zudem gegen den Kontoverantwortlichen der ASE bei der Basler Kantonbank sowie gegen die Bank selber Strafanzeige wegen Verdachts auf Geldwäscherei i.S.v. Art. 305bis i.V.m. Art. 102 Abs. 2 StGB eingereicht. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen die Bank ein. Sie argumentierte dabei unter anderem, Art. 102 StGB sei eine Übertretung, die Verjährungsfrist betrage drei Jahre und die Verjährung als Prozesshindernis i.S.v. Art. 319 Abs. 1 lit. d StPO sei bereits eingetreten.
Die Geschädigten fochten die Einstellungsverfügung an und machten geltend, Art. 102 StGB sei eine Zurechnungsnorm, die Verjährung der potentiellen Strafbarkeit der Bank wegen Geldwäscherei richte sich nach Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB, betrage 15 Jahre und sei noch nicht eingetreten.
Das Obergericht Aargau hielt fest, es handle sich um eine unklare Rechtslage, die sich im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht abschliessend klären lasse. Die Verfahrenseinstellung könne nicht mit der Begründung der eingetretenen Verjährung geschützt werden. Aus diesem (und weiteren) Gründen hob das Obergericht Aargau die Einstellungsverfügung auf. Gegen den Entscheid erhob die Oberstaatsanwaltschaft Aargau Beschwerde beim Bundesgericht.
Das Bundesgericht äusserte sich vorab zur Eintretensfrage und hielt fest, die restriktive Rechtsprechung zu den Eintretensvoraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG würden auch bei der Verjährungseinrede gelten. Vorliegend stünde jedoch ein weitläufiges und komplexes Verfahren bevor, zudem handle es sich bei der Auslegung von Art. 102 StGB um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Insgesamt rechtfertige es sich daher, auf die Beschwerde gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG einzutreten (E. 1).
In der Sache selbst hielt das Bundesgericht zunächst fest, es habe sich in seiner Rechtsprechung bisher zur Frage der Verjährung der Verantwortlichkeit des Unternehmens nicht abschliessend geäussert. Im Urteil 6B_7/2014 habe es offengelassen, ob es sich bei Art. 102 StGB um eine Zurechnungsnorm, einen besonderen Fall der Teilnahme oder einen eigenständigen Übertretungstatbestand handle. Für den Fall, dass Art. 102 StGB als eine besondere Form der Teilnahme und/oder als eine Zurechnungsnorm konzipiert sei, habe es jedoch darauf hingewiesen, dass sich die Verjährung der Strafbarkeit des Unternehmens im Sinne von Art. 102 StGB logischerweise nach der Verjährung der Anlasstat richte (Urteil 6B_7/2014 E. 3.4.1). Eine Antwort auf die Frage, ob es sich bei Art. 102 StGB um einen eigenständigen Übertretungsstraftatbestand oder eine Zurechnungsnorm handelt, könne auch BGE 142 IV 333 [Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen Die Schweizerische Post] nicht entnommen werden. Hingegen hätten sowohl das Bundesstrafgericht im Entscheid BB.2016.359 als auch das Obergericht des Kantons Solothurn im Urteil STBER.2011.32, welches BGE 142 IV 333 zugrunde lag, entschieden, dass sich die Verjährung der Strafbarkeit des Unternehmens nach derjenigen für die Anlasstat richtet. Dies entspreche auch der herrschenden Lehre (E. 2.3.2).
Nach einem anderen Teil der Lehre handle es sich bei Art. 102 StGB demgegenüber um einen eigenständigen Straftatbestand. Da Art. 102 StGB als Sanktion eine Busse vorsieht, würden diese Autoren von einer Übertretung im Sinne von Art. 103 ff. StGB ausgehen, welche gemäss Art. 109 StGB in drei Jahren verjähre (E. 2.3.3).
Gemäss Bundesgericht steht dieser Auffassung allerdings nicht nur der Gesetzeswortlaut, sondern auch die Gesetzessystematik entgegen:
“2.3.3. […] Dass das in einem Unternehmen in Ausübung geschäftlicher Verrichtung im Rahmen des Unternehmenszwecks begangene Verbrechen oder Vergehen dem Unternehmen ‘zugerechnet’ wird, ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 102 StGB. Für eine Zurechnungsnorm bzw. eine besondere Form der Teilnahme und gegen einen eigenständigen Übertretungstatbestand spricht auch, dass die Verantwortlichkeit des Unternehmens in Art. 102 StGB, d.h. im Allgemeinen Teil des StGB, geregelt ist und nicht bei den besonderen Bestimmungen im zweiten Buch des StGB, welche im Einzelnen die strafbaren Verhaltensweisen bestimmen […].”
Weiter verwarf das Bundesgericht die Lehrmeinung, wonach es sich bei Art. 102 StGB um ein Dauerdelikt handle, da der strafrechtliche Vorwurf im Organisationsdefizit des Unternehmens bestehe, womit die Verjährung nicht mit der Vornahme der Anlasstat, sondern erst mit dem Wegfall des Organisationsdefizits zu laufen beginne. Diese Theorie habe das Bundesgericht bereits im Urteil 6B_7/2014 verworfen. Der Gesetzgeber habe sich in Art. 102 StGB nicht darauf beschränkt, dem Unternehmen eine korrekte interne Organisation vorzuschreiben und die Missachtung dieser Pflicht mit einer Busse zu ahnden. Weitere Voraussetzung für die Anwendung von Art. 102 StGB sei vielmehr das Vorliegen einer Anlasstat. Auch die Höhe der Sanktion richte sich nicht nur nach der Schwere des Organisationsmangels, sondern bei der Bemessung der Busse seien gemäss Art. 102 Abs. 3 StGB insbesondere auch die Schwere der Anlasstat und der angerichtete Schaden mitzuberücksichtigen. Die Behauptung, das Unternehmen werde in Art. 102 StGB nicht für die Anlasstat, sondern lediglich für das Organisationsdefizit bestraft, treffe daher nicht zu (E. 2.3.4).
Sodann verwarf das Bundesgericht mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte das Argument, die kurze Verjährungsfrist sei vom Gesetzgeber so gewollt, andernfalls dieser Geldstrafe (im Sinne von Art. 34 StGB) statt Busse als Sanktion hätte vorsehen müssen. Unter anderem wäre eine Geldstrafe im Sinne von Art. 34 ff. StGB als Sanktion für ein Unternehmen auch wegen der Berechnungsgrundlage in Tagessätzen kaum geeignet. Hinzu komme, dass das StGB die Geldstrafe am 1. Januar 2007 für den Bereich der leichteren bis mittleren Kriminalität eingeführt habe (max. 360 Tagessätze zu Fr. 3’000). Seit der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Änderung des Sanktionenrechts sei die Geldstrafe noch als Sanktion für die leichte Kriminalität (max. 180 Tagessätze zu Fr. 3’000) vorgesehen. Art. 102 StGB belege Unternehmen indes mit einer weit einschneidenderen finanziellen Sanktion im Umfang von bis zu Fr. 5 Mio. (E. 2.3.5).
Als unbegründet erachtete das Bundesgericht schliesslich die Kritik der Oberstaatsanwaltschaft, der Gesetzgeber habe die kurze Verjährungsfrist anlässlich der Revision der Verjährungsfristen (absichtlich) stehen lassen. Das Bundesgericht erinnerte daran, Gegenstand der erwähnten Gesetzesrevision sei die zu kurze Verjährungsfrist für mit einer Freiheitsstrafe von maximal drei Jahren bedrohte Vergehen gewesen; die Unternehmensstrafbarkeit sei von dieser Gesetzesrevision daher nicht betroffen gewesen (E. 2.3.6).
Zusammenfassend kam das Bundesgericht zum Schluss, die Vorinstanz habe zu Recht entschieden, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens gegen die Bank infolge Verjährung seien nicht erfüllt.