Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 4A_396/2022 vom 7. November 2023 präzisierte das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur missbräuchlichen Kündigung nach Art. 336 Abs. 1 lit. a und d OR.
Die Arbeitgeberin (Beschwerdeführerin) hatte den mehrfach durch Krankheit arbeitsunfähigen Arbeitnehmer (Beschwerdegegner) nach Ablauf der Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 lit. b OR mit der Begründung der anhaltenden Krankheit entlassen, wogegen der Arbeitnehmer Einsprache erhob. Er vertrat die Auffassung, dass die Kündigung missbräuchlich sei, weil er Ansprüche aus dem Vertrag im Zusammenhang mit dem Schutz seiner Persönlichkeit geltend gemacht habe und die Kündigung aufgrund seines Konflikts mit dem Vorgesetzten ausgesprochen worden sei. Vor Bundesgericht war die Missbräuchlich dieser ordentlichen Kündigung strittig (E. 3).
Nach Ablauf der Sperrfrist könne der Arbeitgeber gemäss Bundesgericht den Arbeitsvertrag mit dem wegen Krankheit an der Arbeit gehinderten Arbeitnehmer grundsätzlich frei kündigen, selbst wenn die Krankheit selbst der Grund für die Kündigung sei (m. Verw. auf Rechtsprechung). Wenn der Arbeitnehmer an einer anhaltenden Krankheit leide, müsse der Arbeitgeber den Vertrag kündigen können — die Krankheit sei dann ein wichtiger Grund für die Kündigung (E. 3.1.2).
Nur in sehr schwerwiegenden Fällen, so das Bundesgericht, sei eine Kündigung wegen anhaltender Krankheit als missbräuchlich zu qualifizieren. Dies sei nur dann der Fall, wenn aus der Beweisführung eindeutig hervorgehe, dass der Arbeitgeber die Krankheit des Arbeitnehmers direkt verursacht habe, z.B. wenn wer es unterlassen habe, Massnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers wie in Art. 328 Abs. 2 OR vorgesehen zu ergreifen, und der Arbeitnehmer deshalb krank geworden sei. Wenn die Situation diesen Schweregrad nicht erreiche — wie es bei Arbeitsunfähigkeit infolge psychischer Krankheit häufig der Fall sei — sei die Kündigung hingegen nicht missbräuchlich. Tatsächlich könnten Schwierigkeiten am Arbeitsplatz (wie im vorliegenden Fall mit dem neuen Vorgesetzten) häufig zu Depressionen oder anderen psychischen Störungen führen, die keine direkt durch den Arbeitgeber direkt verursachte Krankheit darstellen (E. 3.1.3).
In Bezug auf den vorliegenden Fall erwog das Bundesgericht, dass es weder erwiesen noch offensichtlich sei, dass hier eine Ausnahme vorliege, die eine ordentliche Kündigung wegen anhaltender Krankheit nach Ablauf der Sperrfrist als missbräuchlich erscheinen lasse. Der Arbeitgeber habe die zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit nicht direkt verursacht und es liege auch keine psychische Belästigung (oder Mobbing; m. Verw. auf Rechtsprechung) vor.
Da die Konfliktsituation nicht die nötige Schwere erreiche, um eine missbräuchliche Kündigung anzunehmen, könne zudem die vom Arbeitnehmer angeführte Konfliktsituation mit dem neuen Vorgesetzten nicht dazu führen, dass die Arbeitgeberin nachweisen müsse, dass sie Massnahmen zur Lösung dieses Konflikts ergriffen habe (E. 3.2).
Dem Arbeitnehmer sei es überdies nicht gelungen (rechtsgenüglich) zu behaupten oder zu beweisen, dass er in gutem Glauben ihm zustehende Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag geltend gemacht habe, welche die Arbeitgeberin mit Massnahmen hätte umsetzen können (E. 3.3).
Gestützt auf diese Erwägungen kam das Bundesgericht zum Schluss, die Vorinstanz habe das erstinstanzliche Urteil in Verletzung von Art. 336 OR abgeändert und die Kündigung sei nicht missbräuchlich (E. 3.4). Demnach hiess das Bundesgericht die Beschwerde gut und änderte das angefochtene Urteil dahingehend ab, dass es die Klage des Arbeitnehmers abwies (E. 4).